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Kultur: Kein Antisemit

Das Recht auf Kritik an Israel/ Von Peter Schneider.

Schriftsteller sollten sich einmischen, genau wie andere Bürger. Aber sie sollten sich nicht einbilden, dass sie über ein höheres Wissen verfügen. Die Ausnahmerolle des Schriftstellers als moralischer Instanz hat sich in Deutschland zum Glück erledigt – man denke nur daran, wie sich die Schriftsteller zu Mauerfall und Wiedervereinigung verhielten: Die meisten waren entweder unglücklich oder dagegen. Aber der Verlust dieser Ausnahmerolle bedeutet nicht, dass sich Schriftsteller nicht mehr einmischen sollten.

Auch wenn Günter Grass in seinem Text einige fatale Fehler unterlaufen sind – es ist der Iran, der Israel mit Auslöschung droht und nicht umgekehrt – hat er mit Einigem Recht. Etwa wenn er auf die deutsche Befangenheit gegenüber Israel hinweist. Es gibt sie zu Recht, aber sie kann auch zu einer gefährlichen Blindheit, einem gefährlichen Schweigen führen. Er bricht ein Tabu, wenn er dieses Denk-und Redeverbot reflektiert und sich Sorgen um die deutsche U-Boot-Lieferung macht. Wie ernst soll man den Friedenswillen einer israelischen Regierung nehmen, die ihre Siedlungspolitik ständig fortsetzt: Will sie Frieden oder Gebietserweiterung, oder Frieden nur mit Gebietserweiterung? Es steht dann immer schnell der Vorwurf des Antisemitismus im Raum, aber dieser Vorwurf läuft oft auf eine Zensur des Denkens hinaus. Grass und Walser sind keine Antisemiten.

Grass’ Intervention wird in Amerika heftige Reaktionen hervorrufen, wenn darüber berichtet wird. Gewiss wird es auch hier heißen: Ausgerechnet der ehemalige Waffen-SS-Mann Grass... Andere werden ihn für mutig halten. Es gibt eine immer stärker werdende Peace-Now-Bewegung, die mit der Friedensbewegung in Israel sympathisiert. Gerade an den Universitäten, auch unter jüdischen Studenten nimmt die Solidarität mit der israelischen Regierung ab. So wird mancher Grass’ Zeilen als Anstoß zur Diskussion begrüßen.

Peter Schneider lebt als Schriftsteller in Berlin, zurzeit hält er sich in New York auf.

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