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Traumpaar der Oper. Anna Netrebko und Yusif Eyvazov sind seit Dezember 2015 verheiratet.

© Vladimir Shirokov/Universal

Anna Netrebko und ihr Ehemann im Interview: „Keine Lust mehr auf sechs Wochen Proben“

Anna Netrebko und ihr Ehemann Yusif Eyvazov sprechen im Interview über Opernmuffel, Wagner-Wonnen und kluge Karriereplanung.

Anna Netrebko, geboren 1971 in Krasnodar, ist die bekannteste Opernsängerin der Welt. Sie studierte in St. Petersburg und wurde 1994 am Marijnskitheater engagiert. 2002 hatte sie ihren internationalen Durchbruch bei den Salzburger Festspielen als Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“. Von 2007 bis 2013 war Netrebko mit dem Bariton Erwin Schrott liiert.

2014 lernte sie den Tenor Yusif Eyvazov in Rom kennen, bei einer Produktion von Puccinis „Manon Lescaut“. 1977 in Algier geboren, wuchs Eyvazov in Baku auf. Seine Karriere startete er in Italien, 2015 debütierte er an der Metropolitan Opera in New York, 2016 an der Berliner Staatsoper. Am 2. März 2020 geben Anna Netrebko und Yusiv Eyvazov ein Konzert in der Berliner Philharmonie.

Frau Netrebko, Herr Eyvazov, viele Sängerinnen und Sänger haben sich ihre Stimmen vor der Zeit ruiniert, weil sie zu früh zu schwere Partien gesungen haben. Wie ist es Ihnen gelungen, am Beginn der Karriere diese Klippe zu umschiffen?

NETREBKO: Du musst auf dich selber hören, dann wirst du spüren, was gut für deine Stimme ist. In meinen frühen Jahren habe ich enorm viel gemacht, über 50 verschiedene Rollen gesungen. Viele haben mir damals gesagt: Tu das nicht, diese oder jede Rolle kommt zu früh für dich.

Aber ich habe nicht auf sie gehört, denn ich wusste, was ich mir zumuten konnte. Ich kannte meine Grenzen.

EYVAZOV: Wenn du jung bist, kennst du dich noch nicht so gut aus mit der Opernliteratur und es ist darum schwerer abzuschätzen, welche Partie zu deiner aktuellen Stimmentwicklung passt. Aber oft hast du keine Wahl. 2013 habe ich das erlebt.

Ich sollte Verdis Otello beim Ravenna Festival singen, eine extrem anspruchsvolle Partie. Meine Freunde haben mir abgeraten, aber ich hatte zu der Zeit keine anderen Engagements. Also habe ich es gemacht. Mittlerweile weiß ich, was ich singen kann und was ich nicht singen will.

Und wenn man dieses Gespür nicht hat? Wie schnell verbrennt die Stimme?

EYVAZOV: Zuerst spürst du das gar nicht. Du bist zwar schnell müde, die Stimme klingt vielleicht ein wenig flacher als gewöhnlich, aber der Prozess ist schleichend. Und wenn du dann merkst, dass du deine Stimme dauerhaft überfordert hast, ist es schon zu spät.

NETREBKO: Wenn du während der Proben spürst, dass es ein Fehler war, kannst du deinen Vertrag zwar erfüllen, musst danach die Rolle aber sofort aus dem Repertoire nehmen. Und zu jenen Partien zurückkehren, die dir gut in der Stimme liegen. Wenn du auf der falschen Straße weitergehst, wird die Stimme in ein, zwei Jahren ruiniert sein.

EYVAZOV: Ich erinnere mich an eine „Turandot“ in Novara, bei der ich den Calaf singen sollte und die wunderbare Daniela Dessì die Titelrolle. Nach der Bühnenorchesterprobe hat sie entschieden: Nein, unter diesen Bedingungen kann ich die Rolle nicht machen.

Die Musiker waren zu laut, sie hätte forcieren müssen. Also hat sie abgesagt. Vor solchen Entscheidungen habe ich großen Respekt.

Sie machen im Januar 2020 in München jetzt gemeinsam „Turandot“ …

NETREBKO: Mein nächstes Rollendebüt, hurra!

Ein großer Schritt zum dramatischen Fach.

NETREBKO: Ich würde sagen, den großen Schritt habe ich schon früher gemacht. Ich finde Turandot nicht übermäßig furchteinflößend. Puccini hat die Rolle für denselben Stimmtyp angelegt wie die Liù, ihre Gegenspielerin in der Oper. Also gar nicht für eine Hochdramatische, wie wir es heute gewohnt sind.

Erst Interpretinnen wie Gena Dimitrowa oder Eva Marton haben der Turandot diesen Anstrich gegeben. Doch Stimmen wie diese gibt es nicht oft. Ich finde, die Turandot kann absolut von einem normalen Sopran gesungen werden. Wenn sie über ein kräftiges hohes Register verfügt, das zudem leicht anspricht.

Für dramatische Soprane sind die hohen Noten oft sehr anstrengend und werden entsprechend druckvoll produziert. Dadurch denkt das Publikum: Das muss wahnsinnig schwer sein!

Herr Eyvazov, Sie können Ihrer Frau in München doch helfend zu Seite stehen, Sie kennen die Oper ja bestens.

EYVAZOV: Ich kann ihr doch nicht helfen! Ich singe den Calaf sehr gerne, auch wenn ich ihn als Charakter nicht leiden kann, besonders die Art, wie er mit Liù umgeht. Aber ich darf „Nessun dorma“ singen, die durch Pavarotti und die Fußball-WM 1990 in Italien wohl berühmteste Tenorarie aller Zeiten!

Das Optische wird immer wichtiger, das Sehen dominiert das Hören, selbst in der Oper. Mögen Sie Opernübertragungen im Kino und die vielen Livestreams?

NETREBKO: An der New Yorker Metropolitan Opera sind die Produktionen sehr gut gemacht, die ins Kino kommen. Da hat der Gesang wirklich höchste Priorität, nicht das Aussehen. Sie nehmen auch nicht die Premiere auf, sondern erst eine spätere Vorstellung, wenn sich alles eingespielt hat.

Was mich oft ärgert, ist dagegen, dass jetzt jeder Livestreamings machen will. Manchmal komme ich in ein Theater und werde mit der Frage überfallen: Können wir das live streamen? Nein! Oft habe ich noch nicht einmal richtige Proben gehabt vorher. Da kann doch nur schlechte Qualität herauskommen.

EYVAZOV: Eine Plage sind die Smartphones: Jeder nimmt sie mit ins Theater, filmt uns, obwohl es verboten ist, und stellt die Aufnahmen sofort ins Netz.

Es fällt auf, dass Sie derzeit sehr viele Konzerte zusammen geben. Geht es dabei auch darum, gemeinsam reisen zu können?

NETREBKO: Vor allem geht es uns darum, an Orte zu gehen, wo wir nicht in Opern auftreten können. In Bremen oder Halle/Westfalen können wir aber Konzerte geben und damit nah bei unseren Fans sein. Wir haben ein umfangreiches Programm, aus dem wir jeweils spontan auswählen können, damit uns nicht langweilig wird.

EYVAZOV: Und es gibt auch Menschen, die nicht so gerne eine komplette Oper anschauen, weil ihnen das zu lange dauert. Da ist doch ein Konzert eine tolle Gelegenheit, ganz unterschiedliche Werke zu hören an einem einzigen Abend!

NETREBKO: Ich habe ganz ehrlich auch keine Lust mehr auf sechs Wochen Proben. Dreieinhalb müssen für eine Oper genügen, vor allem, wenn ich die Rolle schon woanders gesungen habe. Außerdem kann ich in dem schweren Verdi-Repertoire, das ich jetzt singe, sowieso nicht viel schauspielern.

Wenn ein Regisseur mir sagt: Lehnen Sie sich doch bitte beim Singen mal zur Seite – das geht nicht. Mit abgeknickter Hüfte ist auch die Luftröhre geknickt. Bei der Arie „D’amor sull’ali rosee“ aus dem „Trovatore“ darf ich mich nicht bewegen, sonst strömt die Luft nicht richtig, und dann: basta! Da geht es um perfekte Atemkontrolle.

Viele Stars der Klassik haben Lehrer, mit denen sie schon über eine sehr lange Zeit zusammenarbeiten. Wie ist das bei Ihnen?

NETREBKO: Ich habe noch Kontakt zu meiner Gesangslehrerin vom Konservatorium in St. Petersburg. Sie hat mir die Grundlagen mitgegeben für meinen Weg. Seit meinem Fachwechsel vor zehn Jahren habe ich einen Pianisten, mit dem ich alle meine Rollen erarbeite.

EYVAZOV: Mein Lehrer begleitet uns sogar immer auf unseren Reisen …

NETREBKO: Ich nenne ihn „die Nanny“!

EYVAZOV: Meine ganze Entwicklung der jüngeren Zeit habe ich ihm zu verdanken. Er hat meine Stimme wirklich verändert, meine Möglichkeiten erweitert.

Das war im September bei der „Adriana Lecouvreur“ an der Deutschen Oper tatsächlich deutlich zu hören.

NETREBKO: Es ist ein verrücktes Werk. Der letzte Akt ist wunderschön, aber endlos für die Sängerin. Und man muss eine Diva sein wollen für Adriana, die es ja wirklich gab und die eine der berühmtesten Schauspielerinnen ihrer Zeit war.

Nicht in dem Sinne, dass man zickig ist, sondern in Bezug auf das Selbstbewusstsein. Darum muss vom ersten Takt an ihre Persönlichkeit zu spüren sein, eine Aura, mit der sie alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das ist nur etwas für gereifte Interpreten mit Stilbewusstsein.

Ich freue mich immer, wenn Stars unbekannte Werke singen. Denn die Leute kommen dann ihretwegen – und entdecken dabei ein Stück Operngeschichte.

EYVAZOV: Es gibt viele Raritäten, die ich gerne machen würde. „Fedora“ von Umberto Giordano oder „Francesca da Rimini“ von Riccardo Zandonai. „La Fanciulla del West“ von Puccini gehört auch dazu. Ein grandioses Werk!

Denken Sie auch über Französisches nach? Wie wäre es mit „Thais“ von Massenet?

NETREBKO: Die Oper kann ich nicht leiden! Ich verstehe diese Thais nicht: Sie ist die angesagteste Kurtisane im antiken Alexandria, hat allen Luxus, den sie sich nur wünschen kann – und dann entscheidet sie sich plötzlich dafür, als Nonne in der Wüste zu leben. Das kann ich nicht nachvollziehen, sorry.

Und wie sieht’s mit deutschem Repertoire aus? Werden Sie wieder die Elsa in Wagners „Lohengrin“ singen?

NETREBKO: Ja, natürlich. Es tat mir sehr leid, dass ich in Bayreuth absagen musste im Sommer. Denn ich hatte ja schon lange davon geträumt, auf dem Grünen Hügel aufzutreten. Aber dann ging es leider nicht, ich brauchte eine Erholungspause. Ich werde auf jeden Fall weiter Wagner singen. Und dann steht auch noch das Rollendebüt in Strauss’ „Salome“ an.

Und Sie, Herr Eyvazov, denken Sie auch an deutsche Rollen?

NETREBKO: Fang doch mit Tristan an!

EYVAZOV: Jetzt habe ich erst einmal einige französische Partien angenommen, Don José in „Carmen“ und Massenets Werther. Aber ich würde gerne auch die Herausforderung Wagner annehmen. Wir planen ja jetzt schon bis 2024, das würde mir genug Zeit lassen, um mich gründlich vorzubereiten. Welche Rolle würden Sie mir denn empfehlen?

Den Stolzing aus den „Meistersingern“. Der eignet sich auch für Tenöre mit italienischem Timbre. Placido Domingo hat einen tollen Stolzing aufgenommen. Mir gefällt, wenn der Stolzing mal sexy klingt, weil ja die deutschen Stimmen oft sehr gerade und weniger klangfarbenreich sind.

NETREBKO: Jetzt reden Sie mal nicht schlecht von deutschen Tenören!

EYVAZOV: Vielen Dank für den Tipp. Ich lade Sie dann zur Premiere ein, wenn ich tatsächlich in den „Meistersingern“ auftreten sollte.

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