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Michal Waszynski (re.) umgibt sich gerne mit Stars wie Sophia Loren und James Mason.

© Salzgeber

Kino: „Der Prinz und der Dybbuk“: Im Rolls-Royce auf Geisterjagd

Lebemann und Chamäleon: Der Dokumentarfilm „Der Prinz und der Dybbuk“ über den jüdischen Regisseur Michal Waszynski.

Von Andreas Busche

Der Mann, den die Polizei aufgreift, hat sein Gedächtnis verloren. Das einzige Wort, auf das er reagiert, ist „Vaterland“; seine Bedeutung hat er vergessen. „Wir haben alle denselben Vater und heute wurde ich geboren“, antwortet er auf die Frage nach seiner Herkunft. Diese Szene stammt aus dem Film „Der Unbekannte aus San Marino“ von 1947: ein Frühwerk des polnischen Regisseurs Michal Waszynski und eines der vielen Fragmente, die die polnische Dokumentafilmerin Elwira Niewiera und ihr Co-Regisseur Piotr Rosolowski für „Der Prinz und der Dybbuk“ zusammengetragen haben.

Wer war dieser Michal Waszynski? Die offensichtliche Antwort liefert die Internet Movie Data Base, die über 50 Regiearbeiten zwischen 1929 und 1949 listet sowie die Produktion einiger in den sechziger Jahren in Europa gedrehten Monumentalfilme wie „Der Untergang des Römischen Reiches“. Es war die Blütezeit des Cinecittà-Studios, des Dreh- und Angelpunkts der europäischen Filmindustrie. Waszynski gehört zu Roms High Society, lässt sich im Rolls-Royce durch San Remo chauffieren und ist überall nur als „Principe“ bekannt. Den Titel hat er qua Heirat geerbt, aber Waszynski passte diese Rolle wie eine zweite Haut. „Michal war der geborene Aristokrat“, erinnert sich sein Patenkind. Als er 1965 in Madrid stirbt, berichten die Nachrichten über die Trauerfeier. Familie hat er keine, bestattet wird der „polnische Prinz“ im Grab der Adelsfamilie Dickmann.

Waszynski konvertiert vom Judentum zum Katholizismus

„Der Prinz und der Dybbuk“ könnte sich mit der biografischen Arbeit an einer kuriosen Randfigur des europäischen Kinos begnügen, aber Niewieras Interesse reicht weiter. Sie begibt sich in die Vergangenheit eines Mannes, der von sich sagte, dass er „immer in Bewegung, ewiger Eile“ sei. Ein Getriebener. Die Spur führt – anhand eines Fotos vom jungen Michal mit seiner Mutter – in die heutige Ukraine, in das ehemals polnische Städtchen Kowel, wo Michal Waszynski 1904 als Moshe Waks geboren wurde.

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Mit 18 verlässt er seine Familie, er kappt auch seine jüdischen Wurzeln und konvertiert zum Katholizismus. Doch die Vergangenheit lässt ihn nicht los. 1937 dreht er einen in expressionistischen Licht- und Schattenspielen gehaltenen Film über ein Geisterwesen aus der chassidischen Mythologie, das von der Seele der geliebten Hinterbliebenen Besitz ergreift. Goebbels dient „Der Dybbuk“ später als Beweis für die Minderwertigkeit des Judentums, wohl auch deswegen sucht Waszynski die mythische Figur weiter heim. In seinen Tagebucheinträgen, die Niewieras Film eine Erzählstimme geben, findet der Dybbuk immer wieder Erwähnung, als Metapher für die eigene Unbehaustheit. „Ich habe einen Traum“, schreibt Waszynski. „Ich verstecke mich, aber keiner will mich suchen.“ Niewiera und Rosolowski benutzen Szenen aus „Der Dybbuk“ als filmisches Motiv für ihre Spurensuche.

Die Erinnerungsfragmente besitzen ein haptische Materialität

Und so entwickelt sich die Biografie eines flamboyanten Lebemanns, der sich in die Traumwelt des Kinos flüchtet, zu einem assoziativen, fast somnambulen Filmessay über das Trauma jüdischer Identität. Die Bilder von Niewiera und Rosolowski bilden eine betörend schöne Textur, die der Geschichte Waszynskis eine haptische Materialität verleiht: kontrastreiche „Wochenschau“-Aufnahmen, feinkörnige 16mm-Homemovies in Farbe mit einer naturalistischen Strahlkraft, die diffus ausgeleuchteten Visionen vom Dybbuk. Tagsüber schippert Waszynski mit Hollywood-Regisseur Joseph L. Mankiewicz auf dessen Jacht die Riviera entlang, nachts lässt er sich durch die Stadt fahren, auf der Suche nach einem Gespenst. „Es ist gut, nicht zu wissen, wer ich bin“, schreibt er. „Er hat seine Vergangenheit verborgen“, sagt ein alter Freund über ihn. „Vielleicht weil die Erinnerung zu sehr schmerzte.“

Das Chamäleon ist eine wiederkehrende Figur in der jüdischen Erinnerungskultur, etwa der Gestaltenwandler Zelig bei Woody Allen: ein moderner Dybbuk. Doch Michal Waszynski ist keine Schelmengestalt, die in wechselnden jüdischen Identitäten das Jahrhundert der Schoah überlebt. Er löst sich vielmehr in der Geschichte auf: Aus dem homosexuellen jüdischen Handwerkersohn wird der katholische Prinz im Weltexil. Einmal vergleicht ein Grafologe Waszynskis Handschriften aus den Jahren 1941 und 1958, er erkennt in ihnen einen gravierenden Persönlichkeitswandel. Kein Wunder. 1958 sind die Gespenster, die Waszynski zu finden hofft, längst aus Europa vertrieben.

In den Berliner Kinos Krokodil und Tilsiter

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