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Die Simpsons

© Twentieth Century Fox

Die Simpsons: Die letzten Tage von Springfield

Hässliche Menschen in 2-D: Zwanzig Jahre, drei Dekaden, vier Präsidenten und über 400 Folgen lang haben die Simpsons im Fernsehen gespottet - jetzt kommen Homer und seine Familie ins Kino.

So blöd muss man erst mal sein. Für etwas bezahlen, das man im Fernsehen umsonst bekommt, seit zwanzig Jahren! Der gelbe Mann kann es nicht glauben. „Ihr seid alle Versager“, ruft er voller Häme, dreht sich zum Publikum und zeigt mit dem Finger. „Vor allem du!“

In der Tat. In Scharen werden die Leute demnächst die Filmtheater aufsuchen, um auch dort einmal jenen halb kahlen Mann zu erleben, sein ewiges Durchwurschteln, seine Gier nach Glotze, Bier und Süßem, sein schlichtes, selbstsüchtiges, aber letztlich doch mildes Gemüt: Homer Simpson, die einzig würdige Ikone des Kapitalismus, leinwandgroß und in Gelb, samt seiner glubschäugig verschworenen Familie.

Zwanzig Jahre, drei Dekaden, vier Präsidenten und über 400 Folgen haben Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie hinter sich gebracht, bevor ihnen jetzt der Sprung auf die Leinwand gewährt wird. Kurze Pausenfüller sollte Matt Groening damals liefern für die „Tracy Ullman Show“. Erst als ihm klar wurde, dass er die Rechte an seinen Comic-Hasen an Fox verlieren würde, warf er eilig den Entwurf einer Familienserie aufs Papier – die Geburtsviertelstunde eines der einflussreichsten Werke der Popkultur.

Die Simpsons vermischten Genres, verzichteten auf eingespielte Lacher und erfanden den „freeze frame gag“, für den man eine aufmerksames Auge haben muss oder den Finger an der Pausentaste. Sie bedienen sich bei Stilmitteln aus Literatur und Kunst, beleben sie mit Slapstick und Bildwitz und schmücken sie mit Zitaten und Verweisen – auf sich selbst und auf andere, kreuz und quer durch die Kulturgeschichte. Am Ende jeder Folge aber wird die Simpsons-Welt stets auf null zurückgefahren, damit das Spiel von vorne beginnen kann.

Ein unablässig nach innen wachsendes Universum ist so entstanden, ein erstaunlich dichter Mikrokosmos westlicher Lebensart. „The Simpsons“ sind ein epochales Werk, weil sie auf die Spitze treiben, was mit der Trickserie als Kunstform – und nur mit ihr – möglich ist. Es gelang die unwahrscheinliche Verbindung von greller Satire und liebevollem Humanismus: Konsum und Religion, Sex und Politik, Prominente und Minderheiten – niemand ist sicher vor dem Spott der Simpsons, schon gar nicht der Zuschauer, der ja nichts anderes sieht als sich selbst. Mit einem Blick, der so scharf- wie nachsichtig ist, zerbröseln sie den Mythos Familie und feiern dann, was daran wertvoll und vielleicht sogar echt ist. Denn unter den Bedingungen des Kapitalismus, unter Berücksichtigung der Dummfaulheit des Menschen und der Sinnlosigkeit des Universums, wird die kaputte Kernfamilie zur letzten Zuflucht. Mutter Marge bringt es in „Simpsons – der Film“ mit angemessener Klarheit (und in der deutschen Fassung mit der Stimme von Anke Engelke) auf den Punkt: „Doomsday is family time.“

Diesmal steht nicht nur das private Halbglück auf der Kippe, sondern das Universum als Ganzes, sprich: die Stadt Springfield. Homers neuer Gefährte ist ein adoptiertes Hausschwein. Als er dessen Kot im See entsorgt, beschwört er eine Umweltkatastrophe herauf – worauf Präsident Schwarzenegger die „schmutzigste Stadt Amerikas“ unter einer riesigen Glasglocke versiegeln lässt. „Jetzt sitzen wir fest wie gefangene Tiere!“, klagen die Bürger. Nein, antwortet die Regierung, ihr sitzt fest wie Karotten.

Nur Familie Simpson, vom wütenden Lynchmob getrieben, kann nach Alaska fliehen. Dort kommt es zum Zerwürfnis – und Homer muss sich vom Busen einer Schamanin den rechten Weg weisen lassen, bevor er schließlich als ernst zu nehmender Actionheld die Stadt rettet und seine Familie zurückgewinnt. Warum sie Homer treu bleibt, trotz seiner vielen schlechten Eigenschaften, wurde Marge schon oft gefragt. Diesmal gibt sie eine ihrer schönsten Antworten: „Manchmal muss man einen Schritt zurücktreten, um ein Kunstwerk zu würdigen.“

Vier Jahre haben sich die Produzenten um Matt Groening Zeit gelassen und neben den TV-Produktionen am Film gearbeitet. Autoren und Zeichner aus den Anfangsjahren und der „goldenen Zeit“ wurden zurückgeholt, Verträge ausgehandelt, die Groening und Co. weitgehende künstlerische Freiheit garantierten – Groening hätte das Projekt sogar jederzeit einfach beenden können. Es ist selten geworden, im Kino wie im Fernsehen, dass die Künstler selbst das letzte Wort haben.

Die Freiheit war wichtig. Jetzt noch einen Film zu machen aus einer Serie, die schon so lange läuft, so viele treue Anhänger hat und vor allem für ihre Einfälle geliebt wird, erfordert Mut. So vieles haben Homer und die Seinen schon erlebt – wo sollen die Ideen noch herkommen? Ein Simpsons-Abenteuer entsteht, wenn die Autoren, an einem großen, runden Tisch sitzend, versuchen, sich gegenseitig zum Lachen zu bringen. Immer häufiger, berichtet Groening, wird zwar gelacht, dann aber kommt aus der Runde der Einwand: Das hatten wir schon in Folge soundso... Über Jahre hinweg waren die Simpsons zwar von erstaunlich gleich- bleibender Qualität. Zuletzt aber war ihnen mal eine gewisse Ermüdung, mal ratlose Überhitzung anzumerken.

Das Filmprojekt konnte den alten Geist offenbar wiederbeleben. Die Zeichner haben zwar Farbpalette und Detailfülle fürs epische Cinemascope-Format angereichert. Mehr noch: Die Figuren werfen sogar Schatten! Dennoch wirkt „Simpsons – der Film“ in Zeiten glanzvoller Computer-Animation wie handgemachte Nostalgie. Statt sprechender Tiere mit hunderttausend errechneten Fellhaaren: hässliche Menschen in 2-D.

Auch die Satire ist wieder angenehm beißend. Herrlich etwa jene sehr kurze Szene, in der die Bewohner von Springfield von der Katastrophe Wind bekommen. Eilig verlassen sie Kirche und Kneipe – und tauschen sogleich die Plätze: Kirchgänger betäuben sich mit Alkohol, Trinker suchen Trost im Glauben. Und niemals wurde die Arbeitsauffassung von George W. Bush so pointiert karikiert wie in den Worten jenes Beraters, der Präsident Schwarzenegger („I was elected to lead, not to read“) listig schmeichelt: „Knowing things is overrated.“ Ja, das Wissen wird doch sehr überschätzt.

Dieser Film will zum Lachen bringen, und es gelingt ihm auf bewundernswerte Weise. Er fühlt sich zwanglos an, anarchisch, fast improvisiert, doch es steckt viel Disziplin in dem perfekten Timing, dem überraschenden Bildwitz und der straffen Verzahnung der Pointen – ohne Längen und Wiederholungen. Im Gegenteil, die Besonderheit des Simpson-Humors liegt darin, dass eine Pointe oft aus mehreren, kurz aufeinanderfolgenden Gags besteht. Während man noch lacht, kann man nie sicher sein, ob die Autoren in der nächsten Sekunde nicht noch eins draufsetzen.

Homer hat unrecht. 90 Minuten Lachen, aus dem Bauch heraus und gemeinsam mit anderen, sind was Kostbares. Schön blöd, wer dafür kein Geld hinlegt.

Ab Donnerstag in den Kinos.

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