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© defd

Eric Rohmer: Fragmente einer Sprache der Liebe

Der Eigensinnigste unter den Großmeistern der Nouvelle Vague: Zum Tod des französischen Filmregisseurs Eric Rohmer.

Ganz am Schluss ist Eric Rohmer, schon wie elysisch entrückt, noch einmal in die ihm liebste Welt zurückgereist, zu den ganz Jungen, zu denen, die vom Lebensernst erst einen Hauch spüren. Sein Film „Les amours d''Astrée et de Céladon“, vor zwei Jahren auf dem Festival von Venedig vorgestellt und in Deutschland nicht mehr ins Kino gekommen, entführte – nach einem Schäferroman des Frühbarockdichters Honoré d''Urfé – ins Gallien des 5. Jahrhunderts: Eine Jungspielschar in wallenden, ziemlich durchscheinenden Gewändern bot Dialoge von einigem Sprachpathos und umfängliche Gesänge in berückend freier Natur dar, und irgendwann seufzte der liebesbekümmerte Céladon, von schönen Nymphen vor dem Tod durch Ertrinken gerettet: „Ich bin bei den Göttern.“

Schon damals wirkte dieses so überluftige, schwerelose Filmgebilde, das auf keinerlei Moden und Antimoden mehr Rücksicht nahm, wie ein transparenter, transzendenter Abschiedsgruß. Und nun, da die Welt vom Tod des ewigjungen, also unsterblichen französischen Nouvelle-Vague-Meisters Eric Rohmer irgendwie doch überrascht ist, umso mehr. Rohmer, damals 87, schüttelte, indem er fast in die Ur-Jugend der abendländischen Kultur zurückkehrte, leichthin jene frischeren historischen Stoffe ab, mit denen er sich im eh schon reifen Alter beschäftigt hatte: „Die Lady und der Herzog“ (2001) zum Beispiel, worin er der Aristokratie während der Französischen Revolution ein eigentümlich aristokratisches, also antidemokratisches Denkmal setzte. Oder „Agent triple“ (2004), eine Erzählung um russische Revolutionsemigranten, Nazis und bolschewistische Spione zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs – auch diese dialogreiche Erzählung erwies sich als von der Last der Geschichte fast erdrückt. Wie befreiend war da die Rückkehr ins Bukolische, ins spätantike Arkadien!

Unendlich fern siedeln diese späten Stoffwelten von jenen großen, scheinbar ganz aus der Gegenwart geschöpften Filmzyklen, mit denen Rohmer, der älteste Bruder der Nouvelle-Vague-Zunft um Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Claude Chabrol und François Truffaut seinen Ruhm begründete und fortschrieb. Und doch, auch sie gehören einem Universum mit eigenem Raum und Zeit an, waren nie bloßes Hier und Jetzt. Alle Filme Rohmers lassen sich am besten als Versuchsanordnungen verstehen: als sanfte Menschenzusammenführungen und Menschenverfehlungen, aus Sprache geboren und nach einer schönen Weile sich wieder in Sprache auflösende Seelensegelflüge.

Selten ist in solcher Welt nachher irgendwas dramatisch anders als vorher: Nur eine kleine Verrückung der Beziehungen, oft in einem Unmaß von Dialogzeilen versteckt, führt dazu, dass nachher alles anders erscheint: die erträumte Berührung eines Frauenknies, ein Nachmittag am Strand, eine über Gott und die Welt zerredete Nacht zwischen Männern und Frauen – und, natürlich, zuallererst über die Liebe.

Diese Radikalität, jedwede zwischenmenschliche Beziehung in einen unendlichen Minimalismus der Sprache aufzulösen, radikaler als bei Rivette, der ebenso auf die Wucht des sinnlichen Bildes setzt, anders als bei Godard, der am liebsten gedankenfunkelnde Essays illustriert, ist nicht jedermanns Sache. Gene Hackman fand, einen Rohmer-Film zu sehen sei, wie „Farbe beim Trocknen zuzuschauen“, und Quentin Tarantino empfahl, zwar weniger garstig, aber vorsichtig den Suchtselbsttest: „Wenn du einen Rohmer-Film guckst, und er gefällt dir, dann sieh dir alle an; aber einen musst du anschauen, um herauszufinden, ob du drauf stehst.“ Vielleicht auch bedarf es nur schlicht einer besonderen Disposition für den französischen Blick beim Filmemachen: für die Fragmentierung der Sprache der Liebe, für die Erotik des intelligenten Redens über Gefühle überhaupt – mit allen Finten, zu denen entwickelte Wesen fähig sind.

In der „Sammlerin“, einem seiner schönsten, frühen Filme (1966), Nummer Vier aus dem sechsteiligen Zyklus der „Moralischen Geschichten“, will der junge Adrien mit seinem Freund Daniel Ferien in einem Haus am Meer machen, und dann verdreht die rätselhafte Zufallsmitbewohnerin Haydée, die allerlei andere Männer anschleppt, Adrien rettungslos dem Kopf. Nur: Als er endlich mit ihr allein ist für eine verheißungsvolle Woche, nimmt er Reißaus, um sie sogleich noch viel mehr zu vermissen. Das geht lächerliche 83 Filmminuten so, und nichts, nichts, nichts passiert außer Sehnsucht, Hunger, wunderbar komischen Irrtümern des Begehrens: Kein Krimi könnte spannender sein.

Immer wieder umkreiste Rohmer, wobei er das Sensuelle und das Intellektuelle am liebsten in einem Hochspannungsgleichgewicht hielt, die Unruhe, die Männer und Frauen zueinander treibt und einander doch verfehlen lässt; die tosende Lust auf Untreue, der man doch nicht nachgibt; oder plötzlich mündet – wie in „Meine Nacht bei Maud“, Rohmers berühmtestem Film – ein wirbelndes Gespräch über Moral, Liebe und Religion in ein urplötzliches Heiratsversprechen, während sich ein gänzlich anderer Zauber als unzerstörbar erweist, so beiläufig er auch im Epilog aufgelöst scheint. Dochdoch, Rohmers Filme haben schon ihre Enden, nur weisen sie sogleich wieder ins Offene, in jenes betörende Versprechen, das auch ein nächster und übernächster Film ganz bestimmt nicht halten wird.

Das spielerisch Undeutliche, das randständig Unverlässliche, auch die Lust aufs Divertimento hat Eric Rohmer zu einem Prinzip seiner Biografie gemacht. Angefangen mit der Auflösung seines Taufnamens Maurice Henri Joseph Schérer in einer Reihe von Pseudonymen, aus denen „Rohmer“ eher zufällig hervorging. Eine Zeitlang arbeitete er als Lehrer, bevor er zeitweise den Kreis der filmpublizistischen Enthusiasten der Nouvelle Vague anführte, um sich als Chefredakteur der berühmten „Cahiers du Cinéma“ bald wieder ablösen zu lassen. Sein Erstlingsfilm von 1959, „Im Zeichen des Löwen“, kam erst mit drei Jahren Verspätung in die Kinos und wurde ein Flop, weil die turbulente neue Grammatik der Filmsprache jener Jahre schon wieder andere Codes verlangte.

Und so bewegte Rohmer sich eigensinnig aus dem Kreis der allzu lauten Anführer davon, die den aus den Impulsen der Nouvelle Vague geborenen Autorenfilm bald überall in Europa proklamierten. In einem seiner wenigen, späten Interviews nach weiter bestehenden Kontakten zu anderen rüstigen Altmeistern der Nouvelle Vague befragt, bekannte er: „Man ist als Filmemacher sehr isoliert. Man sieht sich wenig, aber schätzt sich sehr.“

Was von Rohmer bleiben wird? „Das grüne Leuchten“ – und das Leuchten überhaupt seiner Filme. Das verlegene, ins Erwachsenwerden voranstolpernde Lachen seiner oft unendlich durch Sommerlandschaften spazierenden Heldinnen und Helden. Die Jugend. Die Unruhe. Die Zärtlichkeit. Die Jugend. Und wieder die Unruhe. Und, ganz am Ende, die Jugend. Am Montag ist Eric Rohmer in Paris im Alter von 89 Jahren gestorben.

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