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Eszter Tompa, Oana Mardare in „Kontinental ’25“.

© Grandfilm

„Kontinental ’25“ von Radu Jude im Kino: Schuld und Sühne auf Rumänisch

Radu Jude erzählt in seinem neuen Film von den Widersprüchlichkeiten des Lebens im Spätkapitalismus. Dafür gab es den Silbernen Bären für das beste Drehbuch.

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Im Wald Transsilvaniens lauern keine Vampire, sondern brüllende Dinosaurier. Von den riesigen mechanischen Tieren unbeeindruckt sammelt Ion (Gabriel Spahiu) hier Plastikflaschen. Fluchend rutscht er Böschungen hinunter, um sie aufzugabeln. Zurück in der Stadt geht ihm ein anderes Tier auf die Nerven: ein Roboter-Hund, der ihm nicht von der Pelle rücken will.

Etwas weiter machen Passanten Kniebeugen an einer Bushaltestelle – wer 20 schafft, bekommt eine Busfahrt umsonst, eine Kampagne der Stadt, die einen gesünderen Lifestyle ihrer Bewohner fördern soll.

Radu Judes Film „Kontinental ’25“ ist voll von solchen absurden Alltagsbeobachtungen aus Cluj-Napoca, der zweitgrößten Stadt Rumäniens. Die schnell wachsende Stadt hat sich zum Standort für die IT-Industrie und zum Touristenziel entwickelt, überall schießen schicke Wohnsiedlungen und Hotels aus dem Boden, sie gilt vielen als Erfolgsgeschichte.

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Für Menschen wie Ion ist in dieser Erzählung allerdings kein Platz. Er hat Unterschlupf in einem Heizungskeller gefunden, doch eines Morgens hämmert es gegen die Tür – die Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa) ist mit der Gendarmerie gekommen, um Ion herauszuschmeißen. Aus dem Gebäude soll ein Boutique-Hotel werden, der illegale Bewohner muss weg. Während Orsolya und die Gendarmen draußen warten, bis Ion seine Sachen zusammengepackt hat, erhängt der sich an einem Heizungskörper.  

Ion (Gabriel Spahiu) mit seinen Flaschen.

© Grandfilm

Die schockierte Orsolya wird fortan zur Protagonistin des Films. Rein rechtlich treffe sie keine Schuld, das betont sie immer wieder in zahlreichen Gesprächen. Und doch lassen sie die Schuldgefühle einfach nicht los, worauf ihre Gesprächspartner mal mehr, mal weniger verständnisvoll reagieren. Orsolya hat schließlich nur ihre Arbeit getan.

Weniger experimentell als „Bad Luck Banging or Loony Porn“

Premiere feierte „Kontinental ’25“ auf der diesjährigen Berlinale, wo Radu Jude den Silbernen Bären für das beste Drehbuch gewann – zu Recht. Der Film ist zwar deutlich weniger experimentell, schrill und überbordend mit Ideen wie noch sein Bären-Gewinner von 2021, „Bad Luck Banging or Loony Porn“, doch in den zahlreichen langen Gesprächen, die Orsolya führt, deckt der rumänische Regisseur immer wieder auf mal subtile, mal humoristische Art und Weise die Widersprüchlichkeiten des Lebens im Spätkapitalismus auf.

Seine Protagonistin ist schließlich kein Monstrum, sie versucht, ein richtiges Leben im Falschen zu führen: Sie nimmt keine Zwangsräumungen im Winter vor, außerdem spendet sie für diverse Organisationen je zwei Euro im Monat. Ion hatte sie bereits Aufschub gewährt und sich dafür mit der deutschen Immobilienfirma angelegt, die ihn schnell draußen haben wollte. Aber war das genug? Hätte sie ihm nicht vielleicht einen Job in ihrem Büro anbieten sollen? Orsolyas Vorgesetzte reagieren auf solche Anwandlungen mit Kopfschütteln.

Gedreht in elf Tagen mit dem iPhone

Judes Film ist inspiriert von Roberto Rossellinis „Europa ‘51“. Darin spielt Ingrid Bergman eine wohlhabende Ehefrau und Mutter, die sich nach dem Suizid ihres Sohnes der radikalen Nächstenliebe widmet – was ihr Umfeld ebenfalls befremdet. Orsolyas Bemühungen sind dagegen weniger allumfassend. Sie bestraft sich selbst, indem sie nicht mit in den Familienurlaub fährt, sucht Absolution beim orthodoxen Priester und Zuflucht im Alkohol.

Während man Orsolya bei ihrer Sinnsuche zuschaut, lernt man nebenbei auch noch einiges über die rumänische Gesellschaft. Cluj-Napoca ist kulturelles Zentrum der ungarischen Minderheit in Rumänien, der Orsolya angehört – Transsilvanien war lange Teil von Ungarn.  Die beiden Gruppen stehen sich nicht gerade freundlich gegenüber, Orsolyas Mutter, großer Orban-Fan, etwa lästert über die Rumänen als „dumme Bauern“, Orsolyas Identität hingegen wird von Internet-Trollen gegen sie verwendet.

Orsolya (Eszter Tompa) beim Smalltalk mit der Gendarmerie.

© Grandfilm

Obwohl das Drehbuch und die schauspielerischen Leistungen, allen voran die von Eszter Tompa, glänzen, ist „Kontinental ’25“ wahrlich kein visuelles Feuerwerk. Gedreht wurde der Film innerhalb von elf Tagen auf einem iPhone, und das sieht man ihm auch an. Wobei auch das ein politisches Statement ist: Radu Jude hat in Interviews erzählt, wie zynisch er es empfinde, wenn Filme über Armut und soziale Ungleichheit mit einem Millionen-Budget gedreht werden.

Nach all den Konversationen endet sein Film wortlos, mit Aufnahmen von heruntergekommenen Sozialsiedlungen und auf prunkvolle Weise geschmacklosen neuen Wohnblöcken. Kein Kommentar nötig.

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