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Yojimbo - der Leibwächter   Yojimbo

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Zynismus und Ironie: Im Western was Neues

Der Film "Für eine Handvoll Dollar" verhalf dem Western 1964 zu einer Wiedergeburt – dabei war die Story im Fernen Osten geklaut. Neu für das Genre waren Zynismus und Ironie.

Sergio Leone öffnete den Brief, las die ersten Worte und war außer sich vor Freude. Der 35-Jährige hatte gerade seinen zweiten Film als Regisseur abgedreht, als ihn die Nachricht des berühmten Kollegen erreichte. „Ich habe Ihren Film gesehen und mag ihn“, schrieb ihm der Japaner Akira Kurosawa, schon damals, 1964, eine internationale Kino-Legende. Doch Leone musste schnell feststellen, dass das Lob vergiftet war. „Für eine Handvoll Dollar“, so Kurosawa weiter, erzähle wirklich eine sehr interessante Geschichte – „nur leider ist es meine.“

Kurosawa, 54 Jahre alt, großgewachsen, Nachfahre einer traditionsreichen Samurai-Dynastie und mit „Rashomon“ Anfang der 50er Gewinner des Goldenen Löwens und des Oscars, trug zu dieser Zeit bereits den Spitznamen Tenno. Als Kaiser galt er nicht nur wegen seines Genies, sondern auch wegen seines stolzen, oft herrischen und aufbrausenden Charakters. Über Leone empörte er sich nun aber aus gutem Grund. Denn der Italiener hatte mit „Für eine Handvoll Dollar“ einen seiner Filme kopiert. Ohne um Erlaubnis zu fragen.

Das Original hieß „Yojimbo“ („Der Leibwächter“) und kam 1961 in die Kinos. Kurosawa erzählt darin die Geschichte eines herrenlosen, umherziehenden Samurai, der ein Dorf passiert, das in zwei rivalisierende Lager gespalten ist: die Reiswein- und die Seidenhändler. Lässig, zynisch und auf den eigenen Vorteil bedacht, dient sich der überlegene Schwertkämpfer gegen gute Bezahlung beiden Seiten an und spielt sie gegeneinander aus; dabei werden fast alle Männer getötet. Am Ende muss sich der namenlose Held einem Duell stellen. Er gewinnt und geht wieder seiner Wege.

Leone übernahm diese Handlung fast vollständig. Wie „Yojimbo“ so spielt auch „Für eine Handvoll Dollar“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Allerdings nicht in Japan, sondern an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Und statt eines Schwertkämpfers ist die Hauptfigur ein Revolverheld, dargestellt vom damals nahezu unbekannten Clint Eastwood.

„Für eine Handvoll Dollar“ beginnt mit schneller, rhythmischer Musik, unterlegt von Schüssen und eindringlichem Pfeifen. Eastwood – unrasiert, schmutzig, mit Poncho und Cowboyhut bekleidet – reitet auf einem Esel durch die Wüste, im Hintergrund ragen Berge auf. Dann erscheinen flache, weiße Häuser aus Lehmziegeln – ein trostloses Dorf. Dort wird der Fremde von einem Pferd begrüßt, auf dessen Rücken ein Toter sitzt, er trägt einen Mexikanerhut auf dem Kopf. Später kehrt Eastwood im örtlichen Saloon ein, trinkt Schnaps und löffelt Bohnensuppe. Der alte Besitzer rät ihm, schnell wieder zu verschwinden. Hier, im Örtchen San Miguel, würden sich zwei Clans bekriegen, erzählt er: die Baxters, Waffenhändler, und die Rojos, Alkoholschmuggler. „Jeden Tag gibt es eine Beerdigung“, jammert der Wirt – und tatsächlich ist draußen ein Hämmern zu hören. Der Sargmacher hat wieder mal Arbeit.

Schaut man sich nach diesen Szenen Kurosawas Film an, beschleicht einen schon am Anfang ein Déjà-vu-Gefühl. Auch hier hört man schnelle, rythmische Musik, statt eines Pfeifens geben Klanghölzer den Takt vor. Der Samurai, im dunklen Kimono und mit Zopf, ist ebenso schmutzig und unrasiert wie Eastwood. Er zieht zu Fuß durch karge Felder, im Hintergrund ragen Berge auf. In einem trostlosen Dorf wird er von einem Hund begrüßt, in dessen Maul eine Menschenhand steckt. Später kehrt er in der örtlichen Kneipe ein, der alte Besitzer klärt ihn über die Kämpfe im Dorf auf und rät, zu verschwinden. Während der Fremde Reis isst und Sake trinkt, ist draußen ein Hämmern zu hören. „Das ist der Sargmacher“, sagt der Wirt. „Er hat viel zu tun.“

„Yojimbo“ war weder das bestbesprochene noch das einträglichste Werk Kurosawas. Niemand konnte ahnen, dass Leones Adaption dieses mäßig erfolgreichen Films nicht nur sehr viel Geld einspielen, sondern zur Zäsur in der Kinogeschichte werden würde. Schließlich war „Für eine Handvoll Dollar“ auch noch ausgesprochen billig produziert, Clint Eastwood bekam als Gage gerade mal 15 000 Dollar und einen sechswöchigen Spanienurlaub. Doch ausgerechnet diese in Rom und Andalusien gedrehte spanisch-deutsch-italienische Co-Produktion, die sich ihre Story in Fernost lieh, belebte und veränderte ein uramerikanisches Genre: den Western.

Dessen Zeit schien damals endgültig vorbei zu sein. 1950 machten Western laut dem britischen Autor und Filmexperten Christopher Frayling noch 34 Prozent aller Hollywood-Produktionen aus, 1963 waren es nur mehr neun Prozent. Alle Geschichten schienen erzählt, man suchte im Ausland nach neuer Inspiration. Schon 1960 hatte ein Kurosawa-Film („Die sieben Samurai“) als Vorlage für einen Western herhalten müssen: für John Sturges’ „Die glorreichen Sieben“. US-Autoren und Regisseure standen „vor dem Dilemma, dass es zu viele ,große’ Western gegeben hatte, um problemlos immer wieder einen hinzufügen zu können“, schreibt der Filmkritiker Georg Seeßlen in seinem Buch „Western“.

Anfang der 60er Jahre war das Genre ja auch schon über ein halbes Jahrhundert alt. Begonnen hatte alles mit „Der große Eisenbahnraub“ von 1903, einem Zwölfminüter. Noch in der Stummfilmzeit erreichte der Western seinen ersten Höhepunkt, an den sich die großen Epen der 40er und 50er anschlossen. Der Klassiker „Stagecoach“ („Ringo“) mit John Wayne erschien 1939, „High Noon“ („Zwölf Uhr mittags“) mit Gary Cooper 1952. Western begründeten Starkarrieren und den Ruf Hollywoods als mächtigster Filmfabrik der Welt.

Denn die Faszination für Geschichten von der Eroberung des amerikanischen Westens reichte von Beginn an weit über die Grenzen der USA hinaus. Einzelne Western wurden früh auch in England, Italien, Frankreich und später sogar in der DDR gedreht. Allerdings waren die Indianer in den sozialistischen „Ostern“ nicht Feinde aufrechter Siedler, sondern heldenhafte Kämpfer gegen imperialistische Amerikaner. Der sowjetische Diktator Josef Stalin ließ US-Western zwar aus den Kinos verbannen, schaute sie sich aber gern heimlich mit seinem Außenminister und dem KGB-Chef im Kreml an.

Gleichzeitig beeinflusste der Western Regisseure in aller Welt, selbst wenn sie Filme drehten, die mit dem Genre auf den ersten Blick gar nichts zu tun hatten. Kurosawa war interessanterweise einer von ihnen. In seiner Autobiografie von 1982 hat er aufgelistet, was er in Tokio als Kind und Jugendlicher im Kino sah – im Jahr 1926 zum Beispiel „Three bad Men“ („Drei Halunken“) von John Ford, einem der wichtigsten Western-Regisseure, den Kurosawa auch oft als Vorbild nannte. „Gute Western werden von allen Menschen gemocht, unabhängig von der Nationalität“, sagte der Japaner einmal in einem Interview. „Sie wurden über sehr lange Zeit gedreht, also sozusagen geknetet, zerstoßen und poliert und entwickelten dabei eine eigene filmische ,Grammatik’, von der ich gelernt habe.“ Filmwissenschaftler wollen diese Grammatik in „Yojimbo“ erkannt haben. Der Film ist auch insofern „westlich“, als dass sich Kurosawa für ihn wohl von einem amerikanischen Kriminalroman inspirieren ließ.

Der ehemalige US-Präsident Richard Nixon führte die Popularität des Western darauf zurück, dass in den Filmen stets die Guten gewinnen. Western zeigten, dass „es eine Zeit ohne Gesetz gab, aber am Ende setzte sich das Recht durch“. Der klassische Western erzählt von der Eroberung der Wildnis genauso wie vom Ende der Anarchie. Im Mittelpunkt stehen Helden, die das Böse niederringen und eine neue, bessere Ordnung errichten. Besonders in den 40ern und 50ern wurden dabei Werte wie Aufopferungsbereitschaft und Ehre betont. In „High Noon“ etwa stellt sich Gary Cooper als Town Marshal einsam und mutig dem Duell mit einer Bande.

Mit Sergio Leone beginnt 1964 eine Abkehr von diesen traditionellen Werten. Geboren 1929, wuchs Leone in Rom auf, als Sohn eines Regisseurs und einer Schauspielerin. Wie Kurosawa war er als Kind Westernfan, träumte von den Weiten der Prärie und verehrte die USA zutiefst. Doch mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den US-Besatzern kam die Ernüchterung. Die vergnügungssüchtigen Soldaten waren dem jungen Leone nicht sympathisch. Der Vietnamkrieg verstärkte die Enttäuschung.

Leone gab sein Debüt als Regisseur 1961 mit „Der Koloss von Rhodos“, einem von unzähligen Antikenfilmen, die zu dieser Zeit in den römischen Cinecittà-Studios produziert wurden. Dass und wie Leone sich danach dem Western zuwandte, ist nicht überraschend. Einerseits liebte er das Genre noch immer, andererseits misstraute er dem Western-Mythos mittlerweile.

Das japanische Vorbild mit seiner Gewalt, seinem Pessimismus und schwarzem Humor kam da gerade recht. Denn der Held in „Yojimbo“ ist eben nicht das personifizierte Gute. Er ist ein Outlaw – und reiht sich damit ein in eine lange Tradition von Antihelden im japanischen Film, wie Evi Hallermayer in ihrem Buch „Filme analysieren – Kulturen verstehen“ (UVK Verlag) erklärt. Die Medienpädagogin hat die Unterschiede zwischen Original und Remake untersucht. Für sie wird Kurosawas Stoff in Leones Händen zu einem sehr italienischen Film – und zu einer Abrechnung mit den USA und dem amerikanischen Kapitalismus.

Eastwood kommt nicht nur körperlich dreckiger daher als es die Helden früherer Western je waren. Er hat auch keine Ideale mehr, ist zynisch und käuflich, bereit, für eine Handvoll Dollar zu töten. Dabei kämpft er für die Baxters ebenso wie für die Rojos, die beide gleichermaßen amoralisch sind. Das Dorf San Miguel ist heruntergewirtschaftet, sogar sein Sheriff korrupt. Hier wird keine neue Ordnung mehr etabliert, es herrscht das Recht des Stärkeren.

Wie bei Kurosawa, so gibt es jedoch auch in „Für eine Handvoll Dollar“ einen Moment, in dem der Held Gutes tut. Samurai wie Cowboy retten eine junge Familie – Vater, Mutter und Kind. Bei Leone heißen die drei José, Marisol und Jesus. Es ist nur ein Beispiel für die katholische Ikonografie, die im Werk des Italieners immer wieder auftaucht.

Der von Eastwood dargestellte Held ist also nicht per se schlecht. Er müsse einfach brutal sein, weil die Welt, in der er existiert, brutal und durchkriminalisiert ist, schreibt Filmexperte Seeßlen.

Der Erfolg von „Für eine Handvoll Dollar“ führte zu einer Welle von Italo-Western, von „Django“ bis „Mein Name ist Nobody“. Viele Kritiker waren wenig begeistert. „Spaghetti-Western“ nannten sie die Filme abfällig und beklagten, sie seien zu gewalttätig und zu unauthentisch. Die oliv-graue Landschaft Südspaniens, wo „Für eine Handvoll Dollar“ vor allem entstand, sah ja tatsächlich anders aus als die rötliche Wüste von New Mexico oder Arizona. Und dann wird in „Für eine Handvoll Dollar“ auch noch eine wehrlose Frau erschossen – im klassischen Western undenkbar.

Leone drehte zwei Fortsetzungen des Films und 1968 dann „Spiel mir das Lied vom Tod“. Mit diesem erreicht seine Kunst ihren Höhepunkt: Der Italiener nimmt hergebrachte Westernbilder, setzt sie neu zusammen und schafft so eine Persiflage und einen grandiosen Abgesang. Mit der theatralischen Musik von Ennio Morricone und den durchinszenierten Schießereien wirkt der Film eher wie eine Oper. In der Eingangsszene warten Männer auf den 12-Uhr-Zug, doch der hat zwei Stunden Verspätung. In „High Noon“ war er noch pünktlich gewesen. Der Mythos vom alten Western löst sich auf: in Gewalt und Satire.

Auch die Amerikaner sollten später Western drehen, die die Legenden des Genres zerstörten. Indianer konnten dann Helden („Der mit dem Wolf tanzt“, 1990) und Cowboys schwul („Brokeback Mountain“, 2005) sein. 1964 aber war ein solch respektloser Umgang mit nationalen Heiligtümern noch nicht möglich. Die McCarthy-Ära, in der viele Filmschaffende „unamerikanischer Umtriebe“ beschuldigt wurden, lag gerade ein paar Jahre zurück. Es brauchte einen Eastern, um den Western zu verändern.

Dabei geht es auch in Kurosawas Film um einen Abgesang. Nicht auf Amerikas Mythen natürlich. Aber auf das alte Japan. „Yojimbo“ spielt in der Zeit vor der Meiji-Restauration, als Japan sich radikal dem Westen zuwandte. Der Anzug verdrängte damals den Kimono – und die Zeit der Samurai ging ebenso zu Ende wie die der Cowboys. Die alten Ideale des Samurai-Ehrenkodex, etwa Mut und Aufrichtigkeit, zählten nicht mehr viel.

Für Akira Kurosawa erwies sich Leones Remake als gutes Geschäft. Er einigte sich außergerichtlich mit dem Italiener und erhielt alle Rechte für die Vermarktung von „Für eine Handvoll Dollar“ in Japan, Taiwan und Südkorea. Außerdem wurde er mit 15 Prozent am weltweiten Gewinn beteiligt. Glaubt man dem Western-Experten Christopher Frayling, dann hat Kurosawa mit Leones Film mehr verdient als je mit einem eigenen.

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