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Blick auf eine Wiese von Cape Sanders in der Nähe der neuseeländischen Stadt Dunedin

© AFP

"Doom Creek" von Alan Carter: Kiwis und Amis

Nach "Marlborough Man" lässt der britische Autor Alan Carter in „Doom Creek“ seinen Undercover-Cop Nick Chesters erneut in Neuseeland ermitteln.

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Es wirkt, als hätte die Handvoll rechter Spinner in Alan Carters Krimi „Doom Creek“ (Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Suhrkamp, Berlin 2021.405 S., 15, 95 €.) Neil Youngs Song „After the Gold Rush“ wörtlich genommen. Young sang darin 1970 von einer kaputten Erde, von „mother nature's silver seed“, von der Suche nach einer neuen Heimat.

Carters Doomsday Prepper sind davon überzeugt, dass das Ende naht – und die Apokalypse für sie nicht gilt. Dank sorgfältig gesteckter Drähte in die Wirtschaft, in Regierungen und Geheimdienste holen sie ihre Schäfchen ins Trockene.

Kaum ein Ort scheint dafür so geeignet wie das entlegene, von gemäßigtem Klima und grünen Hügeln gesegnete Neuseeland. „Amis“, seufzt jemand in „Doom Creek“. „Die rennen jetzt zu Tausenden hier rum, seit ihr Land den Bach runtergeht.“

Nachdem der gebürtige Brite Alan Carter in vier Bänden den in Ungnade gefallenen Polizisten Cato Kwong in seiner Wahlheimat Westaustralien ermitteln ließ, wandte er sich 2018 mit „Marlborough Man“ den Fjorden zu, die die Südinsel Neuseelands nach oben hin ausfransen lassen. Das Zeugenschutzprogramm führt darin den Undercover-Cop Nick Chester mit seiner Familie in ein abgelegenes Tal in den Marlborough Sounds.

"Doom Creek" funktioniert auch als Einstieg

„Marlborough Man“ wurde bei Erscheinen für seine trockene Hardboiled-Attitüde und die kluge Plotkonstruktion gelobt. Nun folgt der zweite Teil, der dank unaufdringlich in den Text gewobener Rückblicke auch als Einstieg gut funktioniert.

Eine Gruppe schwer bewaffneter US-Amerikaner nistet sich in der Kleinstadt Havelock ein, errichtet eine Festung für superreiche Weltuntergangsjünger und schert sich um gute Manieren ebenso wenig wie um die Grundstücksgrenzen der Nachbarn. Derweil fördern nahe gelegene Dreharbeiten zu einem Historienfilm über den neuseeländischen Goldrausch ein übel zugerichtetes Skelett zutage.

„Doom Creek“ ist ein wütender Roman. Nick Chesters scheint Alan Carters anderes Ich zu sein und richtet sich gegen Trump und seine Unterstützer ebenso wie gegen die Backlashs, die geradezu obligatorisch auf jede noch so kleine gesellschaftliche Errungenschaft folgen.

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Dabei zeigt Carter Seiten von Neuseeland, die nicht so recht zum Bild des aus der Ferne leicht verklärten Auenlandes passen: Überheblichkeit den Problemen anderer Nationen gegenüber. Mikroaggressionen, die die Stimmung vergiften und stets durchbrechen, wenn Nick und seine Kollegin Constable Latifa Rapata von Haustür zu Haustür ziehen oder die Verkehrsteilnehmer auf den Straßen maßregeln.

Im Wortsinne destabilisiert wird das ohnehin von Gruben und verborgenen Höhlen durchzogene Land außerdem durch die modernen Goldschürfer, die mit lärmenden Höllenmaschinen Hänge abholzen, halbe Flüsse umgraben.

Carter nutzt diese Umweltkatastrophe mit Ansage immer wieder als Stilmittel, beschwört paradiesische Ruhe herauf, nur um sie im nächsten Satz durch jaulende Kettensägen und krachend fallende Bäume zu stören. Nick verzeichnet diese Beobachtungen in lakonischen, oft einsilbigen Sätzen.

"Wem will ich hier was vormachen"?

Er ist die Stimme von „Doom Creek“, sein Tonfall eine eigentümliche Mischung aus den intimen Gedankengängen eines Tagebuchs und der Pflichtschuld eines Polizeiberichts.

„Zurück zu den Mumienkandidaten“, führt er nach ein paar gedanklichen Kurven zu den Ermittlungsarbeiten zurück, so als arbeite er eine leidige To-Do-Liste ab.

Die Auflösung des zugegeben etwas verworrenen Krimiplots rückt dabei tatsächlich zunehmend hinter Nick Chesters’ persönlichen Baustellen in den Hintergrund. Die Ehe kriselt, ein Gesundheits-Check-up steht an, schließlich droht gerät er selbst in den Kreis der Verdächtigen.

Auf sich selbst zurückgeworfen dringt die Außenwelt, dringen Nicks Vorgesetzte und selbst seine Familie immer seltener zu ihm durch; sein anfänglicher Sarkasmus wandelt sich zu wunder Wahrhaftigkeit.

„Wem will ich hier was vormachen?“, fragt er, als er sich bei seinen Ausflüchten ertappt. Immer häufiger findet er Halt in den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit. Sie helfen ihm, bei Verstand zu bleiben und sich von den wahren Verbrechern zu unterscheiden: „Das Beste wäre, diese Arschlöcher mit Kiwi-Regeln zu Tode zu langweilen.“ Eine bemerkenswerte Erkenntnis für einen Hardboiled–Detective.

Katrin Doerksen

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