
© Filmfestival Venedig
Kolumne „Mehrwert“, Folge 17: Auf Tuchfühlung mit Tätern
Embedded Journalismus: Was begreifen wir über Täter, wenn wir ihnen mit der Kamera folgen? Überlegungen angesichts der Venedig-Premiere des Taliban-Films „Hollywoodgate“.
Stand:
Begreifen wir etwas über das Wesen der Gewalt und das Mindset von Täter:innen, wenn wir ihnen nahe kommen und ihren Blickwinkel einnehmen? Entlarvt das Böse sich selbst? Oder gehen wir ihm dann auf den Leim und verraten die Opfer?
Kontrollierte Kriegsberichterstattung, überwachte Reportagen aus dem abgeschotteten Nordkorea, offizielle, „gelenkte“ Porträts von Potentaten: Spätestens seit sich mit dem Irakkrieg der Begriff des embedded journalism etabliert hat, wird über die Moral solcher Unternehmungen diskutiert. Der Grat zwischen propagandistischer Indienstnahme und einer den Zensurbedingungen abgetrotzten Erkenntnis ist schmal.
Beim Filmfest Venedig feierte jetzt der Dokumentarfilm „Hollywoodgate“ Premiere: Der ägyptische TV-Journalist Ibrahim Nash’at, der für Medien wie Al Jazeera und die Deutsche Welle schon häufiger Machthaber filmte, begleitete mit der Kamera ein Jahr lang den neuen Chef der afghanischen Luftwaffe, Malawi Mansour, und dessen Taliban-Truppe, als diese eine überstürzt verlassene US-Militärbasis namens Hollywoodgate in Kabul übernehmen.
Bekleidet mit archaisch anmutenden Filzmützen, inspizieren die Männer das Lager, staunen über Alkohol, Walkie-Talkies oder Kartons voller Hustenbonbons. Und sie nehmen das Waffenarsenal in Augenschein, Panzer, Starfighter, Black-Hawk-Hubschrauber. Wie repariert man sie, wer kann sie fliegen?
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Nash’ats Deal mit den Taliban war: Er zeigt deren Arbeit aus seiner Perspektive und verzichtet auf jeden Kommentar. Sie misstrauten ihm zwar, hofften aber auf eine gute „Show“ in eigener Sache. Im Film könne man sehen, wie die Taliban gesehen werden wollen, wie sie „performen“, so Nash’at in Venedig.
Am aufschlussreichsten dieses „embedded“ entstandenen Films ist am Ende dennoch, was fehlt. Nicht nur, weil Frauen in dieser Männerwelt nicht existieren. Sondern auch, weil er das verheerende Vakuum offenkundig macht, das mit dem überstürzten Abzug der Nato-Truppen einherging.
Die Militärparade am Ende zeigt unmissverständlich: Die Taliban wollen nicht nur das afghanische Volk unterjochen, sondern auch Eroberungskriege führen. Und der Westen hat Afghanistan nicht nur im Stich gelassen, sondern er gibt den Tätern (mit Waffen im Wert von 7 Milliarden Dollar, wie der Abspann verrät) auch die Mittel für weitere Verbrechen an die Hand.
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