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Debora Antmann

© privat

Kolumne Schlamasseltov: Berliner Toleranz nur für Lamas?

Mit der gern lautstark proklamierten Offenheit ist es in der Hauptstadt oft nicht weit her. Unsere Kolumnistin erlebt hier viel Gestarre und Gegrabsche.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

Berlin: Das Mekka der Individualität. Zumindest ist es das, was ich gelernt habe. „In Berlin kannste mit nem Lama durch die Straßen laufen und niemand interessiert’s“. Aber was, wenn Du kein Lama bist, sondern ne fette jüdische Lesbe im Rollstuhl? Da ist das „Ur-Berlin“ an seinen Grenzen.

Schon als ich noch laufen konnte, haben es sich weiß-christlich-deutsche Berliner_innen nicht nehmen lassen meinen Körper zu kommentieren. Von „Das Eis sollten Sie wirklich nicht essen“ bis „Das ist eine Beleidigung für die Augen“. Oder genauso wildfremde Berliner_innen haben ungefragt in mein Dekolleté gegriffen, um den kleinen goldenen Davidstern anzufassen und mich vollzuquatschen. Oder haben mich mit Deutschlandfahnen beworfen, wenn ich mit meiner Partnerin an der Hand nach Hause gelaufen bin. Schon da hatte Berlin offensichtlich die Grenzen seiner Toleranz erreicht.

Seit ich im Rollstuhl bin, ist das Starren durchgängig geworden. Ich weiß nie, ob es der Rollstuhl, der Stern, die Partnerin an meiner Hand ist. Oft wahrscheinlich alles gleichzeitig. Menschen greifen noch selbstverständlicher auf meinen Körper zu.

Nicht mehr um nach dem kleinen goldenen Anhänger zu greifen, sondern nach mir. Das Gefühl, dass Deutsche denken, jüdische Körper gehören selbstverständlich ihnen, vermischt sich mit dem Wissen, dass behinderten Menschen kein Recht auf körperliche Integrität zugesprochen wird.

Wehre ich mich, gelte ich als ungehobelt, undankbar, unverschämt. Ich gelange mit meiner reinen Existenz an die Grenzen der wunderbaren Berliner Toleranz. Von einer Berliner Selbstverständlichkeit kann ich nicht mal träumen. Die gibt es scheinbar nur für Lamas. Ich weiß nicht, was diese Offenheit sein soll, mit der sich bestimmte Menschen hier schmücken.

Ausgerechnet jene Menschen, die zu diesem Ruf nichts weiter beitragen, als es für jene unerträglich zu machen, die für diese vermeintliche Offenheit stehen sollen. Menschen, die nicht dank weiß-christlich-deutscher Berliner_innen Freiräume, Subkultur bzw. Kultur ganz generell schaffen und Kaltland etwas wärmer machen, sondern trotz ihnen.

Als Jüd_in, als Lesbe, als Krüppel fühle ich mich in Berlin nicht wegen jener Menschen wohl, die sich ihrer Toleranz rühmen, als wäre Toleranz alles, was wir verdient haben. Die uns, wenn wir höflich sind, ein Stückchen vom Kuchen zugestehen. Berlin ist meine Stadt, wegen jener, die (wann immer es geht) auf Kuchen scheißen und einfach Babka backen.

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