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Kolumne Schlamasseltov: Die Stadt der einsamen Juden
Obwohl Berlin über eine gewisse jüdische Infrastruktur verfügt, fühlen sich vor allem aus der säkularen Community viele vereinzelt – unsere Kolumnistin gehört dazu.

Stand:
Berlin ist die Stadt mit der größten Dichte an koscheren Supermärkten in Deutschland – die meisten Städte haben gar keinen. Und gleichzeitig gibt es wohl kaum eine Großstadt mit mehr einsamen Jüd_innen als Berlin. Ich gebe zu: Das zweite ist eine gefühlte Wahrheit.
Doch was haben koschere Läden mit Einsamkeit zu tun? Erstmal nichts. Aber es erstaunt mich immer wieder, dass die Stadt, die im jüdischen Nirgendwo-Land Deutschland, zumindest auf den ersten Blick, mehr Jüdisches zu haben scheint, als die meisten anderen Städte – mehr Läden, mehr Synagogen, mehr koschere Restaurants – in meiner Realität ein Ort der jüdischen Einzelhaft ist.
Ich habe mehr jüdische Freund_innen in Köln oder Hamburg, als hier. Und mehr als einmal hatte ich mit jüdischen Freund_innen aus anderen Städten Gespräche, die so, oder so ähnlich abliefen: „,Kennst Du eigentlich XY?’ – ,Ich weiß, wer das ist, aber wir sind uns noch nie begegnet. Ich kenne ja kaum Jüd_innen in Berlin.’ – „Das ist so schräg, das sagen ALLE meine jüdischen Freund_innen aus Berlin“.
Natürlich ist Isolation eine klassische jüdische Realität in der gesamten Bundesrepublik. Aber an Berlin ist so faszinierend: Selbst Jüd_innen, die es aus der Isolation herausgeschafft haben, die vielleicht sogar inzwischen gut vernetzt sind, haben keine jüdischen Vertrauten. Zumindest nicht in Berlin.
Die Begegnung mit Miron Tenenberg bei einem Interview hat es gut auf den Punkt gebracht: Bei der Begrüßung fragte mich Miron: „Wir sind uns noch nie begegnet, oder?“ Und meine sarkastische Antwort war: „Wie auch? Wir sind ja beide in Berlin …“. Miron wusste sofort, was ich meine, und wir haben uns kurz darüber unterhalten, dass die Gemeinde der einzige Ort in Berlin ist, an dem Jüd_innen gezielt jüdische Verbindungen knüpfen können. Und wie einsam es ist, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Gemeinde ist.
Und nochmal: natürlich ist diese Einsamkeit, insbesondere von säkularen Jüd_innen, kein Berliner, sondern ein deutsches Phänomen. Aber ich sehe andere Großstädte wie Köln, Leipzig oder Frankfurt, in denen sich Jüd_innen endlich jenseits der Gemeinden finden und beginnen sich ihre eigenen (zum Teil säkularen) Communitys aufzubauen. Auch in Berlin gab es beispielsweise immer Israelis, die sich unter anderem über Aktivismus miteinander verbunden fühlten.
Aber abgesehen davon, ist Berlin für Jüd_innen eben eher wie das Bayrische Wald an der Alz, als eine Metropole. Trotz fünf koscherer Supermärkte und einer Hand voll koscherer Restaurants.
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