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Kolumne Schlamasseltov: Konfliktlinien zeichnen unsere Körper
Die Sorge um die eigene Familie sowie die Sorge um jene Menschen, die durch die Hamas und israelische Militäroffensiven in unmittelbarer Gefahr sind, haben auch physische Auswirkungen.

Stand:
Ich wache auf und kann mich vor Schmerzen nicht bewegen. Es ist der 7. Oktober und ich habe einen Bandscheibenvorfall. Es ist, als wüsste mein Körper vor mir, was auf uns zukommt – auf uns alle. Inzwischen sind meine Finger und Hände von Blasen übersäht. Psychosomatik is a bitch.
Mein Körper scheint unter der Sorge zusammenzubrechen. Sorge um meine Familie, Sorge um jene Menschen, die durch die Hamas und israelische Militäroffensiven in unmittelbarer Gefahr sind, Trauer um jene, die schon gestorben sind. Sorge um meine jüdischen Geschwister hier in Deutschland, gegen die sich stellvertretend Wut, Verzweiflung aber auch brutaler Hass und blanker Antisemitismus entlädt.
Sorge über die Wirkmächtigkeit rassistischer Narrative und die daraus resultierenden politischen Entscheidungen und polizeiliche Gewalt. Sorge um jene in meinem Umfeld, die um ermordete Angehörige trauern und jene, die noch bangen, noch hoffen. Sorge um mich, meine Partnerin, sogar meinen Hund.
In meinem Körper scheint nicht genug Platz für so viel Sorge, für so viel Trauer zu sein, deswegen expandiert er in Blasen. Mein Rücken scheint der Last nicht gewachsen zu sein. Meine Bandscheiben bersten unter all dem Kummer. Nicht nur meinem. Community bedeutet, es gibt Schmerz, der größer ist als wir selbst. Wir tragen einander auf den Schultern, so gut es geht. Wahrscheinlich schmerzen unser aller Rücken gerade.
Ich schlafe mit geschlossenen Fenstern, weil nachts die Straßen von Wut und Frust und Verzweiflung gepackt werden. An diesem Morgen schlägt mir der beißende Geruch von verbranntem Gummi, verbrannter Nacht entgegen. Aber es ist vor allem die Sorge, welche mich wie mein Muskelgedächtnis erfasst, die mir den Atem verschlägt.
Der Gestank von verschmortem Kunststoff und Angst, die einer entfernten Erinnerung gleicht, füllen meine Lungen, bis es schmerzt. Diese Tage schreiben sich in unsere Körper ein, während Beisitzer*innen analysieren und diskutieren, als ginge es um griechisches Theater.
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