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„Die Geschichte eines Überlebenden“ lautet der Untertitel der Graphic Novel „Maus“.

© dpa-Bildfunk

Kontroverse um den Comic "Maus": Die wahre Cancel Culture kommt von rechts

Im US-Bundesstaat Tennessee hat eine Schulbehörde die Graphic Novel „Maus“ aus den Bibliotheken verbannt. Der populistische Kulturkampf wird immer absurder.

Von Andreas Busche

Man kann dieser Tage froh sein, dass das US-Bildungssystem von Europa aus betrachtet ganz weit weg ist. Zumindest, was so manche Debatte angeht, die auf Elternversammlungen und in den Sitzungen der Schulbehörden gerade ausgetragen wird. Dabei ging es zuletzt immer seltener etwa um Corona-Maßnahmen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen in Klassenzimmern, sondern um Unterrichtsstoffe und Lehrpläne – und darum, was den Kindern „zumutbar“ sei.

Dass hier weniger Bildungsfragen im Mittelpunkt stehen, sondern politische Weltanschauungen, zeigt die aktuelle Entscheidung des Schulbezirks McMinn im Bundesstaat Tennessee, die mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnete Graphic Novel „Maus“ von Art Spiegelman aus den Schulbibliotheken zu verbannen. In dem Comic erzählt der Autor die Erfahrungen seiner Familie im Holocaust mit Mäusen und Katzen nach.

Man kennt diese Taktiken eines fiktiven Kulturkampfes hierzulande von Anfragen und Wortbeiträgen aus dem Lager der AfD, die sich, statt konstruktive Politik zu machen, lieber auf die emotionalen Schlachtfelder der sogenannten Identitätspolitik begibt. In einem zerstrittenen Land wie den Vereinigten Staaten treffen solche Diskussionen allerdings, auch wegen der zersplitterten Medienlandschaft, auf eine dankbare Öffentlichkeit. Dort finden Ankündigungen von genderneutralen Barbiepuppen und der „Entsexualisierung“ der Schokodrops M&Ms (erst vor einigen Tagen) empörte Abnehmer in rechtskonservativen Medien, die ihrerseits Identitätspolitik betreiben.

Das Verbot eines modernen Jugendbuchklassikers wie „Maus“ ist dabei ein besonders eklatantes Beispiel, weil es zeigt, wie wahllos dieser rechte Kulturkampf inzwischen geführt wird. Grund für die Verbannung seien, laut Schulbehörde, die „unnötige Nutzung von Obszönität und Nacktheit und die Darstellung von Gewalt und Suizid“ für eine Lehrstunde über den Holocaust. Lehrpläne sind in den USA längst ein Politikum. Im Oktober zog Terry McAuliffe, der demokratische Kandidat auf das Gouverneursamt von Virginia, den Zorn von Eltern auf sich, als er im Wahlkampf sagte, dass es nicht Aufgabe der Eltern sei, darüber zu bestimmen, was an Schulen unterrichtet wird. Er verlor darauf einen eigentlich hoffnungsvollen Wahlkampf gegen den Republikaner Glenn Youngkin.

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Auch die Debatten um die kritische Auseinandersetzung mit der amerikanischen Geschichte der Sklaverei im Schulunterricht, die sogenannte „Critical Race Theory“, fanden inzwischen ein prominentes Opfer. Ebenfalls in Virginia wurde im Oktober der Sklaverei-Roman „Menschenkind“ der Nobelpreisträgerin Toni Morrison vom Lehrplan gestrichen. Ein anderes Thema, das den Konservativen ein Dorn im Auge ist, ist die Sexualerziehung. An Jugendliche adressierte Bücher zum Thema LGBTQ stehen ebenfalls zunehmend im Visier von wütenden Eltern. LGBTQ-Bücher wurden auch im Zuge des „Maus“-Verbots aus den Schulbibliotheken in Tennessee verbannt. Die Kritik der Jugendlichen an dieser Entscheidung, nachzusehen auf Youtube, ist eloquent und herzergreifend.

Die „Maus“-Kontroverse zeigt nicht nur, dass der in rechten Kreisen beliebte Kampfbegriff „Cancel Culture“ (wenn es etwa um den Rassismus in „Huckleberry Finn“ geht) tatsächlich eine rechtspopulistische Praxis ist. Sondern vor allem, dass diese Politik gern auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen ausgetragen wird.

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