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Sebastian Ruff vom Berliner Stadtmuseum stellt die digitalisierten Manuskripte von Theodor Fontane vor.

© Jan Zappner/re:publica

Kulturprogramm der re:publica: Digitalisierung bietet Museen neue Chancen

Mehr Teilhabe, mehr Interaktion: Museen und andere traditionelle Kulturinstitutionen entdecken die Möglichkeiten der neuen Technologien.

Museen haben ein Imageproblem. Sie gelten als verstaubt und statisch, scheinen immer weniger in die flexible, schnelle und gut vernetzte digitale Welt zu passen. Doch langsam ändert sich dieses Bild. Kulturinstitutionen, auch Museen, öffnen sich immer stärker und digitalisieren ihre Bestände. So ist es nur auf den ersten Blick verwunderlich, dass der Schwerpunkt des Kulturprogramms der re:publica dieses Jahr auf Museen und Ausstellungsorten liegt.

Wie die Digitalisierung nicht nur Ausstellungsstücke für alle zugänglich macht, sondern auch die Forschung beeinflusst, hat Guido Faßbender von der Berlinischen Galerie am Dienstag erläutert. Das Museum, das sich auf Kunst aus Berlin konzentriert, ist Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Dass bislang verborgene Archivalien ans Licht kommen, ist für Faßbender besonders wichtig. „Archive sind dem Kommenden verpflichtet“, sagt er mit Derrida. Von rund 100 000 Kunstwerken seien bisher rund 20 Prozent digitalisiert, von 500 000 Artefakten nur sechs Prozent. darunter das Adressbuch der Dada-Künstlerin Hanna Höch. 1979 erworben, ist es in Gänze im Online-Archiv der Berlinischen Galerie zu sehen und inspiriert neue Forschung. So hat ein Wissenschaftler unabhängig vom Museum das Adressbuch ausgewertet und eine Monografie geschrieben, die neue Einblicke in das Leben der Künstlerin gibt. Forschung, die ohne die Digitalisierung des Artefakts nie zustande gekommen wäre.

Digitale Revolution von unten

„Digitalisierung erlaubt eine Demokratisierung des Wissens“, ist auch Sebastian Ruff vom Berliner Stadtmuseum überzeugt. Von rund 4,5 Millionen Objekten, die das Stadtmuseum besitzt, seien nur etwa 4000 ausgestellt. Die bisher unsichtbaren Artefakte könnten jetzt der Allgemeinheit und der Forschung zugänglich gemacht werden. Ruff stellt auf der re:publica einige Projekte des Stadtmuseums vor, etwa die digitalisierten Manuskripte von Theodor Fontane und die Visualisierung des Museumsdorfs Düppel. Mit Digitalisierung können jetzt nämlich konkurrierende Theorien zum Erscheinungsbild eines mittelalterliches Dorf sichtbar gemacht werden.

Finanziert werden die von Ruff und Faßbender vorgestellten Projekte von dem Forschungs- und Kompetenzzentrum Digitalisierung Berlin. Dort können sich seit 2012 Berliner Kulturinstitutionen bewerben, um Projektgelder für die Digitalisierung ihrer Bestände zu erhalten. Kultursenator Klaus Lederer, der sich für das Projekt eingesetzt hat, war am Dienstag Gast auf der re:publica und sprach über die Chancen, die Digitalisierung für Kulturverwaltungen bietet. Für ihn sei sie ein Mittel für mehr Teilhabe. Er wolle die nötigen Ressourcen bereitstellen, mit denen experimentiert werden könne. Wichtig für ihn: Die digitale Revolution müsse von unten erfolgen und nicht von großen Firmen durchgesetzt werden. „Das Ganze ist ein ergebnisoffener Prozess“, so Lederer, „bei dem es um mehr Partizipation und die Etablierung von Kulturinstitutionen als Dritte Orte geht.“ Orte also, die für alle zugänglich sind, an denen Menschen sich austauschen können.

Räume für den Austausch, digital und analog

Über dieses Konzept der Dritten Orte sprachen am Dienstagnachmittag Vertreterinnen und Vertreter des Stadtmuseums, der Berlinischen Galerie, der Bezirksbibliothek Pankow und des Museums für Naturkunde. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, will dafür Eintrittsgelder und starre Öffnungszeiten abschaffen. Gerade während der Zeit der Schließung seines Instituts sei ihm aufgefallen, dass es nicht zwingend Räumlichkeiten brauche, um ein Museum zu betreiben. Der digitale Raum und die Vernetzung mit der Nachbarschaft reiche aus. „Es ist wichtig, sich nicht an Objekten festzuhalten, sondern über den musealen Raum hinauszugreifen“, sagt Köhler.

Teilhabe ermöglichen will auch Wiebke Rössig, die das „Experimentierfeld für Partizipation und Offene Wissenschaft“ am Museum für Naturkunde leitet. Und das nicht nur auf digitaler, sondern auch auf analoger Ebene. So hat sie im Museum offene Räumlichkeiten für den Austausch geschaffen, die einer Küche und einem Wohnzimmer ähneln. An jedem Freitag lädt das Museum die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future ein, sich vor Ort mit Wissenschaftlerinnen auszutauschen. Ein Angebot, das genutzt wird: Zwischen 50 und 300 Menschen kommen jeden Freitag. „Digitalisierte Objekte öffnen den Zugang, aber es braucht trotzdem den direkten Austausch“, ist sich Rössig deshalb sicher.

Öffnung für neue Zielgruppen

Passend zum Schwerpunkt arbeitet die re:publica 2019 eng mit ihren Nachbarn am Gleisdreieck, dem Technikmuseum, zusammen. Erstmals fanden auf dessen Gelände Veranstaltungen statt, so auch im Lokschuppen. Neben historischen Zügen wurde dort am Mittwoch über die Zukunft des Museums diskutiert. Unter anderem stellte Katrin Glinka das vom Bund geförderte Projekt „museum4punkt0“ vor, bei dem in sechs Kulturinstitutionen der Einsatz digitaler Technik erprobt wird. Teilnehmer sind unter anderem die Staatlichen Museen Berlin. Zu den entwickelten Projekten gehört eine App, die die Besucher beim Besuch des Humboldt Forums begleiten und mit zusätzlichen Informationen versorgen soll. Auch mit Augmented und Virtual Reality oder Service Bots, die Fragen automatisch beantworten, wird gearbeitet. Es gehe dabei nicht nur darum, Museumsmitarbeitenden das Arbeiten mit Daten – das sogenannte Coding – beizubringen, sondern um einen echten Wandel im Selbstverständnis, sagt Glinka. Darum, früh zu fragen, was die Ausstellungsbesucher eigentlich wollen.

Die Erkenntnis, dass die Digitalisierung die Gesellschaft verändert hat, zieht sich durch alle Gespräche über die Zukunft des Museums. Es geht mehr als je zuvor um Fragen von Teilhabe, flachen Hierarchien und Vernetzung. Lassen sich Museen auf diesen Wandel ein, könnten sie ihr geballtes Wissen ganz neuen Zielgruppen zugänglich machen. Etwa mit Games, die auf Informationen der digitalen Archive zugreifen. Oder Apps, die mehr Barrierefreiheit und Interaktion ermöglichen. Fazit: Digitalisierung kann für Museen eine Chance sein, das verstaubte Image abzulegen und im Mainstream der Gesellschaft eine größere Rolle zu spielen.

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