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Eines der fantastischen, aus Müll anderer entworfenen Kostüme von Fedir Tetyanych.

© Diana Pfammatter

Kunst aus der Ukraine: Zärtliche Kosmologie

Realismus ödete ihn an. Das Center for Contemporary Art entdeckt den ukrainischen Künstler Fedir Tetyanych wieder.

Gegensätzliche Energien speisen das Werk von Fedir Tetyanych. Einmal die Liebe zum Technoiden, dieser unbändige Glaube an eine andere Welt, für deren Erkundung der ukrainische Künstler schon einmal schwebende, silbrig schimmernde Kapseln entwirft. Und dann jene individuelle, Esoterik atmende Mythologie, für die Tetyanych in selbst gebastelte Kostüme schlüpft, die aus Recyceltem bestehen: aus Stoffresten, Drähten, Kronkorken und Alufolie. Mehr schamanische Uniform für ein Leben down to earth als Raumanzug, der einen in die strahlende Zukunft begleitet.

Fedir Tetyanych wird sie nicht mehr erleben. Der ukrainische Avantgardist starb bereits 2007, sein Nachlass wurde, soweit er sich nicht in Museen befindet, auf die Familie in Kiew verteilt. Von dort retteten junge Künstler wie Nikita Kadan einen Teil nach Berlin, wo das Center for Contemporary Art (CCA) nun eine Ausstellung über den ungewöhnlichen, für Künstler:innen der Ukraine wichtigen Protagonisten zeigt. Aber auch, weil Tetyanychs Arbeiten die Zeit ab den 1980er-Jahren noch einmal aufrollt. Er spiegelt die Umbrüche von der späten UDSSR zur postsowjetischen Ära, die neue Freiheit der Ukraine und den damit verbundenen Aufbruch, der gerade in unsäglichen Gewaltausbrüchen mündet.

Vielleicht hat Tetyanych so etwas geahnt. Der Künstler, den hierzulande nur wenige kennen, scheint sich über die Zeit zu wandeln. Nach seiner Zeit an der Staatlichen Kunstschule in Kiew widmete sich der 1942 Geborene der monumentalen, dekorativen Wandgestaltung öffentlicher Orte. Doch schon im Studium ödete ihn jede Form von Realismus an. Seine Motive entwickelte Tetyanych aus der informellen Malerei, die Bilder balancieren zwischen Figuration und einer abstrakten Kosmologie. Im CCA hängt nur ein großes Gemälde, doch „Universe - Infinity“ aus den siebziger Jahren vermittelt mit zarten Kreisformen, die sich um ein dunkles Nichts in der Bildmitte organisieren, wie sich Unendlichkeit für Tetyanych angefühlt haben mag: organisch, zärtlich und untrennbar mit dem eigenen Bewusstsein verwoben. „Everywhere Is My Endless Body“ heißt denn auch die Schau, und schon der Teil des Werkes, das sich hier versammelt, lässt einen in den Kosmos des Künstlers tauchen, der auf der Suche nach Neuem schließlich wieder zu sich selbst gelangte. Zu seiner Kindheit auf dem Land, der frühen Verletzung durch den Teil eines Projektils, die ihn leicht hinken ließ – und der Einsicht, dass besonders fragil und schützenswert ist, was einen unmittelbar umgibt.

Tetyanych begann zu sammeln, aus dem Müll anderer entstanden seine fantastischen Kleider, von denen ebenfalls einige ausgestellt sind. Der Künstler nutzte sie für Performances, wie sie ein Video von 1992 zeigt. Er zog durch die Straßen und verkündete die Erkenntnisse seiner „Fripulia“-Doktrin. Kern war ein offenes, sensibles System der Reaktionen. Folglich trägt Tetyanych Verantwortung für alles, was miteinander verbunden ist: der Körper mit der Kleidung, die Organe mit dem Universum.

[CCA, Kurfürstenstr. 145 und A:D: Curatorial, Kurfürstenstr. 142, beide bis 3. September, Do-Sa 10-18 Uhr]

Er sah dies philosophisch, in seine Manifeste mischen sich Erkenntnisse von Leonardo da Vinci und die Utopien des russischen Künstlers Wladimir Tatlin. Doch Tetyanych zog daraus gleichzeitig individuelle Konsequenzen. Er regelte seinen Lebensstil herunter, und für seine Assemblagen nutzte er ausschließlich Fundstücke. Schließlich geriet er mit seinen Aktionen in den Fokus einer jungen Generation, für die das Nonkonforme zutiefst anziehend war. Vom staatlichen Auftragskünstler hatte sich Tetyanych so weit wie möglich entfernt, stattdessen propagierte er bis zu seinem Tod eine alternative, von der Kunst inspirierte Lebensweise.

Die private Initiative CCA will eine Institution in Berlin werden

Diesen Zauber trägt das Werk auch jetzt noch ins CCA. Und es steht in den ehemaligen Ladenräumen, die die private Initiative im vergangenen Herbsr bezogen hat, nicht allein. In unmittelbarer Nachbarschaft hat sich mit A:D: Curatorial ein weiterer Ort etabliert, in dem aktuell 17 Künstler:innen aus der Ukraine ausstellen. Diese Initiative versteht sich ebenfalls als Reaktion auf die russische Invasion und macht sichtbar, wie sehr die kulturelle Szene vom Krieg bedroht, aus ihren Ateliers vertrieben und nicht länger in der Lage ist, vor Ort zu arbeiten. Tetyanychs Nachlass reist im Anschluss weiter ins Sztuki Museum nach Lodz, wo im Oktober eine Gruppenausstellung mit dem Künstler beginnt.

Das Intermezzo im CCA ist also Teil eines musealen Projekts und zeigt auf, wo sich die Initiative um den Kurator Fabian Schöneich sieht: als „neues Zentrum für zeitgenössische Künste in Berlin“. Noch wird es privat finanziert, Ausstellungen wie jetzt über Tetyanych werden mithilfe des Goethe Instituts realisiert. Doch der Ansatz, „kritisches Wissen über Kunst und Kultur" unter Einbeziehung „unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen“ zu vermitteln, wie sie an diesem hart gentrifizierten Ende der Kurfürstenstraße aufeinandertreffen, ruft geradezu nach einer Institutionalisierung. Mehr jedenfalls als der Versuch, in den Hangars von Tempelhof eine Kunsthalle für repräsentative Großkünstler einzurichten.

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