zum Hauptinhalt
Die Autostrada Biennale findet in Hangars auf einem ehemaligen KFOR-Militärgelände in Prizren statt. Hier mit Kunst von Hassan Khan und Lois Weinberger.

© Birgit Rieger

Kunst im Kosovo: Die Autostrada Biennale stellt Verbindung mit Europa her

Die Stadt Prizren wird mit der Autostrada Biennale zum Kunsthotspot in Südosteuropa. Dieses Mal wird sie von einem Mann kuratiert, der die Region sehr gut kennt. Er sorgt für Überraschungen.  

Stand:

Aus einem der Hangars schallen Hip-Hop-Klänge. Der Künstler Hassan Khan hat einen Algorithmus programmiert, der Melodien und Rap-Lyrics in einem endlosen Fluss neu zusammensetzt. Ein immer wieder neuer Kommentar auf die Gegenwart. Auf der Asphaltfläche vor dem Gebäude stehen dutzende von weißen Plastikkübeln, in denen kleine Unkraut-Pflänzchen sprießen. Natur, die sich verselbständigen soll, so die Idee des 2020 verstorbenen Künstlers Lois Weinberger. Bei 36 Grad ohne Schatten ist das selbst für das standhafteste Gewächs eine Herausforderung.

In Prizren, der zweitgrößten Stadt des Kosovo, hat sich ein ehemaliges Militärgelände, bis etwa 2019 Standort der internationalen Friedenstruppen KFOR, in einen Kunstort verwandelt. Am Eröffnungswochenende Anfang Juli pilgerten internationale Gäste und Künstler zu dieser umzäunten Hallenlandschaft und feierten den Beginn der Autostrada Biennale.

Kunst im ehemaligen KFOR-Feldlager

Das Graswurzel-Projekt wurde 2014 von lokalen Kulturschaffenden ins Leben gerufen. Man wollte vor allem den jungen Menschen in dem vom Kosovokrieg und seinen Folgen traumatisierten Land eine Perspektive geben. Kunst wirke entmilitarisierend, biete eine Sprache, die zwischen unterschiedlichen Standpunkten vermitteln kann, sagen die Macher Leutrim Fishekqiu, Vatra Abrashi und Barış Karamuço.

Die Biennale hat sich in den vergangenen Jahren vom temporären Festival zur festen Institution gewandelt. Der Autostrada Hangar wird seit 2021 permanent als Café, Bibliothek und Treffpunkt für junge Kreative genutzt. In diesem Jahr kamen zwei weitere Hallen dazu sowie ein Outdoor-Amphitheater, das abends auch als Partylocation fungiert.

Der ägyptische Künstler Hassan Khan beschallt das Gelände mit seiner KI-gesteuerten Installation „The Infinite Hip-Hop-Song“.

© Tuğhan Anit

Die Initiatoren haben sich für die 5. Ausgabe einen etablierten Museumsmann ins Team geholt, zum ersten Mal kuratiert ein Kosovare. Erzen Shkololli hat die Nationalgalerie von Kosovo geleitet, dann die Nationalgalerie Albaniens in Tirana, jetzt ist er Chefkurator der Cukrarna Galerie im slowenischen Ljubljana.

Viele Jahre lang spiegelte sich das kulturelle Leben in Kosovo nicht in Institutionen wider, sagt Shkololli. Künstler mussten selbst aktiv werden, ihre Kunst in Bars und Restaurants zeigen. Ohne Institutionen sei aber sowohl die Verbindungen ins Ausland als auch Wissen über die kosovarische und südosteuropäische Kunstgeschichte verloren gegangen. Shkolollis Mission ist es, gekappte Verbindung wieder herzustellen, bei Künstlern wieder Vertrauen in Institutionen aufzubauen, die Lücken im Kanon zu schließen.

Die Installation „Circulations“ der Künstlerin Tamara Grcic ist in einem der Hangars installiert.

© AFP/ARMEND NIMANI

26 Künstlerinnen und Künstler sind an der Ausstellung beteiligt. Für eine Biennale ist das wenig, was gerade die professionellen Besucher irritiert. Und wo ist die aktuelle Produktion? Aktuelles gibt es natürlich, aber Shkololli bastelt schon am Kanon, das merkt man der Ausstellung an.

Zwei der drei Hangars auf dem ehemaligen KFOR-Feldlager zeigen große Installationen renommierter internationaler Künstler, etwa das wogende Meer aus Altglasflaschen der 1964 in Deutschland geborenen Konzeptkünstlerin Tamara Grcic. Eine Künstlerin mit serbischen Wurzeln, die die junge Generation nicht unbedingt kennt – aber kennen sollte, so der Kurator. Ihre Flaschen, temporär zur Kunst erhoben, werden später wieder in den Recyclingkreislauf eingespeist.

Vermisste Angehörige

Aber erst im Hangar 10 wird der lokale Bezug mit den Malereien von Brilant Milazimi und den Fotoarbeiten von Armend Nimani direkter. Beide leben in der nahegelegenen Hauptstadt Pristina. Nimani, der im Hauptberuf für die Nachrichtenagentur AFP in den Balkanstaaten und weltweit im Einsatz ist, zeigt seine Dokumentarfotografie erstmals im Kunstkontext. 1986 geboren, hat er drei persönliche Serien ausgewählt, die sich direkt auf das Leben im Kosovo und seine Fluchterfahrung während des Krieges 1998/99 beziehen.

Der Dokumentarfotograf Armend Nimani lebt in Pristina, arbeitet für die Nachrichtenagentur AFP und zeigt seine Bilder erstmal im Rahmen einer Kunstausstellung.

© Tughan Anit

Eine der Bilderreihen heißt „Missing“. Nimani ist in Mitrovica aufgewachsen, einer Stadt im Norden des Kosovo, in der es bis heute immer wieder zu Spannungen und Gewalt zwischen der albanischen und serbischen Seite kommt. Während des Krieges musste er als Teenager mit seiner Familie vor serbischen Truppen nach Albanien fliehen. „Vier Tage sind wir gelaufen“, erzählt er.

Auf den ersten Blick ist vom Krieg nichts mehr zu sehen

Weil seine Großmutter nicht mehr konnte, bestieg sie zusammen mit anderen einen Lkw – und ist seitdem verschwunden. Nimani zeigt in seinen Bildern Angehörige, bei einem Erinnerungstreffen für die Vermissten des Krieges; er zeigt beschriftete Kartons in einem Vermisstenarchiv. Motive, die ihre Wirkung langsam und umso nachhaltiger entfalten.

In Prizren sieht man auf den allerersten Blick nichts mehr vom Krieg. Das Städtchen wirkt wie ein mediterraner Urlaubsort, umgeben von Bergen liegt es in einem Tal, der Fluss Bistrica schlängelt sich hindurch, die Cafés sind voll. Und doch flammt der Konflikt mit Serbien immer mal wieder auf, ist die Arbeitslosigkeit hoch, stagniert die Politik im Land. Fünf Monate nach der Parlamentswahl konnte immer noch keine Regierung gebildet werden. Die linksnationale Partei von Premierminister Albin Kurti findet keine Koalitionspartner. Politischer Egoismus, keine Bereitschaft zum Kompromiss, heißt es in nationalen Medien. Shkolollis konzentrierte Biennale will Einigkeit und Zusammenhalt vorleben, zumindest in kultureller Hinsicht.

Klein und konzentriert

Övül Ö. Durmuşoğlu and Joanna Warsza, das Kuratorinnenduo aus Berlin, das die letzten beiden Ausgaben kuratiert hat, ließ die Ausstellung auch in anderen Städten wie Mitrovica, Pristina oder Peja stattfinden. Durch die Autobahn, die Autostrada, kann man in dem kleinen Land alles schnell erreichen. Shkololli hingegen konzentriert sich auf Prizren. Neben dem Militärgelände findet die Biennale in vier historischen Gebäuden im Zentrum statt.

Doruntina Kastratis Installation „And so We Lay New Stones Upon the Old“ im Gazi Mehmed Pasha Hammam..

© Tuğhan Anit

„Mein Heimatort Peja wurde während des Krieges zu 90 Prozent niedergebrannt“, sagt er. Er möchte die lokale Bevölkerung Prizrens, einer Stadt, die er aus seiner Kindheit gut kennt, auf ihr historisches Erbe aufmerksam machen. Es sei ein wichtiger Moment. Jetzt entscheide sich, ob die frisch sanierten Gebäude in Zukunft Kulturorte bleiben.

In einem beeindruckenden Hamam aus dem 16. Jahrhundert, das schon seit vielen Jahren renoviert wird, sind Werke von drei Künstlerinnen ausgestellt. Unter anderem eine Installation der 1991 geborenen Doruntina Kastrati, eine der wichtigsten jungen Stimmen des Kosovo. Auch das Dorambari Family House mit seiner gelben Fassade ist erstmals wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.

Das Wohngebäude aus der ottomanischen Ära ist so winzig, dass sich am Eröffnungstag die Besucher lange anstellen müssen, um über eine steile Holztreppe in den ersten Stock zu gelangen, wo der Künstler Laurent Marechal ein buntes, ornamentales Bodenmosaik mit Gewürzen gestreut hat. Im Osmanischen Reich spielte Prizren eine bedeutende Rolle im regionalen Handel, zu dem auch der Gewürzhandel zählte. Arbeiten wie diese sollen Erinnerung an die Geschichte jenseits des Kosovokrieges wachrufen – eine Möglichkeit zur Identitätsbildung in der multikulturellen Stadt.

„Die Kunst muss so interessant sein, dass die Besucher aus anderen Teilen des Kosovo hierherkommen“, sagt Shkololli. Damit kehrt er einen Leitspruch der Autostrada Biennale kurzerhand um – die war ursprünglich angetreten, um die Kunst zu den Menschen zu bringen, auch im Alltag. „Ich finde, die Menschen müssen sich selbst Zeit für die Kunst nehmen“, kontert Shkololli. „Wir brauchen die Vorstellungskraft der Kunst, wir brauchen sie, um voranzukommen im Leben.“

Seit der Unabhängigkeitserklärung von 2008 hat eine Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten das Kosovo anerkannt – aber nicht alle, Russland und China etwa, die im UN-Sicherheitsrat eine volle Mitgliedschaft des Landes in der UNO blockieren. Auch europäische Staaten wie Spanien, Griechenland oder Zypern erkennen das Kosovo nicht an und stehen einer vollen europäischen Integration skeptisch gegenüber.

Die quirlige Kunstszene trägt zur Sichtbarkeit des kleinen Landes bei, in Europa und international. Viele Künstler haben außerhalb des Kosovo studiert, leben zwischen ihrer Heimatrepublik und anderen Orten. Sie bringen Input und Austausch, sind Botschafter ihres Landes. Man versteht dann auch, warum Erzen Shkololli sie gerne alle im Museum vereint sähe.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })