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Kunst zwischen den Weltkriegen: Eckhart J. Gillen vergleicht Deutschland, USA und Sowjetunion
Kriegen Gesellschaften, die Kunst, die sie brauchen? Der Kunsthistoriker gibt in „Der neue Mensch als Menschmaschine“ eine klare Antwort.
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Unerschöpflich ist die Geschichte der Weimarer Republik. Obgleich sie nicht einmal halb so lange währte, wie mittlerweile das wiedervereinte Deutschland, dürfte die Zahl der ihr gewidmeten Publikationen und Forschungen ein Mehrfaches betragen. Nicht einfach ein weiteres Buch zum bekannten Thema hat jetzt der Kunsthistoriker Eckhart Gillen vorgelegt, sondern eine vergleichende Studie zu Deutschland, den USA und der Sowjetunion im Spiegel ihrer jeweiligen Kunst. Aufschlussreiche Parallelen werden sichtbar. Gillen spitzt sie unter dem Titel „Der neue Mensch als Maschinenmensch“ zu, unter dem das Buch interessanterweise von der Bundeszentrale für politisch Bildung ohne vorangehende Verlagsveröffentlichung herausgebracht wurde.
Da ist vor allem Henry Ford, dessen von Sendungsbewusstsein befeuerte Schriften in Berlin wie in Moskau eifrige Leser fanden und ähnliche Entwicklungen zu einer möglichst rationalen Wirtschaft befeuerten, dazu der Arbeitswissenschaftler Fredrick Taylor. Mit bezeichnenden Unterschieden: Während die Kunst der USA eine menschenleere Maschinenwelt zeichnete, propagierte die der Sowjetunion den allbeherrschenden Menschen; und nur in Deutschland findet sich eine ambivalente, halb angezogene und halb abgestoßene Haltung, gespiegelt in der widersprüchlichen Kunst dieser Zeit.
Buchvorstellung im Kunsthaus Dahlem
Das Kunsthaus Dahlem lud am Mittwochabend zur Buchvorstellung und Diskussion, mit dem Soziologen Heinz Bude als Moderator und Fragesteller. Schade, dass die Veranstalter auf die in Aussicht genommene Bilder-Projektion verzichtet hatten; sie hätte dem mit 140 Anmeldungen prall gefüllten Saal eine gemeinsame Grundkenntnis vermittelt. So blieben die geäußerten Thesen im zwar nicht luftleeren, aber doch bilderlosen Raum hängen.
Das Trauma des Ersten Weltkriegs führte in allen drei Ländern zur Ernüchterung, für die sich allein in Deutschland der Kernbegriff der „Sachlichkeit“ fand. Sachlichkeit wurde zu einer Lebenseinstellung. Ihr korrespondiert in den USA ein schrankenloser Kapitalismus, in der Sowjetunion eine ebenso schrankenlose Industrialisierung. „In allen drei Volkswirtschaften“, schreibt Gillen, „galt die Moderne als ein Synonym für den notwendigen, unaufhaltsamen permanenten Fortschritt durch Rationalisierung, Technik und Maschinen.“
Überall wird der „neue Mensch“ propagiert, der sich den wirtschaftlichen Erfordernissen anzupassen habe, und sei es, wie unter Stalin, mit äußerstem Terror. Die Kunst bringt zum Ausdruck, was in der jeweiligen Gesellschaft gefordert ist: „dass eine Gesellschaft in einer bestimmten historischen Situation genau die Kunst bekommt, welche sie zur Reflexion ihrer Lage braucht“, wie Gillen schreibt. „Die amerikanischen, deutschen und sowjetischen Künstler_innen“, konstatiert Gillen, „entwarfen im Zeichen von Fordismus und Taylorismus ein absolut positives Bild der Maschine im Sinne einer Emanzipation der Menschheit (…).“
Die Rückkehr ins private Glück
Die Maschinengläubigkeit fand ein abruptes Ende mit der Weltwirtschaftskrise in den USA und dem Deutschen Reich, parallel mit der Überforderung durch die forcierte Industrialisierung in der Sowjetunion. Die Kunst antwortete mit dem Rückzug in ländliche Idyllen und privates Glück, in den städtischen Zentren der USA auch mit einer bis dahin nicht gekannten Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen.
Auf Heinz Budes provokante Formulierung am Diskussionsabend, die Kunst käme „immer zu spät“, antwortete Gillen, das Kunstwerk sei „klüger als der Künstler“. Sein Wort, man müsse die Bilder „ernst nehmen“, zielte auf den Gehalt, der Kunst zum Ausdruck des gesellschaftlichen Zustandes macht. Damit war das Problem der Bestätigung, ja der Legitimation der Herrschaft durch Kunst angesprochen, besonders virulent in Stalins Sowjetunion. Die Künstler hätten „die totalitären Fantasien mitgelebt“, konstatierte Bude. Aber „sie haben den Preis dafür gezahlt“, wie Gillen mit Blick auf die Opfer des Stalinschen Terrors erwiderte.
Und in der Weimarer Republik? Die Künstler hätten ihren Anteil an der Zerstörung der Republik gehabt, mit ihrer Kritik, ihrem Zynismus. Das musste sich Gillen vom hochbetagten Walter Mehring sagen lassen, den er in Zürich traf, wohin es den scharfzüngigen Literaten, von den Nazis vertrieben, für immer verschlagen hatte. Gillens Buch schließt mit der ernüchternden Feststellung, mit den „Konsequenzen aus unseren Illusionen über die eigene Allmacht konfrontiert“ zu sein. Im gegenwärtigen Moment, da Ukraine-Krieg und Hamas-Terror erneut die Machtlosigkeit der Vernunft demonstrieren, konnte auch die Veranstaltung im Kunsthaus Dahlem keinen Optimismus verbreiten, am allerwenigsten den der einstigen Maschinengläubigkeit.
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