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Die Berlinerin Else Thalemann sah den Eiffelturm in ungewöhnlicher Perspektive.

© Christian Schmieder

Kunstsammlungen Chemnitz: Die Höhepunkte der Fotografie

Die Ausstellung „Paris 1930. Fotografie der Avantgarde“ zeigt Werke der Zeit in nie gesehener Vollständigkeit. Auch weniger bekannter Namen sind dabei.

Der Aufstieg der Fotografie zum gleichberechtigten Mittel der Kunst vollzog sich in der Zeit zwischen den Kriegen. Dies umso mehr, als die Fotografie als technisches Medium ganz dem Fortschrittsgeist entsprach. In der Fotografie kamen das beobachtende Subjekt und das beobachtete Objekt zur Deckung, beispielhaft in der Neuen Sachlichkeit.

Paris mit seinem vielgestaltigen Kunstleben integrierte die Fotografie weit stärker in die erprobten Ausdrucksformen. Um 1930 erreichte sie ihren Höhepunkt, was Zahl der Fotografen wie ihrer Veröffentlichungen anbetrifft. Allerdings teilte sie sich in die Kunst- und die Gebrauchsfotografie, letztere besonders wirkmächtig in der Reportagefotografie für die Illustrierte „Vu“ („Gesehen“).

Der Kunstfotografie ist die Ausstellung „Paris 1930. Fotografie der Avantgarde“ gewidmet, die der Leipziger Kurator Philipp Freytag für die Kunstsammlungen Chemnitz erarbeitet hat. Er macht im begleitenden Katalog darauf aufmerksam, dass Walter Benjamin seinen berühmten Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ 1935 im Pariser Exil verfasst hat, fußend auf der Erfahrung der deutschen neusachlichen, aber auch der französischen Fotografie, für die in den 1920er Jahren die Wiederentdeckung Eugène Atgets steht.

Abgründe von Gewalt und Ekel

Atgets Fotografien sind denn auch in der Chemnitzer Ausstellung zu sehen, freilich nicht die eher ins Romantische weisenden Aufnahmen des vormodernen Paris mit seinen schiefen Häusern, sondern die der zufälligen objets trouvés. Das Porträt des alten, gebeugten Atget, das dessen Entdeckerin Berenice Abbott 1927 aufnahm, darf hier nicht fehlen.

Etliche wenig bekannte Namen sind in der Chemnitzer Ausstellung zu finden, die ihr Thema in nie gesehener Vollständigkeit ausbreitet. Um 1930 befanden sich unter den Pariser Fotografen zahlreiche Expats; noch waren es bis auf Ausnahmen keine Exilanten. Die stärkste Anziehungskraft besaß der Surrealismus; Zeitschriften wie „Minotaure“ publizierten Fotografien und Texte. Es gab sogar ganze Serien surrealistischer Postkarten.

Man Rays Fotomontage „La ville“ (1931)
Man Rays Fotomontage „La ville“ (1931)

© Man Ray Trust, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Verzerrungen des Körpers, wie sie André Kertesz fotografisch erzeugte, und widersprüchliche Objektkonstellationen bei Man Ray bilden die gefälligere Variante. Im Umkreis von Georges Bataille entstanden (Ab-)Bilder der dunklen Seiten, der Abgründe von Gewalt und Ekel, oftmals in Fotomontagen fragmentierter Körper.

Germaine Krull machte Furore

Eine ganze Reihe von Fotografen und Fotografinnen werden in der Ausstellung mit jeweils mehreren Arbeiten vorgestellt. Da ist die aus Deutschland stammende Germaine Krull, die 1926 nach Paris kam und mit der Publikation „Métal“, einer Mappe mit Spiralbindung, Furore machte (aber auch das eher gefällige Buch „100 X Paris“ veröffentlichte, das die Ausstellung übergeht).

Die suggestive Ansicht des metallenen Eiffelturms als Umschlagmotiv des sehr schönen Katalogs, scharf von unten in die Höhe, stammt allerdings von der gebürtigen Berlinerin Else Thalemann. Krull suchte durchaus auch die typischen Orte der Stadt auf, wie die sprichwörtlichen „Hallen“ mit ihrem Gewühl und ihrem Abfall.

Ganz still hingegen die Etüden von Florence Henri, die sorgfältig mit Glas, Spiegeln und wechselnden Entfernungen operiert, besonders schön in der Treppenhauskomposition „Pariser Fenster“ von 1929. Man Ray, der aus Amerika herübergekommen war und bald zum engsten Kreis der Surrealisten zählte, verfremdete Gegenstände und bald auch die Fotografie selbst in Fotogrammen und chemischen Überarbeitungen.

Zum Fotobuchklassiker der Zeit wurde „Paris bei Nacht“ von Brassaï (eigentlich Gyula Halász), einem Mitglied der großen ungarischen Exil-Gemeinde; 1932 unter dem weit bekannteren Namen des Schriftstellers und Verfassers des Buchtextes, Paul Morand, veröffentlicht.

Das Paris der Kaschemmen, Prostituierten und Tänzer

„Enger noch als mit dem Neuen Sehen ist die Pariser Fotografie der Zwischenkriegszeit mit dem mehrsinnigen Blick der Surrealisten verknüpft“, schreibt Kurator Freytag zum Werk von Brassaï. Das Paris der Kaschemmen, Prostituierten, der Tänzer und der Clochards zog die Fotografie geradezu an.

Alfred Eisenstaedt, in Berlin aufgewachsen und 1935 in die USA emigriert, ist in der Ausstellung mit entsprechenden Aufnahmen zu sehen, die freilich weit stärker als ins Surreale ins Sozialdokumentarische reichen, wie es vor zwei Jahren die Übersicht „Photographie – Waffe der Klasse“ im Centre Pompidou ausgebreitet hatte. Brassaï selbst beherrschte alle Mittel und machte ebenso Objektaufnahmen in Nahsicht wie die Neusachlichen jenseits des Rheins.

Neben der Sammlung Siegert (München) sind unter anderem mit der Stiftung Ann und Jürgen Wilde, dem Münchner Stadtmuseum und dem Essener Museum Folkwang einschlägige Leihgeber vertreten. Und auch einige wenige Fotobücher und Zeitschriften liegen in Vitrinen aus. Sie waren es, die die Fotografie zu ihrer eigentlichen Aufgabe nutzten: der unendlichen Vervielfältigung des in der Kamera gebannten Augenblicks.

Kunstsammlungen Chemnitz, bis 3. Mai. Katalog im Sandstein Verlag, 40 €. www.kunstsammlungen-chemnitz.de

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