
© Ella Knorz
„Leibniz“ von Edgar Reitz auf der Berlinale: Stillstehen und nach vorne schauen
Ein Philosoph wird gemalt: Edgar Reitz begibt sich auf die Spuren eines verschollenen Bildes und des Universalgenies Leibniz, mit Edgar Selge in der Titelrolle.
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Im letzten Jahr erhielt der „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz die Berlinale-Kamera für sein Lebenswerk. Aber das war noch gar nicht fertig. Der 92-Jährige überrascht mit einem wunderbar originellen und dabei doch tiefsinnigen Philosophenfilm. Gottfried Wilhelm Leibniz, der vielleicht universalste Geist seines Jahrhunderts, ist die Hauptfigur. Er muss den ganzen Film über eigentlich nichts machen, nur stillstehen und nach vorne schauen. Der Philosoph wird gemalt.
Die preußische Königin Sophie Charlotte möchte das Porträt ihres einstigen Lehrers, damit sie etwas hat, woran sie sich halten kann im kühlen fremden Preußen, dessen Königin sie nun leider ist. Aber wie malt man einen Philosophen? Soll man ihm ansehen, dass er denkt, oder lieber nicht?
Stillstehen und nach vorn schauen also. Vielleicht ist nichts schwerer. Edgar Selge dabei zuzuschauen, ist überaus unterhaltsam. Den ersten Versuch darf ein erfolgreicher französischer Hofmaler unternehmen: Lars Eidinger. Ein Hofmaler malt vor allem den Faltenwurf der kostbaren Gewänder und jede Locke der voluminösen Perücke mit ihrem feinen Schimmer.
Dazu braucht er kein Modell, das ist vorgemalt. Man darf unter verschiedenen Varianten wählen. Nur in der Mitte des Bildes klafft ein unansehnliches weißes Loch: Da muss das Gesicht rein, das Unvollkommenste, weil Vergänglichste am ganzen Bild.
Denn welches Gesicht erreicht schon die Perfektion von Perücke und Gewand? Es entspinnt sich ein skurriler Dialog zwischen dem Maler und seinem Modell, den Maler stört am meisten der immer irgendwie unpassende Ausdruck des Philosophen. Zu subjektiv, also unvollkommen. Am besten, der Philosoph denke an gar nichts. Der bemerkt inzwischen, dass es viel leichter ist, über die Sprache der Engel zu philosophieren als über eine Person und ihr Bildnis.

© dpa/Sebastian Christoph Gollnow
Fast jede Einstellung hat ihren eigenen Witz, bis der Maler entnervt aufgibt. „Ihr seid das Gewicht an den Füßen der Engel!“, teilt er Leibniz noch mit. Könige zu malen, ist viel einfacher als Philosophen.
Dann kommt ein Niederländer, und der macht alles ganz anders. Das Gesicht muss erscheinen, es muss leuchten, wie von innen heraus. Auch ist der niederländische Meister eine niederländische Meisterin. Und wir werden eingesponnen in einen schönen Diskurs darüber, was es heißt, ein Gesicht zu haben. „Wer kein Gesicht hat, ist nicht geboren, er ist eine schlafende Monade in Gott.“ Und was geschieht, wenn ein Gesicht zum Porträt wird? Auch Sophie Charlotte nimmt bald an den Unterhaltungen teil.
Der Park des Schlosses Herrenhausen in Hannover war Schauplatz von Gesprächen zwischen Leibniz, Sophie Charlotte und ihrer Mutter, die eines der einflussreichsten Werke der Philosophiegeschichte vorbereiteten: Leibniz’ „Theodizee“, Gottes Rechtfertigung angesichts der Übel in der Welt. Was für eine Philosophiestunde mit Edgar Reitz!
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