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1975 fotografierte der Künstler David Hockney seine Eltern, angeboten wird das Doppelporträt von der Galerie 1900-2000.

© Paris Photo

Messe Paris Photo: Lichtfänger

153 Galerien präsentieren Fotografien von Louis de Clercq bis Robert Klein. Die Messe Paris Photo feiert 20. Geburtstag.

Gerade noch „Super Eröffnung!“ konnte Annette Kicken rufen, befragt nach ihrem Eindruck vom ersten Abend der Messe Paris Photo, da sprang sie schon wieder vom eleganten Sofa auf, um einen weiteren Interessenten oder potenziellen Kunden zu begrüßen. Die giftgrüne Bilderserie an der Schauwand ihrer Koje, „Uran-Grün“ vom 2010 verstorbenen Sigmar Polke, war jedenfalls schon verkauft. Die Zeiten, da Galeristen stolz rote Punkte auf die Schildchen neben Werken zu kleben pflegten, die bereits verkauft oder wenigstens fast vergeben waren, sind zwar vorbei. Aber auf Nachfrage zeigten sich mehrere Galeristen schon am ersten Tag zufrieden.

Optimismus macht sich immer gut zum Messeauftakt, und schlimmer als im vergangenen Jahr kann es nicht kommen, als die Messe wegen des Terroranschlags auf den Pariser Konzertsaal Bataclan zur Halbzeit abgebrochen werden musste. Rund 40 000 erwartete Besucher für das verlängerte Wochenende blieben aus, die die Zahl von bereits 37 000 Neugierigen glatt verdoppelt hätten. Gleichwohl haben sich in diesem Jahr erneut 250 Galerien aus aller Welt um die Teilnahme beworben, von denen schließlich 153 Platz fanden. Die Kojen unterscheiden sich nach Größe nur unwesentlich, aber das Prinzip, den Platzhirschen Flächen in der Mitte unter der Kuppel des riesigen Grand Palais zu gewähren, bleibt erhalten. Das macht erkennbar nichts, denn der Zuschauerstrom, der schon am Eröffnungsabend gewaltig ist, ergießt sich in gleich- bleibender Stärke bis in die hintersten Reihen. Christoph Wiesner gab sich als künstlerischer Messeleiter im Gespräch denn auch zuversichtlich und setzte ein Ausrufezeichen, indem er die Fotografie zum „Seismografen der gegenwärtigen Gesellschaft“ adelte.

Ist Ethnofotografie der neue Trend?

Einen Trend möge man aus diesen Worten nicht lesen, denn die Messe ist auch in ihrer 20. und damit Jubiläumsausgabe so vielfältig wie immer. Weiter zurückgegangen ist der Anteil großer oder gar überformatiger Arbeiten; da mag auch die Abkehr von den Protagonisten der Düsseldorfer Schule, die sich – beflügelt von Auktionsrekorden – zu immer gewaltigeren Abzügen hatten hinreißen lassen, eine Rolle spielen. Einsam hängt Andreas Gurskys „Pariser Autosalon 1993“ bei Mai 36, mit 170 auf 200 Zentimetern nicht einmal sonderlich groß und mit 150 000 Euro realistisch ausgepreist. Dazu zählen könnte man noch Hans-Christian Schink, der bei Robert Morat aus Berlin ein nahezu formatgleiches Bild, „Parco degli Aquedotti“ von 2014 für 14 000 Euro zeigt.

Ins Auge fällt die Einzelausstellung bei Cécile Fakhoury aus Abidjan, in deren Koje François-Xavier Gbré farbkräftige, sorgfältig komponierte Ansichten von afrikanischen Alltagsansichten zeigt, eine Tankstelle in Mali etwa (7000 Euro). Ist Ethnofotografie etwa der Trend, der Seismograf? Dann müsste man noch Teresa Margolles’ jüngste Inszenierungen von Transgender-Sexarbeiterinnen in der trostlosen Grenzstadt Ciudad Juárez dazu zählen (bei Mor Charpentier) oder Stéphane Couturiers allzu pittoresken Armutsbilder aus Algier, die in Fünfer-Auflage für je 25 000 Euro angeschlagen sind.

Von Sibylle Bergemann bis Robert Frank

Ja, die Auflage: bei Fotografie ein absolutes Muss in Sachen Markttransparenz, denn der Käufer will wissen, wie oft sein Favorit noch auf dem Markt gehandelt wird oder werden könnte. Auflagen zwischen drei und zehn Abzügen sind die Regel, bisweilen ergänzt um zwei artist’s proofs. Nicht genau beziffert werden kann die Auflage bei print on demand, wie man die gelegentlich gemachten Abzüge von Sibylle Bergemann, etwa von ihrem bekannten Doppelporträt „Marisa und Liane, Sellin auf Rügen“ von 1981, bezeichnen könnte. Sie stammen alle von eigener Hand, wie Friedrich Loock versichert (je 6000 Euro). Der Berliner Galerist ist gleichfalls zufrieden, „alle erwarteten Institutionen waren schon da“.

Museen könnten in Paris lang gehegte Wünsche nach gesicherten Werten erfüllen. Das wären dann zumeist Schwarz- Weiß-Fotografien wie etwa aus Robert Franks „The Americans“ aus den fünfziger Jahren, von denen Etherton aus Tucson Exemplare zu Preisen von 60 000 bis 160 000 Dollar im Angebot hat – alle eindrucksvoll auf der Vorderseite signiert. Zeitgeschichtliches hat Robert Klein (Boston) mit einem großformatigen Porträt Winston Churchills von Yousuf Karsh aus dem Schicksalsjahr 1941, „das letzte noch erhältliche Exemplar“, wie der Galerist versichert. Historisch ist auch bereits das Oeuvre des Berliners Michael Schmidt, der zur Wendezeit stille Ansichten von Mauer und anderem Beton gemacht, aber erst 2009 zur vierteiligen Serie vereint hat (Nordenhake, 24 000 Euro). Die künstlerische Farbfotografie hingegen findet sich in einem Überraschungsbild von William Eggleston, der sein bekanntes Deckenlampenmotiv aus den Siebzigern auch einmal vor blauer statt der hinlänglich reproduzierten roten Zimmerdecke aufgenommen hat (Rose Gallery, 88 000 Dollar).

Konzentration auf große Namen

Noch schmaler als früher ist das Angebot an Fotografie der Frühzeit. Hans P. Kraus (New York) brilliert wie eh und je damit, diesmal mit Reisefotografie, etwa einer Ansicht des römischen Tempels von Baalbek von Louis de Clercq (15 000 Dollar) aus dem Jahr 1859. Gerade gegenüber hat der Londoner Händler James Hyman seinen Stand und wartet mit einer Fotografie aus dem selben Jahr auf, allerdings vom berühmteren Gustave Le Gray, dessen „Place de la Concorde“ 75 000 Dollar kosten soll. Die Konzentration auf große Namen wird der Produktion des 19. Jahrhunderts allerdings nicht gerecht, von der es unzählige, kaum minder schöne oder zumindest interessante Beispiele zu finden gibt.

Eine Fundsache – und damit zurück in die Gegenwart – hat die der Einfachheit halber nach ihren beiden Standorten benannte Galerie Paris-Beijing zu bieten: eine halbe Million Farbnegative, gefunden in einer Pekinger Recyclingfirma, davon ein Häufchen auf Lichttisch und an den Wänden Abzüge dieser durch Teilzerstörung zu überraschenden Farbeffekten gekommenen Negative. Man müsste eigentlich die ganze Installation nehmen, aber angeboten werden Einzelstücke zwischen 900 und 2800 Euro.

Bilder der Apokalypse

Funde gibt es auch bei Daniel Blau aus München, der in außerdeutschen Archiven NS-Propagandafotos von Jugendlichen aufgestöbert hat. Zu verkaufen ist das Konvolut allerdings nicht, sondern geht im kommenden Jahr geschlossen ins Münchner Haus der Kunst zu einer eigenen Ausstellung. Erworben werden können hingegen die in teuersten Verfahren hergestellten Aufnahmen des US-Militärs von Atombombenexplosionen in Nevada 1957: So schaurig schön wird wohl der Weltuntergang aussehen.

Über solche Themen wird allerdings bei einer Messe nicht gesprochen, und nicht einmal der überraschende Ausgang der US-Präsidentenwahl hat die Atmosphäre belastet. Die ist ohnehin bestens, nachdem die Messeleitung den Versuch mit dem Ableger in Los Angeles nach nur drei Jahren abgebrochen hat. In Paris ist alles zu finden, was Fotofreunde sich erträumen, warum also diese Spitzenstellung selbst gefährden? Der nächste Besucherrekord steht ohnehin ins Haus.

Grand Palais, Paris; bis 13. 11., www.parisphoto.com

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