Kultur: Liebe ist kein Wettkampf
Aber einer gewinnt: Der Strom guter britischer Popbands reißt nicht ab
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Es fiept mächtig. Pete Reilly hat sein letztes Riff kaum in den Berliner Postbahnhof gedonnert, da wirft er sich schon müde seine schwarze Lederjacke über die Schulter, klemmt die leere Bierflasche zwischen Zeige- und Mittelfinger, grüßt kurz und geht ab. Ohne große Gesten, ohne Zugabe. Die wird es vermutlich in den nächsten Monaten von The View ohnehin geben.
Die Welle der jungen britischen Gitarrenbands bricht nicht ab. Mit The View rücken vier Jungs aus dem schottischen Dundee ins Rampenlicht, die mit 19 Jahren noch blutjung, aber schon etwas fertig sind – nach mehr als 100 Konzerten weltweit in sechs Monaten. Seit sie von der englischen Musikpresse auf Titelseiten als das neue Ding am Britpop-Himmel gefeiert werden, sind die Begehrlichkeiten groß. Auch The View graben sich mit eingängigen Melodien, treibenden Drums, flirrenden Gitarren und dieser gehörigen Portion Ska tief in den Rocksound der Zeit. „Hats Off To The Buskers“, das Debütalbum von The View, vor Wochen in England veröffentlicht und mit 70 000 verkauften Exemplaren direkt auf Platz eins gestürmt, erinnert an das ungestüme Debüt „Up The Bracket“ der Libertines. Wie diese wurden The View, die sich nach ihrem Lieblingspub benannt haben, von James Endeacott entdeckt. Er bekam ein Demotape geschickt und soll danach bei einem Gig in ihrer schottischen Heimatstadt vor der Bühne herumgesprungen sein und „I love you boys, I love you“ gegrölt haben. Das Debütalbum wurde von Owen Morris (Oasis, The Verve) produziert. Zur Inspiration schickte er seine unbedarften Schützlinge in Strip-Clubs. „Das war super, wir waren noch nie in so einem Laden, schade nur, dass Anfassen verboten war“, sagt Pete Reilly. Ob die Songs deshalb so euphorisch sind, bleibt ihr Geheimnis.
Im vierten Jahr des neuen Britpopbooms wächst allerdings das Misstrauen. Wird hier mit Macht die nächste Hit-Fabrik aus dem Boden gestampft, um abzukassieren, kurz bevor die Blase platzt?
The View sehen das natürlich anders. „Wir haben uns das mit vielen Live-Auftritten hart erarbeitet“, sagt Sänger Kyle Falconer, der während des Konzerts erschöpft die Lockenmähne schüttelte. Als Coverband für Oasis- und Beatles-Songs haben er und seine drei Mitstreiter begonnen und sind dann auf selbst geschriebene Lieder umgestiegen. In denen geht es um das harte Leben in Dundee, um die erste Liebe und schlechte Clubnächte. Auch wenn sich Kyle Falconer in „Same Jeans“ gegen Modediktate auflehnt, sagt, dass er vier Tage lang dieselbe Hose trägt, und die Melodie von Cornershops „Brimful of Ashes“ geklaut ist, entfaltet der Song hypnotischen Sog.
Es sind vor allem mit Spannung erwartete Zweitwerke, die in diesem Jahr das Bild von der brodelnden Pop-Insel prägen. Make it or break it, heißt es für Bands wie Maximo Park, The Futureheads oder Field Music. Bloc Party haben schon vorgelegt, die Arctic Monkeys kommen noch und die Kaiser Chiefs sind direkt auf Platz eins der englischen Charts eingestiegen, als sie ihr zweites Album veröffentlichten. „Yours Truly, Angry Mob“ heißt es und hat nur ein Ziel: Hits. Songs, die der konditionierte Mob auf den Sommerfestivals mitgrölen kann. Und das Konzept funktioniert – zumindest meistens. Der Opener „Ruby“, dessen Refrain „Ruby, Ruby, Ruby, do you, do you, do you“ an Einfachheit nicht zu überbieten ist, gibt den Ton vor für ein Album, das sich an die niederen Instinkte wendet.
„Know what you’re doing to me?“ Dasselbe möchte man die Jungs fragen, wenn sie sich mit Liedzeilen wie „When the heat dies down, I’ll be back in town“, ihren schmissigen Melodien und ihren zackigen Gitarren schnell ins Hirn brennen. Es gibt noch mehr „Uhuhus“, „Ahahahas“ und „Lalalalas“ als auf ihrem Debüt „Employment“. Dabei sind ihre Texte keineswegs banal. Es geht um Widerstand – auch gegen reaktionäre Mitläufer wie in „The Angry Mob“: „It’s only ’cos you follow what the others do.“ Nur mit Unterhaltungsterror kann die Masse beruhigt werden: „We need entertainment, to keep us all off the streets“ singen sie die Spur aufnehmend, die ihr Hit „I Predict A Riot“ ausgelegt hatte.
Aber das Album hat durch den unbändigen Willen zum Hit ein Problem: Es hält das Tempo und die Dynamik nicht über die volle Distanz. Songs wie „Love Is Not A Competition (But I Am Winning)“ sind fad und wenig enthusiastisch. Einige Lieder wirken verkrampft, ziellos und sogar langweilig. Trotzdem sind Stücke wie „Highroyds“, „Heat Dies Down“ und „My Kind Of Guy“ große Momente.
Solche hatten The Rakes bisher noch nicht. Ihr Erstling „Capture/Release“ ging im Schatten von Franz Ferdinand unter. Mit ihrem zweiten Werk wollen sie nun selbst für Schlagzeilen sorgen. Und tatsächlich. „Ten New Messages“ ist ein reiferes, strukturiertes, nicht mehr so ungestümes, aber interessantes Album geworden. Die Drums stampfen immer noch im Stakkatostil, aber die Gitarrenlicks sind feiner, verspielter. Tempowechsel und dezent eingesetzte Elektronik geben dem ganzen einen raffinierten Touch. Selbst vor einem kleinen Chor schreckt man nicht zurück wie in der ersten Singleauskopplung „We Danced Together“. Es geht um das moderne Großstadtleben mit all seinen Missverständnissen, Konflikten und Abenteuern. „It’s trouble that you’re looking for“, heißt es in „Trouble“, „it’s trouble that you find. And sometimes trouble finds you, no matter where you hide.“ Anders als bei The View oder den Kaiser Chiefs ist die knochige, kantige, zuweilen unterkühlte Musik der Rakes nicht auf Schmeicheleien aus.
Der Hype klingt nicht ab. Wer will, kann versuchen sich zu wehren gegen die Selbstfeier einer Jugend, die nicht viel zu sagen hat, aber Ohren und Beine werden etwas dagegen haben. Zu Recht.
The View „Hats Off To The Buskers“ (Red Ink), Kaiser Chiefs „Yours Truly, Angry Mob“ (Polydor), The Rakes „Ten New Messages“ (V2).
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