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Kultur: Lieder aus einem finsteren Garten

Mit ihrem Debut singt sie sich auf die Cover der Musikzeitschriften. Aber erst bei der Arbeit an ihrem fünften Album entdeckt sie den Sinn ihrer Stimme, sagt sie. Diese Woche kommt die britische Rockgöttin PJ Harvey nach Berlin.

Ihr Leitmotiv hat nur vier Worte. Mal mit kleinen Ornamenten, mal mit einer hübschen Variation baut Polly Jean Harvey es in jedes Thema ein: „Die eigene Stimme finden“. Wie von selbst läuft das Gespräch immer wieder auf diese Worte zu. Und weil die Stimme, die sie ausspricht, so sicher und gerade klingt, glaubt man ihr. Man hört, dass sie sich durch sehr viele Stunden in Moll zu dieser ganz persönlichen Wahrheit gekämpft hat.

Manchmal sah es so aus als würde die blasse, dünne Frau aus dem Süden Englands bei der Suche nach ihrer Stimme verloren gehen. So geriet sie vor sechs Jahren in ein dunkles Tal, das sie beinahe verschluckt hätte: Nachdem ihre Beziehung mit dem Musiker Nick Cave zu Ende gegangen war, stellte sie alles in Frage. Sie zweifelte so sehr an sich und ihrer Musik, dass sie alles hinschmeißen und als Krankenschwester nach Afrika gehen wollte. Ganz so kam es dann zwar nicht, doch zu einer Fortsetzung der Arbeiten an ihrem fünften Album ließ sie sich nicht überreden. Erst ein Jahr später kehrte PJ Harvey zu den angefangenen Songs zurück und baute sie komplett um.

Irgendwann während dieses Neustarts muss es passiert sein: PJ Harvey entdeckte ihre Stimme. „Damals fand ich heraus wer ich bin, was ich tue und was ich will“, sagt die heute 32-jährige Musikerin. Das Ergebnis verstörte. „Is this Desire?“ (1998) war und ist das bisher unzugänglichste und zugleich spannendste Werk von PJ Harvey. Mal wispernd, mal wütend singt sie kleine Geschichten über Frauen, die Angelene, Elise, Catherine oder Joy heißen und verloren durch Landschaften aus unheimlichen Beats und verzweifelten Gitarren-Akkorden wandeln. Alle zwölf Lieder sind wie verwinkelte Gärten, die ihre Schönheit erst nach vielen Besuchen offenbaren.

Die melancholische Piano-Ballade „The River“ klingt wie ein Abschiedsgruß an Nick Cave: „Throw your pain in the river/To be washed away slow“, singt Harvey im Refrain. Kaum etwas an diesem Album erinnerte an die extrovertierte, laute PJ vom Beginn der neunziger Jahre, als sie zu rohen Gitarrenriffs schreiend forderte, man solle ihre Beine ablecken. Mit den beiden Alben „Dry“ (1991) und „Rid of me“ (1993) hatte PJ Harvey sich in den Rang einer finster schillernden Rockgöttin katapultiert. Sie war die britische Antwort auf Courtney Love und die Ein-Frau-Opposition der aufkommenden amerikanischen Riot Girls-Bewegung.

Mit ihren klobigen Schuhen, der dicken Gitarre und ihrem großen ungeschminkten Mund erschien sie vielen wie die lang ersehnte Verkörperung eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins. Die englische Presse sah in ihr eine wütende Feministin, was allerdings ein großes Missverständnis war. PJ Harveys Motivation war aber nie eine politische, sondern stets eine künstlerische: „Ich wollte immer etwas schaffen, das den Leuten den Atem nimmt, etwas Aufregendes. Es soll sie emotional provozieren und stimulieren.“ Für dieses Ziel gab sie von Anfang an alles – auch ihren Körper, der nach ihrem Debüt oben ohne auf dem Cover des New Musical Express abgebildet war.

In kurzer Zeit verursachte PJ Harvey einen immensen Wirbel, von dem sie beinahe selbst fortgerissen wurde. Mit 22 Jahren zog sie entkräftet von London zurück in ihre Heimat Dorset, wo sie ein Haus in der Nähe ihrer Eltern kaufte. Es war die Rückkehr an den Ort, wo ihre Liebe zur Musik begann: „Als Kind habe ich ständig Musik gehört. Sie war ein Teil meiner Erziehung.“ Ihre Eltern, eine Bildhauerin und ein Steinbrucharbeiter, hatten eine umfangreiche Plattensammlung die von John Lee Hooker über Robert Johnson bis zu Jimi Hendrix reichte. Ihre Mutter organisierte nebenbei Auftritte von Bands in den Pubs der Umgebung. Häufig übernachteten die Musiker im Haus der Familie. „Es waren meist Blues oder Boogie-Woogie-Bands. Die Saxofonspieler gaben mir umsonst Unterricht. Also kaufte mir meine Mutter ein Saxofon“, erinnert sie sich an ihr erstes Instrument.

Inzwischen hat sie ein ganzes Haus vollgestopft mit den unterschiedlichsten Effektgeräten und Instrumenten, die sich ständig vermehren. Der letzte Neuzugang ist ein Akkordeon. Lachend erzählt PJ Harvey von ihren Versuchen, Instrumente zu spielen, von denen sie keine Ahnung hat: „Ich finde das sehr inspirierend. So entdecke ich Sachen, die sonst niemals hoch gekommen wären.“ Die meisten ihrer Songs entstehen aus solchen Spielereien, die sie auf einer Vier- oder Acht-Spur-Maschine aufnimmt. Diese Aufnahmen dienen dann als Basis für die Arbeit mit den Studiomusikern.

Kürzlich hat PJ Harvey das Material für ihr nächstes Album vorbereitet, das sie im November fertigstellen will. Es wird wieder heftig, prophezeit sie: „Es gibt harte, fette Sounds und wenig Schönheit.“ Auf jeden Fall soll alles „ganz anders“ klingen als auf ihrem letzten und bisher erfolgreichsten Album „Stories from the City, Stories from the Sea“ (Universal/Island), das mittlerweile schon drei Jahre alt ist. PJ Harvey zeigte sich darauf geradezu überschwänglich und optimistisch. Ihren wiedergewonnenen Glauben an die Liebe feierte sie mit einem Strauß wunderbar eingängiger Gitarrensongs. Nur ab und an blitzte die alte Melancholie durch, etwa bei „This Mess we’re in“, das sie gemeinsam mit Radiohead-Sänger Thom Yorke zu einem hypnotischen Kurzfilm über ein auseinander fallendes Liebespaar verdichtete.

Mit „Stories from the City, Stories from the Sea“ inthronisierte sich PJ Harvey überdies als rechtmäßige Nachfolgerin von Patti Smith, der sie auf diesem Album gesanglich so nahe kommt wie nie zuvor. Fast genau ein Jahr nach der alten Meisterin aus New York kann PJ Harvey nun ebenfalls auf der Berliner Museumsinsel zeigen, ob sie eine würdige Thronfolgerin ist.

PJ Harvey spielt am Dienstag, 26. August um 19.30 Uhr auf der Museumsinsel vor der Alten Nationalgalerie .

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