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Georg Elser in den 1930er Jahren. Sein Anschlag am 8. November 1939 missglückte.

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Entscheidend waren "intakte Wertbegriffe": Einsam in der Volksgemeinschaft

Wolfgang Benz lässt dem Widerstand in all seinen Facetten Gerechtigkeit widerfahren.

In diesem Sommer jährt sich zum 75. Mal der 20. Juli 1944, an dem die Verschwörung gegen Hitler mit dem Attentat in der Wolfsschanze ihren Höhepunkt fand. Das frühere Gedenken im Hof des Bendlerblocks, wo um Mitternacht desselben Tages die Verschwörer um Graf Stauffenberg erschossen wurden, hat sich längst zu einer umfassenden Sicht auf den Widerstand gegen das NS-Regime geweitet - und auf dessen Vergeblichkeit. „Mahnungen aus dem Exil und die Appelle der Alliierten, das deutsche Volk möge sich gegen die Diktatur erheben, waren seinerzeit vergeblich“, schreibt Wolfgang Benz eher beiläufig in der Einleitung seines neuen Buches, „Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler“. Dabei beschreibt genau dieser Satz die historische Folie, vor der sich der deutsche Widerstand gegen das NS-Regime abspielte. Wer und aus welchen Motiven auch immer sich als Deutscher gegen das Regime erhob, tat es gegen seine Landsleute, zumindest ohne deren nennenswerte Unterstützung.

Mehr als "Weiße Rose"

Wolfgang Benz, langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, hat selbst einmal den Geschwister-Scholl-Preis erhalten, dessen Name an die Münchner Studenten der „Weißen Rose“ erinnert. Ihre Mitglieder Hans und Sophie Scholl wurden 1943 wegen der Verteilung regimekritischer Flugblätter hingerichtet. Wurden sie nach 1945 lange Zeit allein neben den Verschwörern des 20. Juli geehrt, so hat sich die Kenntnis des Widerstands seither enorm verbreitert; freilich auch die Einsicht in dessen Begrenztheit. „Die historische Realität war zum erheblichen Teil zuerst durch die Zustimmung des deutschen Volks und dann durch den Terror der NS-Diktatur bestimmt“, konstatiert Benz: „Die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus ist deshalb weithin ein Bericht über die Einsamkeit Einzelner, über Anpassung und jubelnden Gleichschritt der Mehrheit, über Verzagtheit und versäumte Gelegenheiten.“

Mehr als "Resistenz"

Benz wendet sich gegen die eine Zeit lang vorgeschlagene Ausweitung des Widerstandsbegriffs auf die bloße „Resistenz“, die „fast jedes nicht regierungskonforme Alltagsverhalten“ einbegreift, als ob „jeder, der dem NS-Regime nicht ständig Beifall spendete, schon Widerstand geleistet hätte“. Seine eigene Definition dagegen ist präzise – und kompromisslos: „Um den verschiedenen Formen von Opposition gerecht zu werden, muss man Widerstand im eigentlichen Sinn nicht nur als Haltung definieren, sondern als daraus erwachsendes Handeln, das auf grundsätzlicher Ablehnung des Nationalsozialismus beruhte“ und „darauf abzielte, das Ende des Regimes herbeizuführen oder dazu beizutragen.“

In der bundesdeutschen Nachkriegszeit hatte sich historische Forschung lange auf den Widerstand von oben konzentriert und entsprechend von einem „Widerstand ohne Volk“ gesprochen. Unter diesem Titel verfasste der damals noch weithin unbekannte Ian Kershaw 1984 einen Aufsatz, in dem er diese Sichtweise zugleich kritisierte wie bestätigte; zum einen, indem er auf die Vielzahl „namenloser Einzelpersonen und Gruppen ,aus dem Volk‘“ hinwies, zum anderen aber, indem er auf die Popularität des Regimes noch nach dem 20. Juli hinwies. Bei Benz, der dieses Motto umkehrt zu „Widerstand ohne Volk oder Volk ohne Widerstand?“, fällt der Befund kaum anders aus.

Die "namenlosen" Einzelnen

In seinem Kapitel „Jüdischer Widerstand und Rettung von Juden“ berichtet er zwar von beispielhaften Aktionen eben solcher vermeintlich „namenloser“ Einzelpersonen – und von der schmählichen Behandlung, die ihnen in der Bundesrepublik zuteilwurde. „,Jüdischer Widerstand‘ war im Deutschen Reich aus vielen Gründen kaum möglich“ – wohl aber Widerstand für Juden. Benz führt zahlreiche Beispiele von beeindruckendem Mut an, die vor allem belegen, was Einzelnen durchaus möglich war. Seine Bilanz ist eindeutig: „Einige zehntausend Menschen, unter ihnen sicherlich mehr ,kleine Leute‘ mit geringer Bildung und geringem Einkommen, aber intakten Wertbegriffen und unbeirrbaren Moralbegriffen, leisteten angesichts tödlicher Bedrohung von Nachbarn auf schlichte Weise mit ihrer Hilfe für Juden Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror, ohne auf spätere Anerkennung zu rechnen.“

Doch es sind dies eben Einzelfälle. Einen einheitlichen, von allen Regimegegnern getragenen Widerstand hatte und konnte es nicht geben. „Die frühe Opposition der Arbeiterbewegung war schon zerrieben, als angehörige bürgerlicher Eliten über widerständige Haltungen zum Regime nachzudenken begannen. Es brauchte noch einmal Zeit, bis Militärs, Beamte, Diplomaten sich entschlossen, den Sturz des Diktators und eine neue Staatsordnung zu planen“, schreibt Benz. Unter dem umfassenden Herrschaftsapparat des NS-Staates wäre wirksamer Widerstand beinahe nur eben dort, im Zentrum der Macht, möglich gewesen. „Die Frage, warum Widerstand seitens der gesellschaftlichen Elite so spät einsetzte, in so geringem Umfang stattfand und so erfolglos war, ist kardinal.“

Der Staat und der Terror

Benz verliert darüber die Realität des Regimes nicht aus dem Blick: „Der NS-Staat verfügte schließlich gegen diejenigen, die sich auflehnten, je länger desto mehr über Zwangsmittel, Terrorgesetze und Strafen, die er bedenkenlos einsetzte.“ Den in hohem Maße selbstmörderischen Widerstand in der Endphase des Regimes nach dem Scheitern des 20. Juli belegt er an erschütternden Beispielen.

Das Buch ist chronologisch gegliedert, vom „Widerstand vor Hitlers Machterhalt“ bis zum „Widerstand in letzter Stunde“; unmittelbar davor liegt der Abschnitt „Widerstand von Soldaten“, unter den Benz den 20. Juli rubriziert.

Ihm ist es angelegentlich, gerade die Beispiele von Widerstand vorzutragen, die in den Jahrzehnten nach 1945 keine oder allenfalls unzureichende Würdigung erfahren haben. Dazu zählt „Der Mann aus dem Volk: Georg Elser“, wie Benz dieses spannungsreich erzählte Kapitel überschreibt. Der schwäbische Schreinergeselle ist erst spät einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden; auch, weil sein sorgfältig vorbereiteter Anschlag auf Hitler so einsam dasteht und in seiner Präzision die dilettantischen Fehler des 20. Juli, wie sie etwa Kershaw in seiner Hitler-Biografie den Attentätern vorrechnet, noch unbegreiflicher macht. Elsers Täterschaft wurde von Anfang an von den Nazis geleugnet, um stattdessen das Gespenst einer britischen Geheimdienst-Aktion zu beschwören. Dass Benz die letzten Seiten des Kapitels nutzt, um eine Jahre zurückliegende Kontroverse über einen Nachwuchshistoriker aufzuwärmen, ist für den heutigen Leser freilich ohne Gewinn.

Keine Spione, keine "Kundschafter"

Besonders am Herzen liegt Benz augenscheinlich die Darstellung der unter dem von der Gestapo angehefteten Namen „Rote Kapelle“ bekannten, im wesentlichen bürgerlich-intellektuellen Widerstandsgruppe: „Dass sich in der Roten Kapelle Angehörige gesellschaftlicher Eliten mit kommunistischen Arbeitern in der Ablehnung des NS-Regimes trafen, machte diesen Widerstandskreis für die Nationalsozialisten besonders suspekt und gefährlich.“ In der Gruppe, interpretiert Benz, sahen die Verfolger „die vielbeschworene ,Volksgemeinschaft‘ in der Gegnerschaft zum Hitler-Staat vereint“. Dass die Mitglieder der „Roten Kapelle“ vorrangig als Spione für die Sowjetunion und damit Landesverräter verurteilt wurden, machte sie in der Bundesrepublik, geschürt von früheren NS-Richtern, zu Außenseitern, wie umgekehrt die DDR sie zu linientreuen Parteikommunisten und „Kundschaftern“ verfälschte. Die empörte Darlegung der Geschichtsklitterungen in West und Ost lässt den moralischen Antrieb erkennen, mit dem Benz sein Buch geschrieben hat.

Am Schluss noch ein "wenn"

Nein, sine ira et studio ist das Buch nicht verfasst, und das wäre auch gegen den streitbaren Charakter des Autors. Aber es ist in diesem Jahr des Gedenkens an den 20. Juli 1944 besonders zu würdigen, dass Benz allen Akteuren des Widerstands Gerechtigkeit widerfahren lässt, unbeschadet ihrer jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Herkunft, ihrer Ziele oder gar ihres Realitätssinns. Der Verächtlichmachung des Offizierswiderstands vom 20. Juli, die im linken Spektrum heimisch geworden ist, schließt er sich nicht im Geringsten an. Man meint sogar einen Seufzer aus dem Satz über den Beinahe-und-dann-doch-nicht-Verschwörer Rommel herauszuhören: „Sein Schicksal lässt ahnen, welche Möglichkeiten der militärische Widerstand mit einem so charismatischen Truppenführer an der Spitze gehabt hätte.“ In der Tat, der deutsche Widerstand gegen Hitler ist zuallererst eine Geschichte der vertanen Möglichkeiten.

Wolfgang Benz: Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler. Verlag C.H. Beck, München 2019. 556 S. m. 39 Abb., 32 €.

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