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Svealena Kutschke: Schmalz auf unserer Haut

Donnerwetter aus Bildern: Svealena Kutschkes Debütroman "Etwas Kleines gut versiegeln".

„Findet mich das Glück?“, so heißt ein Büchlein des Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss, in dem das allgemeine Weltgeschehen betreffende Fragen gestellt, aber nicht beantwortet werden: „Ist das Leben ein seltsames Höhlensystem?“ Oder: „Ist meine Unentschlossenheit die schönste Erfahrung meines freien Willens?“ Lisa, die Protagonistin und Ich-Erzählerin von Svealena Kutschkes Debütroman „Etwas Kleines gut versiegeln“ trägt das Fischli/Weiss-Buch als ständige Lebenshilfe bei sich. Auch Lisa hat viele Fragen und wenige Antworten. Lisa ist ans andere Ende der Welt geflohen, vor der Erinnerung an einen gewissen B, hin zu Marc, dem Exfreund ihres schwulen Bruders, mit sechs Filmrollen mit Bildern von B im Gepäck.

In Australien geschieht, objektiv gesehen, nicht viel: Lisa findet einen Job in einem Café, verliebt sich in Nick, der aber noch an seiner Ex-Freundin hängt, und vögelt mit Ben. Man ist in seinen Geschlechterrollen nicht eindeutig definiert; vermeintlich Schwule knutschen mit Frauen, B war ein Mann, der Frauenkleider trug und offensichtlich im falschen Körper steckte, und als Lisa auf der Straße in Sydney ein Foto findet, das vermeintlich sie zeigt, vor einem Café, in dem sie nie gewesen ist, bekommt das ganze Identitätsdurcheinander noch einen zusätzlichen Antrieb. Irgendwann fährt man dann zusammen in die Wüste, und am Ende fliegt Lisa nach Deutschland zurück. So weit, so unaufregend.

Svealena Kutschke hat im vergangenen Jahr den Berliner Open-Mike-Wettbewerb gewonnen. Wer diesen Roman jetzt liest, bekommt eine Vorstellung davon, warum: Es ist ein Donnerwetter von Bildern und Metaphern, das auf den Leser herniederprasselt, Pointe auf Pointe. Schon nach wenigen Seiten ist so viel gesuchte Originalität, die sich in wohlklingenden Formulierungen niederschlägt, die bei genauer Überprüfung keinem Windhauch standhalten, kaum noch zu verdauen.

Allein auf einer Seite dies: „Die Tage wurden länger, aber nicht breiter.“ Weiter: „Durch die Punkte rechts und links seine gestikulierenden Hände mit den langen, schmalen Fingern. Irgendwie glaubte ich nicht, dass es nur zehn sein sollten.“ Sollte es sich hier irgendwie um eine genetische Veränderung handeln? Oder ist das irgendwo nur aufgeblasener Unsinn?

Nächste Seite: „Wie eine Narbe lag B in meiner Erinnerung, so wie der Horizont auf dem Wasser.“ Hä? Noch weiter: „Wie sollte ich Nick erklären, dass es um diesen kristallinen Zustand ging, der mich befiel im herrlichen Geruch der Chemie, ein Gleißen in allen Dingen, das imstande war, meinen mühsam gesponnenen Kokon aufzubrechen.“ Das Gleißen bricht den Kokon auf? Oder die Chemie? Und: „Ich schloss die Seiten meines Notizbuches über den zarten Knochen des Blattes, die Tür hinter meinem Rücken und lief die Straßen hinunter, plötzlich leicht, als hätte sich auch meine Haut abgelöst, als hätte ein langer Sandsturm meine Knochen geschliffen, als bliebe nur noch meine Essenz.“

Worum es bei alldem geht, wird an einer selbstverräterischen Stelle des Romans offenbart: Jammern, so heißt es da, sei unsexy, Melancholie dagegen sexy. Hier wird also ein empfindsam-melancholisches Gebilde aus Wörtern zusammengehämmert, um sexy Literatur zu schreiben, hip klingendes Geklingel eines vermeintlichen Lebensleids, aufgepeppt mit den Mitteln des modischen Genderdiskurses. Wenn Lifestyle-Texte wie dieser als literaturfähig gelten, dann ist das Ende einer stillschweigenden Übereinkunft absehbar, die im literarischen Sprechen immer mehr gesehen hat als die Abbildung individueller Alltagsprobleme und deren Bewältigung im Geplapper. Befreite man „Etwas Kleines gut versiegeln“ von Lisas rotzigem und zugleich ach so verletzlichen Görentonfall, bliebe nichts mehr übrig – zu erzählen nämlich hat Svealena Kutschke leider erstaunlich wenig. Es wird gesoffen, gekifft, gekokst, und immer wieder gevögelt, und Letzteres natürlich auf eine Art und Weise, die stets auch den Schmerz in sich trägt und den Wunsch, in diesem Schmerz gegen das Verschwinden des eigenen Körpers anzukämpfen.

Es ist ein uneigentliches, ein verlogenes Sprechen, das hier einen Weg in den Roman gefunden hat; ein Tonfall, hinter dem keine Person, kein Mensch erkennbar wird, sondern nur eine Masche und das Lechzen nach der nächsten guten Formulierung. Man kennt das aus RealityShows im Privatfernsehen, in denen die Beteiligten in die Kamera hinein und zu einem vermeintlichen Publikum, aber in Wahrheit nur zu sich selbst sprechen. Das Glück findet sich anderswo.

Svealena Kutschke:

Etwas Kleines

gut versiegeln.

Roman. Wallstein-

Verlag, Göttingen 2009. 296 S., 19,90 €.

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