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Tschetschenien: Völlige Hemmungslosigkeit

Still ist es geworden um Tschetschenien. Nachrichten aus anderen Zonen des Terrors und der Kriege haben die Augen der Öffentlichkeit längst in die Richtung Afghanistans oder Pakistans gelenkt.: Jonathan Littell hat sich auf Spurensuche nach Terror und Despotismus begeben

Die kleine Kaukasusrepublik taugt allenfalls noch zur Randnotiz, wenn wieder einmal eine Journalistin, ein Bürgerrechtler oder Politiker erschossen aufgefunden wurde. Ob Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa oder Anastassija Baburowa – in Moskau und in Grosny ist dann stets von „Einzelfällen“ die Rede. Und doch taucht im Zusammenhang mit den Morden immer wieder ein Name auf: Ramsan Kadyrow, jener „Präsident“, dessen Clan das Land seit dem Ende des offenen Krieges mit Moskau mit harter Hand regiert. Seine Kadyrowzy, eine Milizeinheit, sind dabei nicht nur in Grosny berüchtigt, sondern auch in Moskau, wo die Bewaffneten nahezu unbehelligt agieren können.

Jonathan Littell wollte wissen, woran das liegt, und bat Kadyrow um einen Interviewtermin. Daraus wurde nichts, stattdessen verfasste der Stat-Literat mit seiner Essay-Reportage „Tschetschenien im Jahre III“ eine brillante Analyse des Systems Kadyrow. Der Franzose kennt sich aus: Unzählige Male hat er den Kaukasus bereist, in den beiden Tschetschenienkriegen arbeitete er 1996 und 1999 für eine Menschenrechtsorganisation in Grosny. Einfühlsam, detailreich und in seinen Beschreibungen atemberaubend präzise arbeitet Littell dabei ein Netzwerk des Terrors heraus, das längst weit über Tschetschenien hinausgreift.

Seit 2006 herrscht Kadyrow über die ölreiche Provinz; zwei Jahre zuvor war sein Vater Achmat bei einer Siegesfeier im Stadion Grosnys einem Anschlag mit einer Landmine zum Opfer gefallen. Die Entscheidung Wladimir Putins, mit dem Kadyrow-Clan zwei Tschetschenen an die Spitze des in den neunziger Jahren um die Unabhängigkeit kämpfenden Landes zu setzen, nennt Littell zwar durchaus mutig, stellt sie doch eine Abkehr von der Politik der verbrannten Erde und dem Versuch dar, ausschließlich mit Waffengewalt und mithilfe von Marionettenregierungen den Widerstandsgeist von Nationalisten und Islamisten zu brechen. Mit Ramsan Kadyrow herrscht jedoch ein derart rücksichtsloser Mörder und Despot über das Land, dass dabei selbst dem terror- und bluterprobten Literaten Littell („Die Wohlgesinnten“) die Sprache wegbleibt.

„Es reicht, sich Kadyrow zum Feind gemacht zu haben – dann ist man auf keinem Ort der Welt mehr sicher“, schreibt Littell. „Ramsan weiß wie sein Meister in Moskau sehr genau, dass einige wenige Fälle genügen, um die Furcht am Leben zu erhalten. In Tschetschenien kann man Ramsan nach Herzenslust verabscheuen und sich zu Hause und Freunden gegenüber beklagen, ohne viel zu riskieren; doch wehe denen, die sich Ramsan öffentlich widersetzen, die ihn sich zum Feind machen. Oder die das Pech haben, einen seiner Feinde ein wenig zu gut zu kennen“. Die Liste dieser „Feinde“ ist dabei lang; Littell beschreibt eine Vielzahl heimtückischer Morde, die die Häscher Kadyrows nicht nur in Grosny oder Moskau, sondern auch in Wien, in Dubai oder London verübten.

Kadyrows Machtsystem in Tschetschenien ist dabei vergleichsweise schlicht, aber effizient. Es basiert auf der Protektion durch Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin, Milliardenzuwendungen aus Moskau – und allgegenwärtiger Korruption. „Wenn sich auch alle Vorgesetzten, von den kleinsten bis zu den größten, jeweils auf Kosten ihrer Untergebenen bereichern, so wird doch ein Großteil dieses Geldes von Kadyrow wieder eingezogen und in Projekte reinvestiert, die vom Ausbau grundlegender Infrastrukturbereiche bis zur Errichtung ausgefallener Prestigeobjekte reichen ... So gleicht Tschetschenien einer riesigen Maschine, mit deren Hilfe man Geld zirkulieren lässt, zirkulieren und sich vermehren“.

Offiziell gehört Kadyrow lediglich eine Dreizimmerwohnung mit 36 Quadratmetern und ein Lada Shiguli, eine Art Fiat Panda. „Nichts gehört ihm, weder die unzähligen Luxuskarossen seines Fuhrparks in Zentoroi, bei Youtube zu besichtigen, noch die Porsche Cayenne, die er massenhaft an Gefolgsleute und sogar durchreisende Journalisten verteilt, noch das Dutzend Rennpferde, das er in Dubai hält“, schreibt Littell und zitiert den Präsidenten des russischen Rechnungshofes, der das Ganze lakonisch auf den Punkt bringt: „Ganz Tschetschenien gehört ihm.“

Putins anhaltende Unterstützung ist dabei die Hauptsäule, die das ganze Gebäude trägt. Der Terror, der Wiederaufbau, die Kooptation und der Islam bilden Eckpfeiler. Doch alle sind sie auf gewisse Weise im Inneren morsch: „Die Hölle ist behaglich geworden, aber es ist immer noch die Hölle“, schreibt Littell.

So manifestiere sich die „islamische Erneuerung“ großenteils in einem verkappten Krieg gegen die Moderne und besonders die Stellung der Frau. Das Recht, seine Frauen oder Kinder aus Gründen der „Ehre“ zu schlagen oder sogar zu töten, erscheint Kadyrow dabei so selbstverständlich, dass er daraus ein Argument gemacht hat, das die in den Westen geflohenen Tschetschenen zur Rückkehr bewegen soll. Littell beschreibt eine Begebenheit, die jede Tschetschenin kennt: Vor einigen Jahren luden russische Spitzenbeamte Kadyrow und Mitglieder seiner Sippe zu einem Abendessen nach Moskau ein und brachten als Akt guten Willens zwei tschetschenische Prostituierte mit. Ein Missverständnis: Kurz darauf wurden die Frauen erschossen aufgefunden – „für ein Weib ist es besser, zweite oder dritte Ehefrau zu sein als wegen ihres lasterhaften Lebenswandels getötet zu werden“, verkündete Kadyrow kurz darauf in einem Interview.

Auch den Wiederaufbau in Grosny und in der Provinz, auf den ersten Blick durchaus beeindruckend, sieht Littell derart von Korruption durchtränkt, dass eine selbsttragende Entwicklung kaum möglich sei. Littell nennt als Beispiel die Bildung eines Antikorruptionskomitees: Um Mitglied zu werden, habe jeder der Anwärter zwischen 600 000 und einer Million Dollar aufgebracht.

Fast resignierend stellt Littell denn auch über die tschetschenische Gesellschaft unter Kadyrow fest: „Die archaischen Züge überleben in den Grundstrukturen des Verhaltens, doch darüber liegt als dicke Schicht eine Mischung aus Geld, Geschäft, Handys, Porsche Cayennes und Geländewagen, aus orientalischem Despotismus, völliger Hemmungslosigkeit, einer halb erfundenen und halb radikalisierten Religion und ganz oben ein Zuckerguss aus neotraditionellem Kitsch.“ Und das alles mit dem Segen des Kremls.

– Jonathan Littell: Tschetschenien

im Jahre III. Berlin

Verlag, Berlin 2009.

100 Seiten, 10 Euro.

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