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Lob der Spinne: Wissenswertes über ein unterschätztes Tier
Der Literaturkritiker und Publizist Lothar Müller geht den Mythen des Spinnendaseins nach.
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Die „Naturkunden“ beim Verlag Matthes und Seitz verbinden in ihren Tier-Porträts biologische Auskünfte mit kultur- und mediengeschichtlichen Streifzügen. Welche Art könnte für ein solches Crossover ergiebiger sein als die Spinne, die mit Mythen, Metaphern, Märchen, Novellen, Filmen und Dämonologien verbunden ist?
Lothar Müller hat als Literaturkritiker und Philologe einen scharfen Sinn für die Verbindungsfäden, ohne dass die biologischen Grundlagen darüber zu kurz kämen.
Schon die zoologische Bezeichnung „Arachnologie“ verdankt sich dem Mythos. In Ovids „Metamorphosen“ wird die Weberin Arachne zur Strafe in eine Spinne verwandelt, weil sie mit ihrer Kunst prahlerisch die Göttin Pallas Athene herausgefordert hat.
Mit Spinnen lässt sich seit je literarisch Effekt machen. In Jean Pauls Roman „Doktor Katzenbergers Badereise“ genießt der Held vollsaftige Kellerspinnen als Brotaufstrich.
Weniger spaßig ist Jeremias Gotthelfs Novelle „Die schwarze Spinne“. Wie ein Alien bricht das Krabbelmonster aus der bedrohlich angeschwollenen Wange einer Frau – der Beginn einer biblischen Heimsuchung des Landes. Althergebrachte Sündenmoral verbindet sich hier mit einer Schock-Ästhetik, die den Horrorfilm vorwegnimmt.
Ein zentrales Thema des eindrucksvoll illustrierten Bandes ist denn auch die mediale Darbietung von Spinnen, an deren Spitze Maria Sybilla Merians Bildnis einer Vogelspinne steht, die einen Kolibri überwältigt. Die Künstlerin Louise Bourgeois wiederum hat in ihren Spinnen-Installationen den Angsttraum der Riesenspinne ins Bergend-Mütterliche umgedeutet. Dabei sehen ihre Stahlspinnen, wie Müller feststellt, der Hollywood-Tarantula erstaunlich ähnlich.
Alles also eine Frage des Kontextes? Zumindest wurde die Spinne auch als Wappentier des Feminismus in Anspruch genommen. Dazu passt, dass die kleinen Spinnenmännchen ihre Lust beim Hochrisikosex oft teuer mit dem „Verlust von Körperteilen“ büßen müssen, sofern sie nicht zur Gänze als postkoitaler Proteinbooster verzehrt werden.
Zwar waren alle Versuche, Spinnen in die industrielle Seidenproduktion einzubinden, zum Scheitern verurteilt. Ihre luftigen Netze und Gewebe sind aber zum Muster für Leichtbautechnik und Architektur geworden – etwa beim Dach des Münchner Olympiastadions.
Und auch, wenn die Evolution das Rad als Fortbewegungsmittel nicht erfunden habe – das Radnetz der Spinne komme ihm zumindest formal nahe, stellt Müller fest. Neuerdings weiß man allerdings, dass die Spinne sogar das rollende Rad erfunden hat. Leider erwähnt Müller nicht die jüngst entdeckte Sahara-Radlerspinne, die mit 44 Umdrehungen pro Minute Dünen hinunter rotiert.
Dafür fehlt nicht ein Kapitel über die Spinnenangst. Sie mag, wie Primo Levi erkannte, auch mit der gespenstischen Lautlosigkeit der Tiere zu tun haben. Hilfe gegen übertriebene Spinnenangst bietet die „Exposure Therapy“. Günstiger wäre es, wenn man sich dieses kluge kleine Buch verschreiben lassen könnte.
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