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Atticus (Jonathan Majors) und Leti (Jurnee Smollett) müssen sich mit Rassisten und kosmischen Kreaturen herumschlagen.

© HBO

„Lovecraft Country“ im Stream: Der amerikanische Horror heißt Rassismus

Durch das Werk des Fantasy-Autors H.P. Lovecraft zieht sich die Abscheu vor allem Fremden. Die Serie „Lovecraft Country“ thematisiert dies nun.

Von Andreas Busche

Der amerikanische Fantasy-Autor H.P. Lovecraft konnte auf unnachahmliche Weise den Horror vor dem „Anderen“ in Worte fassen; es war ein pulsierendes Gewimmel von verbalen Phantagorismen, erregter Weltuntergangspornografie und lautmalerischen Degenerationsprozessen.

„Die organischen Dinge, die diese schreckliche Kloake bewohnen, könnten nicht mit noch so viel Fantasie als menschlich bezeichnet werden. Es sind monströse, ominöse Ankündigungen des Pithecanthropischen und Amöbischen; vage ausgebildet aus dem stinkenden viskosen Schleim der Verkommenheit unserer Erde; und in und durch die dreckigen Straßen, aus Fenstern und Türen glitschend und hervorquellend, in einer Art und Weise, die nichts anderes nahelegt als Wurmbefall und das Unaussprechliche aus den tiefsten Regionen der Meere.“

Das Zitat ist keine Passage aus Lovecrafts Monster-Erzählungen voller tentakelbewehrter, schleimig-amorpher, kosmischer Wesen; es stammt aus einem Brief aus den 1920er-Jahren, den der Erfinder der „Weird Fiction“ nach einem Spaziergang durch eine Nachbarschaft in Brooklyn erschüttert zu Papier brachte.

Die moderne Großstadt, in der unterschiedlichste Kulturen zusammenleben, galt Lovecraft als Inbegriff des Niedergangs der Menschheit. Er blieb nur zwei Jahre in New York, dann zog es ihn zurück an seinen Geburtsort in Rhode Island, wo er 1937 im Alter von 46 Jahren starb.

Lovecrafts Rassismus beschäftigt die Literaturkritik

In seine New-York-Phase fällt auch eine von Lovecrafts bekanntesten Kurzgeschichten „Das Grauen in Red Hook“ (geschrieben 1925, publiziert zwei Jahre später), in der der Autor durch seinen Protagonisten spricht, den traumatisierten Polizisten Thomas Malone, der einer okkulten Verschwörung auf der Spur ist.

Malones New York mit seiner syrischen, spanischen, italienischen und schwarzen Bevölkerung beschreibt Lovecraft als ein „babylonisches Gewirr des Lärms und Schmutzes“, das die „finstersten instinktiven Verhaltensmuster primitiver Halbaffen wiederholt”.

Der offene Rassismus des allseits verehrten H.P. Lovecraft ist in der Literaturkritik und Fan-Foren schon länger ein Thema. Die Debatte wurden 2016 von der Entscheidung befeuert, die Lovecraft gewidmete Büste des „World Fantasy Award“, einer der wichtigsten literarischen Auszeichnungen für Science Fiction und Fantasy, abzuschaffen.

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Angestoßen hatte den Streit die nigerianische Autorin Nnedi Okorafor, die den Preis 2011 erhalten hatte. Die Genres Science Fiction und Fantasy sind seit je eine weiße Männerdomäne, lange galt die 2006 verstorbene Octavia Butler als einzige ernstzunehmende schwarze Autorin.

Das hat sich geändert. Heute finden Okorafor, N. K. Jemisin, Samuel R. Delany oder Victor LaValle in seriösen Literaturkreisen Gehör, Colson Whitehead („Underground Railroad“) und Ta-Nehisi Coates („Der Wassertänzer“) spielen mit magischen Elementen. Auch im Kino erlebt das Horrorgenre dank Filmen wie „Get Out“ und „Antebellum“ mit fast hundert Jahren Verspätung seine eigene „Harlem Renaissance“. Lovecraft-Biograf Sunand T. Joshi – und nicht nur er – sieht die Reputation des wohl einflussreichsten fantastischen Schriftstellers bedroht.

Bloß ein Kind seiner Zeit?

Wie die zunehmend diversifizierte und sensibilisierte Nachwelt mit dem mitunter schwierigen Erbe verdienter Kunstschaffender umgeht, ist seit MeToo und „Black Lives Matter“ Gegenstand "identitätspolitischer" Diskussionen. Es wäre absurd, H.P. Lovecraft, der so unterschiedliche Autoren wie Jorge Luis Borges, Arno Schmidt, Stephen King und Alan Moore beeinflusst hat, aus dem literarischen Kanon auszuschließen.

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Doch das gängige Argument, das auch Joshi bemüht, Lovecraft sei eben ein Kind seiner Zeit gewesen (als der Ku-Klux-Klan in den USA ein Revival erlebte), zieht hier nicht. Der Horror des „Unaussprechlichen“, die Sehnsucht nach einer reinen kosmischen Macht, speist sich in Sprache und Ikonografie aus Lovecrafts Weltanschauung, sie macht eine Trennung von Autor und Werk unmöglich.

Vielleicht wird darum auch die HBO-Serie „Lovecraft Country“ seit ihrer Premiere im August als kultureller Meilenstein gefeiert. Showrunnerin Misha Green und der Autor der Romanvorlage Matt Ruff haben Lovecrafts surreale Phantasmagorien in die Wirklichkeit rücküberführt: in das Jim-Crow-Amerika, zwanzig Jahre nach dem Tod des Autors.

Science-Fiction-Nerd Atticus (Jonathan Majors) hat eine Ausgabe aus Edgar Rice Burroughs’ „John Carter“-Reihe um einen Konföderiertensoldaten, den es auf den Mars verschlägt, neben dem Bett liegen. Sein Vater Montrose (Michael Kenneth Williams) bemerkt dazu: „Man versucht, ihre Stärken zu verehren, aber ihre Fehler verschwinden dadurch nicht. Manchmal bohren sie einem mitten durchs Herz.“

Roadmap ins Herz der Finsternis

Der Satz steht im Mittelpunkt von „Lovecraft Country“, diesem Herzen der Finsternis, das Green und Ruf in zehn Folgen kartografieren. Darin trifft Lovecrafts Monsterkabinett (in einer Traumsequenz zertrümmert Baseballstar Jackie Robinson dessen ikonischste Kreatur Cthulhu, einen amorphen Haufen aus Fangzähnen und Klauen) auf den realen Horror Amerikas der fünfziger Jahre: weiße Suprematisten, Lynchmobs, rassistische Polizisten.

(Ab Freitag auch auf deutsch auf Sky)

Atticus, seine Jugendfreundin Leti (Jurnee Smollett), ihre Schwester Ruby (Wunmi Mosaku), Tante Hippolyta (Aunjanue Ellis) und Montrose (Michael Kenneth Williams) müssen sich gegen beides zur Wehr setzen. Wobei die fantastischen Elemente deutlich von Lovecrafts Pulp-Sensibilitäten inspiriert sind, der reale Terror hingegen von „Get Out“, dessen Regisseur Jordan Peele als Produzent die dritte treibende Kraft der Serie ist.

So invertiert „Lovecraft Country“ den Rassismus des Autors und macht diesen selbst zum Thema. Seine Kreaturen werden zum Schutzengel von Atticus, einem Nachfahren des Sklavenanführers Nat Turner.

„Lovecraft Country“ dient als gelungenes Beispiel für die Inklusion eines nach heutigen Maßstäben eigentlich Nicht-Integrierbaren. Die Revision der Quelltexte ist ein Versuch, unter anderem mit Hilfe historischer Tondokumente von James Baldwin und der Dramatikerin Ntozake Shange, das Zeitkolorit, von dem Lovecraft-Verteidiger Joshi spricht, in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Man muss Lovecraft dafür nicht „canceln“, man sollte ihn allerdings richtig – und kritisch – lesen. Denn Lovecrafts ureigener Horror, Rassismus, ist zeitlos.

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