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Sun Yitian, Self-portrait, 2025.

© Sun Yitian Foto: Andrea Rossetti

Malerei von Sun Yitian: Mit Jesus und Barbie in der Hüpfburg

Wir haben eine romantische Beziehung zur Wirklichkeit, so nett wie sie aussieht, ist sie gar nicht. Um dies zu verdeutlichen, malt Sun Yitian Aufblas-Objekte aus Plastik.

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Es fällt seltsam schwer, sich diesem Zusammentreffen von Jesus Christus, von Barbies Busenfreund Ken und anderen Plastikfiguren sozusagen auf dem schwankenden Boden einer Hüpfburg zu entziehen. Zumal Sun Yitian ihre zweite Soloschau in der Galerie Esther Schipper in einem abgedunkelten Saal wie eine Theateraufführung inszeniert.

Die 16 Gemälde aus neuerer Produktion der chinesischen Malerin hängen auf farbigen Wänden, auf denen sich bestimmte Farbtöne der Bilder wiederholen. Im dunklen Ausstellungsraum erstrahlen die von Spots angeleuchteten Bilder wie Teile eines Bühnenbilds, in dem die Schwerkraft aufgehoben scheint. Der Bilderkosmos von Sun Yitian folgt eigenen Gesetzen. Der Unterschied zwischen Künstlichkeit und Natur verwischt. Was auch damit zusammenhängt, dass längst Zweifel an der Differenz zwischen „natürlicher“ und geschaffener Umgebung angebracht ist.

Wo der Luxus zu Hause ist

Fragen wir Sun Yitian, die wir in der Endphase ihres Aufbaus in der Galerie Schipper treffen. Wie ist die 1991 in der am ostchinesischen Meer gelegenen Provinz Zhejiang auf die ganzen Plastikartikel gekommen, die nach wie vor im Mittelpunkt ihrer Malerei stehen? Die Künstlerin verweist auf ihre Geburtsstadt Wenzhou, die als Produktionsstandort für Konsum- und Luxusgüter aller Art bis hin zu billigen Imitationen berühmt ist.

Sun Yitian, Shelter VII, 2025.

© Sun Yitian Foto: Andrea Rossetti

Yitians Kindheit war bevölkert von Barbie, Ken und anderen Puppen. Eine Urszene ereignete sich beim Besuch einer Schulkameradin. Statt bei ihr zu Hause wurde im Showroom der von der Freundin betriebenen Manufaktur gespielt. Entsprechend hybrid waren die drei gemalten „Porträts“, die Yitian in einer Kabinettausstellung vor zwei Jahren bei Schipper zeigte: auf farbigen Unterlagen platzierte Puppenköpfe in monströsem Riesenformat gemalt, bei denen unklar war, ob die Gesichter von realen Personen stammten.

Zelt vor Graslandschaft

Neben Puppen, die auch in der aktuellen Ausstellung dominieren, hat Yitian immer wieder aufblasbare Plastikzelte und Hüpfburgen gemalt. „Ich nenne sie ‚Shelter‘“, erzählt die Künstlerin, „weil ich mit ihnen tatsächlich eine gewisse Geborgenheit verbinde. Andererseits sind es sehr fragile Gebilde, die trotz ihrer soliden Anmutung durch einen Piekser oder einen Sturm zum Einsturz gebracht werden können“.

Sun Yitian, Romantic Room, 2025.

© Sun Yitian Foto: Andrea Rossetti

Die hyperrealistische Darstellungsweise betont die Verletzlichkeit der Strukturen, deren Wölbungen, Falten und Glanzpunkte die Malerin souverän betont. Das gelb-blau-rote, durchaus an Mondrians Abstraktionen erinnernde Großformat „Shelter VII“ zeigt eine Hüpfburg auf rissig-ausgetrocknetem Boden, während das silbergraue Aufblas-Zelt „Shelter VI“ auf einer mondbeschienenen Graslandschaft aufgeschlagen ist.

Während die Künstlerin früher weitgehend auf Hintergründe verzichtet hat, widmet sie ihre Aufmerksamkeit zunehmend den Räumen, in denen die Objekte erscheinen. Zurzeit schreibt Yitian in Peking an ihrer Dissertation unter dem Titel „Materielle und symbolische Dimensionen von Gegenständen in der westlichen Malerei des 17. bis 20. Jahrhunderts“ – was ihre künstlerische Praxis deutlich geprägt hat.

Göttin des Mitgefühls

Von ihrer Auseinandersetzung mit Fra Carnevales „Verkündigung Mariae“ von 1445 rührt das Ölbild „Ken“ her, in dem der in den Bildvordergrund gerückte Kopf der Puppe sowohl den Erzengel als auch die Marienfigur ersetzt. Die Renaissance-Architektur im Hintergrund bleibt in Yitians Paraphrase erhalten – wo sie allerdings wie ein Imitat aus chinesischer Massenproduktion wirkt. Aber was ist schon „echt“? „Wir leben im Zeitalter der Simulation“, schrieb Jean Baudrillard, „Und während sich Schein und Wirklichkeit früher noch auseinanderhalten ließen, ist das Reale heute in der medial erzeugten Hyperrealität aufgegangen“.

Das unheimlichste Bild der Ausstellung zeigt die Begegnung einer menschlichen mit einer aus Kunststoff massengefertigten Marienfigur (laut Yitian könnte es sich aber auch um Guanyin, die buddhistische Göttin des Mitgefühls, handeln). „Virgin Mary in the Mirror“, bei dem ein weibliches Gesicht auf einem Handy-Display erscheint, zitiert Velasquez’ berühmte „Las Meninas“.

Der Schattenwurf lässt den Bildhintergrund (mutmaßlich ein Museumskabinett) zur Fototapete verflachen. Ähnlich die Raumkonzeption in Sun Yitians Großformat „Romantic Room“, von dem der Ausstellungstitel stammt und in dem eine Schneewittchenfigur vor einer tapetenhaften Birkenwaldkulisse schlummert. Betrachtet wird die porzellanhäutige Schöne von einer düsteren Teufelsfigur.

Wir bitten die Künstlerin, uns den Titel zu erklären. „Wir leben in einer romantischen Beziehung, nicht nur im Zwischenmenschlichen, sondern auch zur Wirklichkeit“, antwortet Sun Yitian. „Ich denke, wir sollten uns von der harmonischen Oberfläche der Dinge nicht täuschen lassen. Die Welt ist voller Krisen. Und letztlich zeige ich nicht die Welt, sondern nur Imaginationen“.

Die fantastisch gemalten Spiegelkabinette und hermetisch dichten Konsumwelten der Sun Yitian lassen uns ein wenig ratlos zurück. In ihren Bildern stecken keine Antworten für eine bessere Welt – aber sie könnten Impulse geben, der Welt da draußen etwas kritischer zu begegnen.

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