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Die Justitia-Statue steht inmitten des Gerechtigkeitsbrunnens auf dem Römerberg in Frankfurt am Main.

© picture alliance / greatif/Florian Gaul

Markt oder Staat: Kulturzeitschriften vor Gericht

Frank Berberich, der Gründer von „Lettre International“ klagt gegen „Sinn und Form“. Damit steht auch die Zukunft verwandter Publikationen auf dem Spiel.

Von Gregor Dotzauer

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Das Berliner Landgericht hat gesprochen. Zugleich schweigt es sich gegenüber den Parteien seit vergangenem Donnerstag hartnäckig aus. Das vor einer Wettbewerbskammer ergangene Urteil wurde bisher nicht zugestellt. So wissen weder der Kläger, Frank Berberich und die Zeitschrift „Lettre International“, noch die beklagte Zeitschrift „Sinn und Form“, woran sie sind. Fest steht nur, dass die aktuelle Ausgabe von „Sinn und Form“ bis auf Weiteres nicht erscheinen wird, die Website tot ist – und womöglich erst eine Mitgliederversammlung der herausgebenden Akademie der Künste im Frühsommer die Grundlage für eine rechtskonforme Zukunft schafft.

Was nach einem Sturm im Wasserglas klingt, hat das Zeug zu einem kulturellen Orkan. Das momentan noch nebulöse Urteil kann nicht nur zu jahrelangen Revisionen bis hin zum Bundesverfassungsgericht führen. Es ist auch nur das erste in einer Trias von Klagen, die Berberich überdies gegen „Kulturaustausch“, die Hauszeitschrift des Instituts für Auslandsbeziehungen, und gegen „LCB diplomatique“, ein kostenloses Onlineformat des Literarischen Colloquiums Berlin mit Korrespondentenberichten aus aller Welt, anstrengt.

Was in der sich anbahnenden Tragödie auf dem Spiel steht, sind zwei derzeit unvereinbare Werte. Auf der einen Seite gibt es in Deutschland einen unvergleichlichen Reichtum an kleinen literarischen und intellektuellen Zeitschriften, die das prägen, was man das geistige Leben der Republik nennt. Zu ihnen gehören der 1947 gegründete „Merkur“, die 1949 in Ost-Berlin erstmals erschienene Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ mit bewegter DDR-Geschichte, die 1890 gegründete „Neue Rundschau“ des S. Fischer Verlages, oder auch, seit 2007, die „Zeitschrift für Ideengeschichte“. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie sich mangels Marktmacht nicht selbst tragen können.

Treue Leserschaft

Der bei Klett-Cotta angesiedelte „Merkur“ wird seit 1968 von einer verlagseigenen Stiftung unterstützt. Hinter der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ verbirgt sich ein Konsortium, das unter anderem das Deutsche Literaturarchiv Marbach, die Klassik Stiftung Weimar und das Berliner Wissenschaftskolleg umfasst. „Sinn und Form“ schließlich, mit einer Druckauflage von 3000 Exemplaren, wird von der Berliner Akademie der Künste herausgegeben. Die Grundlage dieser Publikationen ist neben einer überschaubaren, aber treuen Leserschaft also entweder Mäzenatentum oder – indirekt – die öffentliche Hand.

Auf der anderen Seite gilt für Zeitungen und Zeitschriften das Gebot der Staatsferne. Das Recht auf ungehinderte Meinungsäußerung findet seine besten Voraussetzungen in wirtschaftlicher Unabhängigkeit – was die politische und inhaltliche Einflussnahme privater Geldgeber bekanntlich nicht ausschließt. Frank Berberich, der Kläger, beruft sich voller Stolz darauf, im Lauf der vergangenen 35 Jahre, in denen er die deutsche Ausgabe von „Lettre International“ verantwortet hat, keinerlei Subventionen beansprucht zu haben.

Zugleich sieht der 74-Jährige sein Lebenswerk in Gefahr. Er zeigt sich enttäuscht, dass er in schwierigen Zeiten nicht von staatlichen Corona-Hilfen (Stichwort „Neustart Kultur“) profitieren konnte, während „Sinn und Form“ im Schutz der Akademie ungefährdet durch die Pandemie manövrieren konnte. Wenn der seinerzeit bei Monika Grütters zuständige Ministerialrat Oliver Schenk Berberichs Eingabe mit der Antwort abspeiste, dass mit dem Hilfsprogramm des BKM nun einmal keine „Presseförderung“ betrieben werde, beruft dieser sich auf formale Kriterien, die tatsächlich mit einer schwer begründbaren Ungleichbehandlung der kulturellen Sparten einhergehen.

Eurozentrischer Staub

Dazu kommt, dass sich die Medienrepublik seit 1988 mehrfach um die eigene Achse gedreht hat, „Lettre“, dessen verkaufte Exemplare offiziell zuletzt 2020 mit 16.500 angegeben wurde, hat seit seinen Anfängen massiv Auflage und Anzeigen eingebüßt. Auch die weltöffnende Rolle im Konzert der kulturellen Stimmen hat sich gewandelt. Vieles von der Internationalität, mit der „Lettre“ einst den Staub eurozentrischer Bibliotheken wegpustete, ist heute nur einen Klick entfernt. Der allgemeine Mentalitätswandel hat ein Übriges getan.

Berberichs Motive sind also so verständlich wie widersprüchlich. Das Dossier, das er auf lettre.de unter dem Titel „Staatspresse oder Pressefreiheit“ zusammengestellt hat, intoniert den Konflikt allerdings, als würde es sich um einen Querdenker-Slogan handeln. Denn von einer „Staatspresse“, die sich niemand wünscht, kann bei den öffentlich subventionierten Kulturzeitschriften, um deren Schicksal es geht, keine Rede sein. So politisch sie im Einzelnen Akzente setzen mögen, nehmen sie doch grundsätzlich andere Aufgaben wahr als die systematisch berichterstattende, in die Breite von Politik, Wirtschaft, Sport und Feuilleton gehende Tages- und Wochenpresse, die sogenannte vierte Macht im Lande.

Man kann zwar widerspruchsfrei die Position des ersten, im Januar 2021 erstellten Gutachtens Berliner Kanzlei Hertin & Partner vertreten, demzufolge „kein ernstlicher Zweifel daran bestehen (kann), dass die Akademie der Künste durch die Herausgabe der Zeitschrift das Grundrecht der Pressefreiheit konkurrierender Verlage verletzt und sich verfassungswidrig verhält.“ Man wird dadurch aber nicht dem fragilen, aus den verschiedensten Töpfen gespeistem Gefüge gerecht, das den kulturpublizistischen Reichtum dieses Landes ausmacht.

Gebot der Staatsferne

Fragwürdig ist überdies, dass dabei auf ein BGH-Urteil aus dem Jahr 2018 Bezug genommen wird, dass sich mit dem „Crailsheimer Stadtblatt“, dem kostenlosen Amtsblatt der Stadt, auseinandersetzt. Das Gutachten verschweigt nicht nur, dass im Jahr darauf eine private Klägerin vor dem OLG Stuttgart scheiterte, weil es das Gebot der Staatsferne „in der Gesamtbetrachtung“ nicht verletzt sah. Kommunalpolitische Mitteilungen lassen sich nun einmal ebensowenig mit der Informationsleistung einer Tageszeitung vergleichen.

Die Grundfrage bei „Sinn und Form“ wie bei den verwandten Zeitschriften lautet: Handelt es sich in erster Linie um kulturelle Produkte, also mehr oder weniger arme, schützenswerte Pflänzlein, die öffentlich gehegt und gepflegt werden sollten? Oder sind sie in erster Linie Presseerzeugnisse, die sich in freier Wildbahn durchsetzen müssen?

Wenn im Segment der Kulturperiodika ein Wettbewerb stattfindet, dann ist er vor allem intellektueller, nicht ökonomischer Natur. Sowenig „Sinn und Form“ durch „LCB diplomatique“ ein Nachteil entstanden ist, sowenig würde „Lettre International“ vom Verschwinden von „Sinn und Form“ profitieren: Bei aller Ähnlichkeit leben alle Publikation von ihrem je eigenen Profil – und der Fähigkeit, aktuelle Strömungen aufzuspüren. Warum sich Berberichs juristischer Furor auch gegen den „Kulturaustausch“ richtet, ist erst recht nicht zu verstehen. Die Zeitschrift agiert nicht nur wegen ihres Magazincharakters auf einem anderen Feld. Weitaus mehr als „Sinn und Form“ definiert sie in Gestalt journalistischer Beiträge ein Selbstverständnis der herausgebenden Institution – so wie die Hauszeitschrift der Bundeskulturstiftung.

Falls die Voraussetzungen, unter denen „Sinn und Form“ derzeit erscheint, etwa eine fehlende Gebührenordnung, keine rechtliche Grundlage haben, dann gilt es, dies schnellstmöglich zu ändern. Es wäre nur fatal, aus der formaljuristischen Illegalität die Illegimität eines solchen Unternehmens generell abzuleiten. Bei aller inhaltlichen Nähe zu den Aktivitäten der Akademie der Künste macht es den Vorzug von „Sinn und Form“ aus, gerade kein ödes Verlautbarungsorgan zu sein. Darf dies der Zeitschrift juristisch zum Nachteil gereichen?

Der zu bearbeitende Komplex hat gewisse Parallelen zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, man dürfe der AfD-nahen Erasmus-Stiftung keine öffentlichen Gelder verweigern, solange kein Gesetz die Rechte und Pflichten von Parteistiftungen im Allgemeinen regelt. „Sinn und Form“ ist ein anderer Fall. Aber wenn das Urteil langfristig dazu dient, einen Rahmen zu schaffen, der die Finanzierung der Zeitschrift juristisch sichert, ohne auf dem Weg dorthin die bestehende Vielfalt des kulturellen Feldes zu beschneiden, nützt das allen Akteuren. Sonst droht die alte Sentenz „Fiat iustitia, et pereat mundus“ ihr kohlhaasisches Potenzial zu entfalten – und wenn sie nur mit sich bringt, dass Frank Berberich die Früchte seines Tuns nicht mehr ernten wird.

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© Sinn und Form

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