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Industriefotografie: Matrix der Moderne

Die Fagus-Werke im niedersächsischen Alfeld sind Unesco-Welterbe. Das Bauhaus-Archiv zeigt die Industriefotos von Albert Renger-Patzsch.

Kein Mensch weiß, was das ist. Aufrecht steht eine Gruppe von Werkzeugen zusammen, die einen Holzgriff tragen und deren metallenes Oberteil an eine Gartenschaufel denken lässt. Es handelt sich um „Schuhbügeleisen“. Das sind „elektrische Heizeisen zum Ausbügeln von Nähten an Schuhen“, wie Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs, erläutert. Die soeben eröffnete Ausstellung des Berliner Hauses, „Die Moderne im Blick – Albert Renger-Patzsch fotografiert das Fagus-Werk“, füllt eine Wissenslücke: sowohl hinsichtlich des Schuhbügeleisens als auch in Bezug auf die Fagus-Werke, wo solches Werkzeug hergestellt wurde.

Das Foto mit den wie eine Kompanie aufmarschierten Bügeleisen gehört zu den Inkunabeln des „neuen Sehens“, der Fotografie der 20er Jahre. Die Nahsicht auf Objekte von Technik, Industrie und Alltagswelt und deren Herauslösung aus einem erzählenden Kontext sind Charakteristika der neusachlichen Fotografie. Albert Renger-Patzsch (1897-1966) ist einer der Großen der Industriefotografie. Berühmt geworden und immer wieder reproduziert sind einzelne Aufnahmen, wie eben diese rätselhaften Werkzeuge, aber auch Industrielandschaften des Ruhrgebiets aus einer Zeit, da die Hüttenindustrie noch den Rhythmus des ganzen Landes bestimmte.

Den prosaischen Zusammenhang, in dem das Foto der Schuhbügeleisen entstanden ist, dokumentiert nun das Bauhaus-Archiv. Renger-Patzsch fertigte 1928 eine ganze Serie von Fabrik und Produktion an. Die daraus erhaltenen gut 40 Aufnahmen sind in der Berliner Ausstellung mit dem Inhalt eines erst vor Wochen aufgefundenen Kartons mit weiteren 50 Arbeiten des Fotografen sowie solchen, die im thematischen Zusammenhang stehen, zu sehen. Die titelgebende Serie ist eine Auftragsarbeit des Unternehmers Karl Benscheidt.

Dessen Fagus-Werke im niedersächsischen Alfeld an der Leine hatten einen berühmten Architekten: Walter Gropius, der hier mit seinem Büropartner Adolf Meyer zwischen 1911 – dem Gründungsjahr der Firma – und 1914 eine seinerzeit hochmoderne Fabrikanlage geschaffen hatte, für Gropius der Durchbruch zum Ruhm und zur Realisierung des Bauhauses wenige Jahre darauf. Die Fagus-Werke gelten als ein Gründungsbau der Architektur-Moderne. Darum sind sie am vorvergangenen Wochenende in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen worden.

Im Jahr des Fagus-Auftrags veröffentlichte Renger-Patzsch sein überaus erfolgreiches Fotobuch mit dem Titel „Die Welt ist schön“, die Wahl des Verlegers Kurt Wolff, während Renger-Patzsch „Die Dinge“ vorgeschlagen hatte. Darin wurde das Bügeleisen-Foto der Öffentlichkeit bekannt, da Benscheidt von der ursprünglich gedachten Verwendung der Fotos für Werbezwecke absah. Tatsächlich wurden einzelne Aufnahmen von Renger-Patzsch weniger Werbung für Schuhleisten als vielmehr für die moderne Architektur. Gropius erkannte den propagandistischen Nutzen, und noch mehr sein erster Biograf, der Herold des sich bildenden „International Style“, Siegfried Giedion.

Beide setzten Fotografien, die die neuartigen Stahlskelett- oder Betonbauten mit ihren Glasfassaden in vorteilhaften Ansichten zeigten, zielgerichtet ein, wie später dann am Dessauer Bauhaus-Neubau Lucia Moholy-Nagy, deren Aufnahmen als Postkarten vermarktet wurden. Von den Fagus-Aufnahmen verwendete Gropius immer wieder die Nr. 16, die die verglaste Ecke des Hauptgebäudes zeigt – noch 1935 in einer amerikanischen Publikation als Beleg für die „fundamentalen Grundsätze der neuen Architektur“.

Menschen sind auf den Fagus-Bildern mit ganz wenigen Ausnahmen nicht zu sehen. Sie fehlen überhaupt auf Renger-Patzschs Arbeiten; ein Umstand, den ihm der Foto-Theoretiker Herbert Molderings als „Verdinglichung alles Lebendigen“ vorhielt, als eine Aufnahmeweise, „die alles versteinert, was vor ihr Objektiv kommt“. Doch zugleich attestiert Molderings, die Aufnahmen des bis gegen Kriegsende in Essen ansässigen Renger-Patzsch hätten „die Industriefotografie in ganz Europa revolutioniert, ja das, was wir moderne Industriefotografie nennen, überhaupt erst hervorgebracht“. Der Ursprung dieser Ästhetik aber liegt in der Serie für die Fagus-Werke.

So sehr Renger-Patzsch darauf beharrte, die Dinge zu zeigen, wie sie sind, so deutlich erkennen wir heute, dass es der Blick des Fotografen ist, die Dinge so und nicht anders zu zeigen. Kein Amateur würde die Fabrikgebäude so aufnehmen wie Renger-Patzsch: halb versteckt hinter der Mauer, auf der der Schriftzug der Firma in nahezu surrealer Verzerrung prangt. Das ist Komposition. Es ist das Bekenntnis zur Welt der Industrie und der Macht der Dinge.

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 19. August, Mi-Mo 10-17 Uhr.

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