
© Amazon Studios
Indische Romanze „Photograph“: Mein Bild von dir
Zarte Romanze, ganz ohne Bollywood-Kitsch: Der Regisseur Ritesh Batra kehrt mit "Photograph" in seine Heimatstadt Mumbai zurück.
Was war das? Miloni schreckt zusammen. Etwas ist über ihre Füße gehuscht. Rafi flüstert: „Nur eine Ratte, ist schon wieder weg.“ Fürsorge auf indisch. Der Saal in dem abblätternden Kinopalast in Mumbai, wo für ein paar Rupien traditionelle Bollywood-Musicals laufen, sind dicht besetzt. Kino ist das Vergnügen der Armen. Und von denen gibt es viele in Mumbai, dem Sehnsuchtsziel der Landflüchtigen.
Rafi ist einer von ihnen. Geld verdient er als Touristenfotograf am Triumphbogen, dem „Gateway of India“. Das meiste schickt Rafi (Nawazuddin Siddiqui) heim zur Großmutter. Sein Zimmer in einem Wellblechverhau unter der Hochbahn teilt er sich mit Kumpels. Abends hocken sie am Boden, essen und plaudern. Miloni sitzt dagegen mit der Familie auf einem Stuhl bei Tisch. Nachts rollt das Dienstmädchen ihre Schlafmatte auf den Fliesen vor der Einbauküche aus. Miloni (Sanya Malhotra) büffelt für ihr Examen als Wirtschaftsprüferin. Sie verkörpert die wachsende urbane Mittelschicht. Trotzdem geht es ihr wie Rafi, der sie zufällig am Gateway fotografiert. Beider Familien drängen auf Eheschließungen mit standesgemäßen Kandidaten.
Der indisch-amerikanische Filmemacher Ritesh Batra hat sich 2013 mit seinem in Cannes uraufgeführten Debüt „Lunchbox“ etabliert. Die Romanze bestach durch ihren wunderbar diskreten, verhalten melodramatischen Erzählstil und einen aufmerksamen Blick für die Realität der von sozialen und religiösen Schranken geprägten indischen Gesellschaft. Nach einigen US-Filmen kehrt Ritesh Batra mit der deutsch-indischen Koproduktion „Photograph“ nun in seine Heimatstadt Mumbai zurück.
Etwas mehr Geschehen dürfte sein
Das Arthouse-Drama kommt wie „Lunchbox“ ohne jeden Bollywood-Kitsch aus. Obwohl das reiche Hindu-Mädchen, das allen Hindernissen zum Trotz den armen Muslim-Jungen liebt, ein populärer Topos alter Bollywood-Märchen ist. „Photograph“ ist staunenswert zärtlich, aber allzu langsam inszeniert. Etwas mehr Geschehen und eine üppigere Charakterzeichnung dürften schon sein. Besonders Miloni, die ewig lernend über den Büchern hockt, bleibt in ihrer Neugier auf den sich ihr schüchtern nähernden Rafi unerklärt. Ihre nächtlichen Gespräche mit dem Hausmädchen werfen immerhin ein Schlaglicht auf die Entfremdung zwischen dem ländlichen und dem städtischen Indien. Der romantischen Miloni scheint ersteres erstrebenswerter zu sein. Prompt lebt sie auf, als sie Rafis Großmutter kennenlernt, die aus seinem Heimatdorf zu Besuch kommt.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Die zerfurchte Alte im leuchtenden Sari mausert sich alsbald zum belebenden Element zwischen den beiden, die lieber schweigend beieinandersitzen, als Wörter füreinander zu finden. Unablässig Ratschläge und Lebensweisheiten vom Stapel lassend repräsentiert sie die traditionelle Mutterfigur. Kein Vergleich mit den deutlich zurückhaltenderen Eltern von Miloni, die sich, zeitgemäß verklausuliert, kein bisschen weniger dominant verhalten. Was ist wichtiger: Familie oder Individuum? „Photograph“ erzählt das Drama des modernen Indiens. (Kant Kino, OmU im Rollberg)