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Kultur: Meine Jahre sind nicht meine Jahre

Wiederentdeckt und umstritten: Franz Tumler, ein Erzähler mit NS-Vergangenheit.

Kommt jetzt die Zeit für eine ideologiefreie Neulektüre ideologisch belasteter Nachkriegsautoren? Einer von ihnen ist der Österreicher Franz Tumler. Im Innsbrucker Haymon Verlag wird sein Werk in Zusammenarbeit mit der örtlichen Universität und mit Unterstützung des Landes Südtirol (Abteilung Deutsche Kultur) seit 2011 neu aufgelegt. Auch vergeben die Landesregierung und die Gemeinde Laas, die ihn zum Ehrenbürger machte, seit 2007 in seinem Namen alle zwei Jahre einen Literaturpreis.

Unlängst ist sein viertes Buch, der Roman „Der Schritt hinüber“ von 1956, neu erschienen. Er handelt von einer Frau in der sowjetischen Besatzungszone, die zwischen dem Begehren von vier Männern zerrieben wird und sich nichts als Ruhe wünscht. Eine weltabgewandte Geschichte von Verrat, Treue und dem zwischen Opferbereitschaft und Größenwahn schwankenden (natürlich weiblichen) Guten, das Böses schafft.

Franz Tumler gehört dem „Jahrgang 1912“ an, einer Generation, die seiner eigenen Aussage nach von ihrer Zeit „in Mitleidenschaft“ gezogen wurde. Das ist milde formuliert. Tumler wurde im nationalistisch gespaltenen Südtirol geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs er in Linz auf. Ein „Fremder unter Fremden“ sei er gewesen, schreibt Harald Hartung 1998 in einem Nachruf auf Tumler. Er fand sich in der Fremde dann aber erstaunlich gut zurecht.

1935 begann mit dem Roman „Das Tal von Lausa und Duron“ seine Karriere als Bestsellerautor. Zwischen 1935 und 1944 folgten zehn weitere Bücher, dazu zahlreiche Erzählungen und Gedichte, die er in der nationalkonservativen Literaturzeitschrift „Das Innere Reich“ veröffentlichte. Von Tendenzliteratur konnte am Anfang nicht unbedingt die Rede sein, doch 1939 beteiligte sich der 27-Jährige mit dem Gedicht „Dir, deutsches Volk, gehören wir im Osten“ an einem Geburtstagsbuch für Hitler.

1940 erschien in der Schriftenreihe der NSDAP der Aufsatz „Österreich ist ein Land des deutschen Reiches“. Tumler wurde Mitglied in der NSDAP und der SA, er stand auf der „Führerliste“ der „gottbegnadeten Künstler“. Seine Privilegien in den Wind schlagend, meldete er sich 1941 zur Wehrmacht. Er habe Soldat werden wollen, bekannte Tumler später, um den Krieg als „redlicher Mann“ zu überstehen.

Offenbar ist ihm das in den Augen vieler gelungen: In den 1950er Jahren zog er nach Berlin, auch wenn er dort nicht an den Verkaufserfolg der Vorkriegszeit anknüpfen konnte. Kollegen wie Walter Höllerer und Hermann Peter Piwitt schätzten seine neue ernüchterte und sprachskeptische Schreibweise und ihn selbst für seine „Kunst des Zuhörens“. Tumlers Bücher erschienen bei Suhrkamp und später bei Piper. 1959 wurde er Mitglied der Akademie der Künste in West-Berlin, war 1967/68 dort Direktor für die Sektion Literatur. Man staunt angesichts eines solchen Lebenslaufs und ahnt, welch diffuse Form der Toleranz in Tumlers Generation herrschen konnte.

Aber kann man die nationalsozialistischen Anfänge Tumlers einfach vergessen? Der österreichische Germanist Klaus Amann kritisierte bei einer Tagung zu Tumlers 75. Geburtstag die Rezeption: Den Mann und sein Werk ernst zu nehmen, heiße auch, seine Lebensrealität anzuerkennen und nicht als „Irrtum“ abzutun. Es wirkt sogar so, als habe er sich erst nach dem verlorenen Krieg in eine literarische Form des Schweigens zurückgezogen. Das wäre eine andere Erklärung für den Bruch in Tumlers literarischer Entwicklung als die wohlwollende Vermutung, die Erfahrung der eigenen Korrumpierbarkeit habe ihn einsehen lassen: „Was eigentlich geschieht, lässt sich nicht herunterdrehen auf eine Geschichte“, wie es in „Der Schritt hinüber“ heißt, oder dass man die „Dinge von ihren Voraussetzungen“ zu einer „eigenen Existenz“ lösen müsse, wie Tumler in seinem Essay „Wie entsteht Prosa“ fordert.

Einer, der immer wieder als Verteidiger von Tumler zitiert wird, ist ausgerechnet Jean Améry. Sein Essay über Tumlers „Sätze an der Donau“ (1965) endet damit, dass Tumlers Diskretion ihn habe heimisch werden lassen in seinem Text. Von jemandem wie Améry ist das eine außerordentliche Aussage. Vorher fallen aber auch diese Sätze: Tumlers Buch gehe jeden an, der die Zeiten kennt, in denen „das Land Österreich sich duckte, ein Waschweib mit so viel schmutziger Wäsche im Korb“. Auf Tumlers Weigerung „Geschichten zu machen“, erwiderte Améry: „Aber die Geschichte hat nun einmal Geschichten gemacht, schlimme Geschichten (...) und das alles geht nicht auf in Sätzen, die nur noch sie selber sein wollen.“

Es sei die Idee des Buches, miteinander ins Gespräch zu kommen, „im Menschlichen wie im Politischen“, schrieb Hermann Peter Piwitt 1965 im Tagesspiegel über Tumlers Roman „Aufschreibung aus Triest“. Es fällt schwer, diese Sichtweise zu teilen. Tumlers Romane gleichen eher dem Hilfeschrei eines Sprachlosen und zeugen trotz reflexiver Titel wie „Nachprüfung“ und „Aufschreibung“ von einer enormen Verdrängung, in der sich mancher nach 1945 verstanden gefühlt haben dürfte. Angesichts von Interviews, in denen sich Tumler auffällig wortkarg gibt, sobald es um seine Vergangenheit geht, wirkt es fast grausam, dass er für seine „Detailgenauigkeit“ und „Handlungshemmung“ gelobt wird. Beides resultiert aus dem Trauma eines fatalen Ehrgeizes, das auch die Literatur nicht wegwischen konnte, sondern nur imprägnierte.

Warum also Tumler lesen? Weil es auch heute ein Bedürfnis nach „Redlichkeit“ gibt? Tumler formulierte es 1947 in der an eine „Liebe, gnädige Frau“ gerichteten Brieferzählung „Einmal war etwas Gutes geschehen“ in dem Wunsch, der Adressatin „in dieser für Sie schweren Zeit eine Stunde zu geben, in der Ihnen die Gedanken freundlicher und heller gelenkt werden“. Freundlich auch, dass Tumler seinen Figuren oft eine zweite Chance gibt und ihnen zumindest die Möglichkeit bietet, ins Leben zurückzukehren.

Eine Ausnahme bildet die Erzählung „Nachprüfung eines Abschieds“ (1961/2011), die grandios mit dem Bild des Erzählers beginnt, der die Welt nurmehr vom Keller aus zu sehen imstande ist, „die Erde dicht vorm Mund“, als säße er „am Rande einer Grube und spähte gedeckt aus ihr heraus“. Das beschreibt Tumlers Erzählhaltung wie auch sein eigentliches Lebensthema: „Schuldig gewohnt und schuldig weggegangen, wo sollen wir anfangen?“ In „Aufschreibung aus Trient“ wiederholt sich der Knacks dieses Autors, der sich nach dem Krieg nicht mehr kennen wollte und konnte, in der Frage: „Aber hättest du dich nicht kümmern sollen?“

„Wen kümmert’s wer spricht“ und „Der Unterschied ist nicht groß“ sind zwei zentrale Sätze aus Tumlers Erzählkosmos, die tief blicken lassen: Denn es kommt darauf an, wer spricht. Und der Unterschied ist groß, gerade für Tumlers Generation, die Opfer, Täter, Mitläufer oder alles auf einmal war. Kriegsjahre pflegen nicht „auf eine seltsame Art ins Leere“ zu fallen, sondern hallen noch zwei Generationen später wider.

Tumlers Werke begleitet Haymon mit einem Forschungsband. Das ist gut, denn diese Literatur der Verdrängung ist historisch interessant und der Anfang von „Nachprüfung eines Abschieds“ zweifellos bemerkenswert. Tumlers sprachliche Begabung erscheint aber im Vergleich zu Generationsgenossen wie Wolfgang Hildesheimer ebenso begrenzt wie seine Poetik der Aufzählung, die der Geschichte ausweicht, die eigentlich zu erzählen wäre. Die selbst auferlegten Grenzen der Reflexion formuliert er selbst: „meine Jahre / was habe ich angefangen / mit ihnen / sind nicht meine Jahre / aber / diese Schrift / ist meine Schrift“.

Franz Tumler: Der Schritt hinüber. Roman. 240 Seiten, 22,90 €. Aufschreibung aus Trient. Roman. 344 Seiten, 22,90 €. Nachprüfung eines Abschieds. Erzählung. 120 Seiten, 17,90 €. Volterra. Wie entsteht Prosa. 88 Seiten, 9,95 €. Alle erschienen im Haymon Verlag, Innsbruck.

Johann Holzner, Barbara Hoiß (Hrsg.): Franz Tumler. Beobachter – Parteigänger – Erzähler. Studienverlag, Innsbruck 2010. 248 Seiten, 19,90 €.

Insa Wilke

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