
© Partizan Films
Michel Gondry auf der Berlinale: Mayas Welt
Der französische Regisseur und oscar-prämierte Drehbuchautor Michel Gondry hat für seine Tochter Maya und gemeinsam mit ihr Animations-Kurzfilme gedreht. Eine Begegnung nach der Generation-Premiere von „Maya, donne-moi un titre“.
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Michel Gondry spricht aus, was eigentlich alle wissen sollten: „Katzen retten Kindern ständig das Leben!“ Auch das seiner Tochter. Die ist nämlich beim Toben im Schnee zu einem riesigen Schneeball geworden. Als ihre Katze Doubidou erkennt, wer in diesem eisigen Klumpen steckt, greift sie beherzt zum Föhn, taut Maya wieder auf und bewahrt sie, wenn nicht vor dem Schlimmsten, doch zumindest vor einer handfesten Erkältung.
Andere Eltern erzählen ihren Kindern Gute-Nacht-Geschichten. Der französische Regisseur Michel Gondry schickt seiner Tochter seit ihrem dritten Geburtstag animierte Bildergeschichten. Eine kleine Auswahl davon hat er nun in „Maya, donne-moi un titre“ gebündelt und auf der Berlinale zusammen mit seiner mittlerweile „fast zehnjährigen“ Tochter, Mitarbeiterin (sie kündigt im Film die einzelnen Episoden an) und Titelheldin im Kinderprogramm Generation Kplus vorgestellt.
Alles habe damit angefangen, so erzählt Gondry nach der Vorführung, als er – ein Spätzünder in Sachen Handy – ein Smartphone gekauft und festgestellt habe, dass mit dessen Zeitrafferfunktion „alles zum Cartoon“ werden könne. Schon bald tauscht er das Handy gegen einen Tricktisch und beginnt mithilfe eines Computers zu animieren, geht dabei aber denkbar einfach vor: Papier, Schere, Stifte, Kleber ist alles, was er braucht – und von Maya einen Titel, der vorgibt, was sie gerne sehen möchte.
„Dann entstehen in meinem Kopf sofort Ideen und Bilder“, so der Regisseur. „Es ist, als würde ich Maya an die Hand nehmen und mit ihr in diese Geschichte hineingehen.“
Und was für Abenteuer Maya in den Kurzfilmen ihres Vaters erleben darf! Ein Erdbeben in Paris. Alle sind in Panik, außer Maya, die mit ihrem Fotoapparat durch die wankenden Häuser läuft. Eine Flasche mit hoch konzentriertem Ketchup färbt die Weltmeere rot. Da können nur Pommes – die Anziehungskraft zwischen beiden ist unbestritten – die Ökokatastrophe abwenden.
Ein andermal wird Maya durch ein Mittel, das Gurken zu Cornichons schrumpft, selbst so klein, dass sie durch den Abfluss der Badewanne in die Kanalisation und via Wasserhahn direkt in den Salatkopf gespült wird, den ihre Mutter gerade wäscht. „Mama, schau mich an! Ich bin winzig!“ Ihr Zustand ist zum Glück nicht von Dauer.
Wer genau hinschaut, kann erahnen, wie Gondry in „Maya, donne-moi un titre“ die Bilder in Bewegung gesetzt hat: Die ausgeschnittene und wie von Kinderhand gemalte Figur auf einen Hintergrund legen. Fotografieren. Die Figur ein bisschen bewegen. Wieder fotografieren. „Nach zwölf Fotos hat man eine Sekunde Magie“, erklärt er im Film die Stop-Motion-Technik.
Und was macht für ihn diese Magie aus? Gondry nimmt im Pressegespräch ein Wasserglas vom Tisch und stellt es an anderer Stelle wieder ab. „In der Animation bewegt sich ein Glas von allein“, lächelt er. Zumindest sei das der Eindruck. Und: „Alles ist möglich“, die Fantasie hat in der Animation freien Lauf.
Wattewolken, Fantasietiere
Michel Gondry begann als Regisseur von Werbeclips und Musikvideos und erhielt für seinen zweiten Spielfilm „Vergiss mein nicht“ (2004) gemeinsam mit Charlie Kaufman den Oscar für das beste Drehbuch. Ebenso bekannt ist er für seine poetischen, etwas durchgeknallten, surrealistischen Geschichten und Bilderwelten, und für seine handgemachten Stop-Motion-Tricks. Den Clip zu „Fell in Love with a Girl“ (2002) von The White Stripes hat er komplett mit Legosteinen realisiert. Und in „Walkie Talkie Man“ (2004) der neuseeländischen Punkband Steriogramm taucht er selber als Kameramann auf und verfängt sich in Wolle und Gehäkeltem.
Nach dem Vorbild osteuropäischer Trickfilme kommt bei Gondry Wasser als Zellophan aus dem Hahn, schweben Watte-Wolken am Himmel, galoppieren Filz-Pferde über Wiesen. Bricolage-Technik verwendet er in seinen Videos ebenso wie in seinen Spielfilmen, etwa in seiner Romanze „Science of Sleep – Anleitung zum Träumen“, mit der er 2006 zur Berlinale eingeladen war.
2014 war er Mitglied der Internationalen Jury, zeitgleich lief im Panorama „Is the Man Who is Tall Happy?“, in dem er versucht, die Gedankenwelt des Sprachphilosophen Noam Chomsky mithilfe von Zeichnungen zu veranschaulichen.
Papa, der Trickfilm-Zauberer
Auch „Maya, schenkst du mir einen Titel?“ verweist wiederholt auf seine Machart. Als das Mädchen etwa während des Erdbebens rausgehen will, beruhigt es seine Mutter. Es könne gar nicht gefährlich sein, mögen die Häuser noch so schwanken, der Asphalt aufreißen oder gar der Eiffelturm einstürzen. „Wir sind in einem Film von Papa! Alles ist aus Papier! Schau!“
Und das Mädchen reißt sich zum Beweis entzwei, um im Nu wieder zusammengeklebt zu werden. Mayas Lieblingsgeschichte, erzählt sie am Rande des Pressegesprächs mit ihrem Vater, ist jedoch die Episode, in der er Fantasietiere für sie erfindet und dazu singt. „Mein Papa sagt immer, dass er nicht singen kann, aber das stimmt gar nicht!“
Mehr als 70 Kurzfilme hat Gondry für seine Tochter gedreht, eine zweite Kompilation kommt im Juni in Frankreich in die Kinos. Es war ihm wichtig, in seinen Filmen Familienmitglieder und Dinge aus Mayas Alltag zu integrieren. Aber vor allem sollte sie Spaß haben.
„Ich habe genauso hart daran gearbeitet wie an Filmen für ein Millionenpublikum.“ Was als Geschenk für die Tochter gedacht war, ist nun ein Film für alle geworden und regt dazu an, selbst mit Papier, Schere und Smartphone einen Trickfilm zu zaubern.
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