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Popliteratur: Millionär auf Reisen

Vom Berghain ins tiefste Anatolien: Imran Ayata versucht mit seinem Roman „Mein Name ist Revolution“, das Politische in die heimelige Welt der Berliner Nachtschwärmer sickern zu lassen.

Devrim, Erzähler und pochendes Herz dieses Romandebüts von Imran Ayata, ist zwar wie halb Berlin Mitte dreißig, ziellos und ungebunden. Doch er besitzt das brillante Alleinstellungsmerkmal, Sohn der ersten Gastarbeiterlottomillionäre zu sein. Marxisten waren die Eltern auch noch, und in der Woche des Millionengewinns machte ein Verkehrsunfall den fünfjährigen Devrim zum Waisen. Eine perfekte Ausgangsposition für eine Geschichte also. Und tatsächlich ist „Mein Name ist Revolution“ keiner dieser typischen Berliner Slackertexte. Obwohl er all deren Attribute aufweist: Jede Zigarette wird mit Marke erwähnt, die vielen Drinks ebenso, und dann ins Berghain, bis die Nasen bluten.

Sorglos und entwurzelt treibt Devrim durch seinen Alltag. Bis er sich in die Hamburgerin Rüya verknallt und ihr zuliebe in die anatolische Heimat ihrer beider Eltern fliegt. Plötzlich tapsen Erzähler und Leser gleichermaßen ahnungslos durch Tunceli, das Devrim und Rüya nur „beim alten Namen“, Dersim, nennen. Der Volksmund spricht auch von Klein-Moskau, wegen der vorherrschend linkspolitischen Ausrichtung der Bevölkerung. Diese hat ihren Ursprung in einem fürchterlichen Blutbad, das die Kemalisten im Rahmen ihrer Türkisierungspolitik in den Dreißigern unter der vorwiegend kurdischen Bevölkerung angerichtet haben. Ein Konflikt, der seit der Militarisierung der PKK in den Achtzigern wieder blutig ist. Hier Devrim (türkisch für Revolution, daher der Titel) zu heißen, kann an militärischen Straßenposten unangenehm werden.

Nicht, dass Imran Ayata einen politischen Bildungsroman geschrieben hätte. Aber ihm gelingt es, das Politische in Form von vergessenen Konflikten und Abschiebebiografien in die heimelige Welt Berliner Nachtschwärmer dringen zu lassen. Dafür findet er poetisch treffende Bilder, etwa jenes der beiden Basketballer aus der Nachbarschaft, deren Spiellärm nach der Abschiebung des einen nicht mehr in Devrims Wohnung dringt. Übrigens nicht ganz zum Unwillen eines Nachbarn namens Peter Schneider aus der Etage drüber, der vielleicht nicht zufällig nach dem 68er-Schriftsteller (unter anderem „Rebellion und Wahn“) benannt ist.

Vor allem aber beherrscht Ayata die Kunst des Dialogschreibens. Jedes Wort, jeder Laut sitzt perfekt, ist präzise abgelauscht. Dass Imran Ayata seine sprachlichen Mittel beherrscht, mag sich auch seiner Position als Geschäftsführer einer Kommunikationsagentur verdanken. Sein Talent zeigte sich schon 2005 mit dem Erzählband „Hürriyet Love Express“, und auch als Beiträger zum Sarrazin-Löschzug „Manifest der Vielen“ trat Ayata in Erscheinung.

Schreibt so jemand mit Anfang vierzig einen Roman mit typisch selbstverliebter Großstadtprosa, dann nur, um dieser den Spiegel vorzuhalten. Mit der Reise nach Dersim liegt ein Schatten über Devrims Wohlstandswehwehchen, der Lärm eines echten Konflikts hallt nach in den hohen Decken der schmucken Altbauwohnung. „Mein Name ist Revolution“ liest sich wie ein Gegenmodell zu Leif Randts abgeklärter und mehrfach gebrochener Ironieprosa in „Schimmernder Dunst über Coby County“. Ayatas Devrim wird überwältigt von Liebe, Krieg und Tod – dazu können sich eigentlich nur Pappköpfe ironisch verhalten!

Vielleicht verbirgt sich hinter den vielen kleinen Problemchen von Devrim – den Querelen mit seinem Radiojob, der erodierenden Männerfreundschaft mit Okan und Altan, dem Knüpfen zarter Bande mit Rüya – doch eine tastende Sehnsucht nach einer der großen, von der Postmoderne lange verdrängten Erzählungen. Ayatas Roman wendet sich bewusst gegen die Politikvergessenheit der jüngeren deutschsprachigen Literatur, ohne mit deren ästhetischen Vorlieben zu brechen. Ein Glücksfall.

Imran Ayata: Mein Name ist Revolution. Roman. Blumenbar Verlag, Berlin 2011. 318 Seiten, 16,95 €.

Moritz Scheper

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