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David Byrne war einst Frontmann der Talking Heads. Jetzt hat er ein neues Solo-Album aufgenommen.

© Jody Rogac/Warner

Musiker David Byrne im Interview: „Tanzen ist eine Metapher für Sex“

David Byrne über mitreißende Rhythmen, gute Nachrichten, das Fahrradfahren – und sein neues Album „American Utopia“.

Mister Byrne, es ist noch nicht allzu lange her, da hat Björk ein Album mit dem Titel „Utopia“ veröffentlicht. Gibt es eine utopische Verschwörung?

Nein, ich habe mich mit Björk nicht abgestimmt. Sie hat mich kalt erwischt. Kurzzeitig habe ich überlegt, den Titel meines Albums zu ändern. Aber ihre Intention ist dann doch eine etwas andere.

Björks Album ist eher persönlich, während Sie einen politischen Ansatz gewählt haben ...

Ja, so sehe ich das auch. Sie hat etwas durchgemacht in ihrem Leben, doch sie ist am anderen Ende herausgekommen und es geht ihr besser.

Das Utopia, das Sie beschreiben, ist ja auch geografisch definiert.

Und das, obwohl Amerika gerade der unwahrscheinlichste Ort für Utopien zu sein scheint. Jede und jeder denkt sofort: Das passt nicht. Aber ich denke: Probieren wir es aus. Mal sehen, was passiert.

Aber wenn ich jetzt sage: Da haben Sie tatsächlich den falschen Ort ausgewählt!

Dann sage ich: Die Sehnsucht, dass sich die Dinge zum Besseren wenden, die gibt es überall, insbesondere, wenn die Dinge schief laufen. Dann fragen sich die Menschen: Wer sind wir, warum haben wir das zugelassen, wie konnte es so weit kommen? Und ich hoffe, dass diese Fragen uns weiterbringen. Viel weiter, als uns Wut und Frustration jemals bringen werden.

Der amerikanische Traum war von Anfang an auch ein Alptraum: Für die indigenen Völker beispielsweise oder die Sklavinnen und Sklaven.

Das stimmt. Und als der französische Politiker und Historiker Alexis de Tocqueville seine Bücher über die Demokratie in Amerika schrieb, prangerte er die Sklaverei zu Recht als ein Verbrechen an, dass sowohl die Sklaven als auch ihre Besitzer über lange Zeit beschädigen würde. Und doch hat es in Amerika immer diesen starken Drang gegeben, einen Traum zu leben, sich neu zu erfinden. Diesen amerikanischen Impuls wollte ich hervorheben.

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Ihre eigene Familie hat den amerikanischen Traum auch gelebt: Ihre Eltern sind von Schottland nach Kanada und schließlich nach Baltimore gezogen.

Ja. Das war eine Zeit, als in Glasgow, die Reedereien schließen mussten und die Industrie verschwand. Qualifizierte Kräfte fanden Arbeit in Kanada und in den USA. Ich habe erst später herausgefunden, dass es einen weiteren Grund gab, weshalb meine Eltern Schottland verließen. Meine Mutter stammt aus einer protestantischen Familie, mein Vater aus einer katholischen. In Glasgow war die Akzeptanz einer „gemischten Ehe“ nicht sehr hoch. Vergessen Sie nicht, dass Glasgow bis heute zwei Fußballteams hat, die die Stadt in zwei Lager trennen. Insofern sind meine Eltern auch nach Amerika gegangen, um ein neues Leben zu beginnen.

Sind Ihre neuen Songs entstanden, während Sie über Amerika nachgedacht haben. Oder waren die Songs schon vorher da?

Die Songs existierten bereits, als ich den Grundgedanken des Albums entwickelte. Der auslösende Moment war ein Konzert von Chance The Rapper, bei dem er sich mit den Zustand der USA befasste.

In den Credits taucht der Hip-Hop-Künstler allerdings nicht auf, sondern einmal mehr Ihr Wegbegleiter Brian Eno.

Ich sprach vor ein paar Jahren bereits mit Brian über eine Reihe von Rhythmus-Sequenzen und Algorithmen, die einen besonders menschlichen Klang hatten. Ich habe damals zu Brian gesagt: Wenn Du mir die überlässt, dann versuche ich, daraus was zu machen.

Am Anfang war der Rhythmus.

Und dann kamen die Worte.

Dann wundert es nicht, dass gleich der erste Song vom Tanzen handelt.

Tanzen ist immer ein guter Ausgangspunkt. Tanzen ist eine tolle Metapher dafür, wie wir über uns hinausgehen und etwas miteinander erleben. Es ist eine Metapher für Sex. Mich hat vor allem das Miteinander interessiert auf diesem Album. Wie werde ich Teil einer Gemeinschaft?

Sind Sie in dieser Hinsicht ein guter Tänzer?

Ich kann mir die einzelnen Schritte nicht merken, aber ich habe Freude am Tanzen!

„Das Internet macht es schwerer, von Kreativität zu leben“

David Byrne war einst Frontmann der Talking Heads. Jetzt hat er ein neues Solo-Album aufgenommen.
David Byrne war einst Frontmann der Talking Heads. Jetzt hat er ein neues Solo-Album aufgenommen.

© Jody Rogac/Warner

Sie haben in einem Video mit der amerikanischen Musikerin St. Vincent getanzt. Das sah lässig aus.

Das war aus der Not geboren. Ich habe mich am Set gelangweilt…

Langeweile? Sie sind doch immer beschäftigt! Jetzt zum Beispiel bringen Sie ein Album heraus und sind gleichzeitig auf Tour mit einer Vortragsreihe: „Reasons to be Cheerful“ (Gründe, guter Dinge zu sein) Wie kam es eigentlich dazu?

Als ich damals die Rhythmus-Spuren von Brian Eno eingesammelt habe, da fing ich zeitgleich an, noch andere Dinge zu sammeln: Dinge, die mir Hoffnung gaben, die mich optimistisch stimmten. Manchmal war ich Zeuge dieser Dinge – zum Beispiel in einer Favela in Brasilien, wo ein Bibliotheksprojekt die Kriminalitätsrate fallen ließ, oder in Bogotá, wo ein Busspur-System den Verkehr umgekrempelt hat. Manchmal habe ich aber auch nur über diese Dinge gelesen.

Sie sind leidenschaftlicher Fahrradfahrer.

Das ist natürlich in Städten wie Kopenhagen oder Berlin nichts Spektakuläres. In New York aber schon. Ich habe mit dem Fahrrad viele Städte dieser Welt ganz neu erschlossen. Du bekommst ein anderes Gefühl für jede Stadt, wenn Du nach und nach mit dem Fahrrad deine Kreise ziehst.

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Welche Erkenntnisse haben Sie auf Ihrer Vortragsreihe denn mit nach Berlin gebracht?

Für Europäer ist es vielleicht gut zu wissen, dass es selbst in den konservativen Regionen der USA Menschen gibt, die sich für grüne Themen interessieren. Der Bürgermeister von Georgetown in Texas – ein waschechter Republikaner – hat komplett auf Windenergie umgestellt. Er hat erkannt, dass Nachhaltigkeit langfristig mehr bringt als kurzfristiger Öl-Profit.

Welche Hoffnungen verbinden Sie denn mit der Musikbranche? Vor fünf Jahren haben sie da noch schwarz gesehen. „Das Internet wird uns aller Kreativität berauben“, sagten Sie in einem Interview.

Da muss ich mich korrigieren. Ich glaube, die Menschen sind immer noch kreativ. Die Leidenschaft und der Drang, kreativ zu sein, sterben nicht aus. Aber das Internet macht es schwerer, von dieser Kreativität zu leben.

Während Ihre Vortragsreihe ein Sammelsurium an Lösungsvorschlägen für die Probleme der Welt ist, gibt es auf ihrem Album mehr Fragen als Antworten.

Das stimmt. Ich mag Fragen. Meine Freunde nervt das manchmal. Wir reden über etwas und ich habe gleich eine Handvoll Fragen.

Gibt es deshalb vielleicht auch so viele Tiere in Ihren Songs? Aus der Sicht von Tieren ergeben sich schließlich viele Fragen zum Zustand der Menschheit.

Oh, ja! Aus der Sicht von Hühnern, Schweinen und Eseln ist die Welt nochmal ein anderer Ort!

„American Utopia“ erscheint am 9.3. bei Nonesuch. Konzert: Tempodrom, 27. Juni

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