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Die Berliner Musikerin Stella Sommer.

© Gloria Endres de Oliveira

Musikerin Stella Sommer im Interview: „Meine Inspiration kommt vom Lesen“

Mit „Silence Wore A Silver Coat“ hat Stella Sommer ein feines Folkpop-Doppelalbum veröffentlicht. Ein Gespräch über ihren Streamingboykott, Düsternis und die Berliner Musikszene.

Stella Sommer, Ihr neues Album „Silence Wore A Silver Coat“ ist nicht auf Streamingplattformen zu hören. Wieso?
Weil ich davon nichts habe. Es ist einfach extrem schlecht bezahlt. Für 25.000 Streams bekommt man von Spotify etwa hundert US-Dollar. Das ist kaum zu schaffen, wenn man wie ich nicht in die großen Playlists reinkommt. Denn meine Musik entspricht nicht der Algorithmus-Logik. Es fehlt oft ein Beat und der Refrain kommt nicht nach 30 Sekunden.

Ihr Doppelalbum hat eine Spieldauer von 70 Minuten. Es ist üppig instrumentiert - definitiv kein musikalisches Fast Food.
Die Platte hat 24 Songs und ich wolle nicht, dass die Leute sich einfach so durchklicken können. Ich hatte diese Idee schon länger und dachte, dass man es mit diesem Album am besten ausprobieren könnte. Es wäre nicht so stark ins Gewicht gefallen, wenn es nur zehn Titel gehabt hätte und man vorab schon vier Singles veröffentlich hätte.

Aber jetzt habe ich sechs Singles ausgekoppelt und es sind immer noch 18 Nicht-Album-Tracks, die keine Chance haben, in die Playlisten zu gelangen. Wenn ich Glück habe, komme ich auf 10.000 Streams pro Song, was noch nicht mal 50 Dollar sind. Und wenn man die dann noch mit einem Label teilen muss, kommt man auf vielleicht auf 20 Dollar.

Äußerst mickrig.
Hinzu kommt, dass Musikmachen einfach ein teures Vergnügen ist. Eine durchschnittliche Indie-Produktion kostet in Deutschland 10.000 Euro. Hinzu kommen Kosten für Herstellung, Promo, Artwork etc. Ohne Förderung durch die Initiative Musik kann heute kaum noch etwas veröffentlicht werden, weil es kaum Wege gibt die Albumproduktion von kleineren bis mittelgroßen Bands zu refinanzieren. Bis zu 60 Prozent der Gesamtkosten können übernommen werden, in der Pandemie ist das sogar nochmal aufgestockt worden.

Was ist mit Konzerten? Jetzt sind Live-Auftritte ja wieder möglich.
Das funktioniert – wenn man mit Band unterwegs ist – auch erst ab einer bestimmten Größenordnung. Man braucht in jeder Stadt mindestens 300 Konzertbesucher*innen, damit sich das rentiert. Auch auf Tour fallen nicht zu unterschätzende Kosten an: Miete für einen Bus, ein Techniker und die Bandmitglieder müssen bezahlt werden. Natürlich ist es anders, wenn man alleine unterwegs ist oder als kleine Indie-Band, bei der die Leute sich gegenseitig nichts auszahlen.

Wie hat Ihr Label Buback reagiert, als Sie es mit dem Vorhaben konfrontierten?
Als ich es das erste Mal erwähnte, fanden sie die Idee ganz interessant, aber als sie gemerkt haben, dass ich es ernst meine, nicht mehr ganz so. Wobei sie es besser aufgenommen haben als der Digitalvertrieb, der ja nur an den sechs Singles verdient hat, die hochgeladen wurden. Aber die haben es dann auch akzeptiert.

Wie läuft der Verkauf bisher?
Ganz gut. Wir hatten als Erstauflage 500 LPs und 1000 CDs hergestellt und mussten beides schon nachproduzieren. Wobei man sagen muss, dass 25 Euro für eine Doppel-LP recht günstig sind.

Wir hören Sie selbst Musik?
Gar nicht (lacht). Ich versuche, möglichst wenig Musik zu hören, weil es mich unfrei macht, wenn ich selber etwas schreiben möchte. Ich versuche, jede Melodie, die ich geschrieben habe, mit der größtmöglichen Selbstverständlichkeit zu singen. Das heißt, das sie mich möglichst an nichts erinnern sollte. Und je mehr Musik man im Kopf hat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man schon mal so was ähnliches gehört hat.

Stella Sommer zog von Hamburg nach Berlin.
Stella Sommer zog von Hamburg nach Berlin.

© Gloria Endres de Oliveira

Und wenn Sie gerade nicht selber Songs schreiben?
Dann bin ich auch ganz froh, wenn ich relativ wenig mit Musik zu tun habe. Ich lese eher Bücher. Und wenn ich mal was höre, dann eher bei Tidal. Mein Plattenspieler ist auch gerade kaputt.

Sie haben das Album auch selbst produziert. Wie kam es zu der Entscheidung und wie ist es dann gelaufen? Es war ja ihr erster Alleingang auf diesem Gebiet.
Der Hauptgrund war auch hier Geld. Das Mischen und Mastern wird ja pro Song bezahlt, weshalb es bei so vielen Stücken recht teuer werden kann. Der Posten, der sich am ehesten einsparen ließ, war für mich der Produzent. Deshalb habe ich entschieden es einfach selbst zu machen, denn ich wusste ja, was passieren muss und brauchte keinen kreativen Input mehr. Der Prozess selbst war dann recht ereignislos.

Es hat mich noch nie gereizt, Liebessongs zu schreiben.

Stella Sommer

Das Album klingt nach kalifornischem Singer-Songwriter-Pop der 60er und 70er. Was waren die Orientierungspunkte für den Sound?
Es gab da keine konkreten Vorbilder. Aber ich bin mit 60er-Jahre-Musik aufgewachsen: Beatles, Bob Dylan, Kinks, Elvis, Monkees. Das ist am ehesten, wo ich herkomme als Songwriterin. Ich mache Folksongs ohne Schickschnack, mal ein bisschen poppiger, mal weniger. Letztlich ist der Kern der Lieder ja sehr einfach. Auch deshalb brauchte ich keinen Produzenten, der noch irgendwelche Tricks auspackt.

Stella Sommer mit Elvis-Shirt.
Stella Sommer mit Elvis-Shirt.

© Gloria Endres de Oliveira

Darkness, lostness, emptiness, sorrow – schon die Songtitel zeigen, dass das Album eher finstere Themen behandelt. Ist das pandemiebedingt oder was war die Inspiration?
Meine Inspiration kommt vom Lesen. Ich lese sehr viel und schreibe mir alles raus, was ich interessant finde. Wobei die Worte schon eine gewisse Bildhaftigkeit haben müssen. Und das sind dann meistens tatsächlich eher düstere Begriffe wie silence oder sorrow.

Welche Bücher haben Sie vorab gelesen?
Es waren etwa 25 Stück, ich habe drei, vier Monate nur gelesen. Darunter waren sehr viele Gedichtbände, zum Beispiel „Technicans of the Sacred“ oder „Shaking the Pumpkin“. An Büchern war „Memories from beyond the Grave“ von Chateaubriand dabei und einige Bücher von W.G. Sebald, die ich vergessen hatte und wieder neu gelesen habe.

Es geht um viele verschiedene Gefühle auf der Platte. Nur eins ist auffällig abwesend: die Liebe. Wie kommt das?
Ich glaube dafür fehlen mir die Ideen. Es hat mich auch noch nie gereizt, Liebessongs zu schreiben. Bei meiner Band Die Heiterkeit haben wir es mal probiert, aber auch mehr weil es eben in der Popmusik dazugehört. Es gibt aber ohnehin wenig Lieder über Liebe, die mich berühren. Obwohl das Thema einen Song ja eigentlich größer machen solle, macht es ihn für mich meistens eher kleiner.

Aber gerade auch Liebeskummer und Eifersucht sind doch ein reichhaltiges Themenfeld.
Das hat einfach nicht so viel mit meinem Leben zu tun. Das bietet wenig Potenzial für Songs. Ich kann ohnehin schlecht steuern, was ich gerade gut schreiben kann. Ich denke, dass man die Lieder, die man gerade schreibt, nur zu genau dem Zeitpunkt schreiben kann, in dem man sie auch schreibt. In zwei oder drei Jahren sind es dann wieder andere. Dafür kann ich in drei Jahren nicht mehr über Dinge schreiben, die ich vor zwei Jahren thematisiert habe.

Es gibt kein Zurück.
Ja, ich habe immer das Gefühl, man wird dann irgendwo abgesetzt und dann muss man gucken, was es dort für Songs gibt. Und wenn das alles abgeweidet ist, kann man weitergehen.

Apropos Ort: Sie sind vor knapp fünf Jahren von Hamburg nach Berlin gezogen. Welchen Einfluss hat die Stadt auf Ihre Musik?
Ob es da einen direkten Einfluss gibt, kann ich gar nicht sagen. Aber was ich an Berlin schätze, ist die Größe und Bandbreite der Musikszene. In Hamburg war alles sehr auf St. Pauli beschränkt. Wenn man dort sagte, man macht Indie-Musik wussten alle, was man damit meint. Hier ist es irgendwie durchmischter und vielfältiger. Es gibt auch nicht so viel Neid, weil alle das Gefühl haben, dass es Platz genug für alle gibt.

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