zum Hauptinhalt
Neuköllner Begegnungsstätte in der Flughafenstraße. Die Moschee ist freitags immer so voll, dass auch im Hof und auf dem Gehweg gebetet wird.

© Mike Wolff

Muslimische Theologie an der Humboldt-Universität: Deutschland kann sich den Islam nicht zurechtschneidern

Was geschieht, wenn eine Religion akademisiert wird? Und wer vertritt die Muslime in Deutschland? Zum Streit um das geplante Islam-Institut an der Humboldt-Universität. Ein Essay

Es steht Spitz auf Knopf, das Vorhaben kann gelingen oder misslingen. Der Vertrag zur Beirats-Gründung des Islam-Instituts an der Humboldt-Universität liegt vor. Alle Mitglieder des Beirates müssen bis Ende März unterschreiben. Zu diesem Gremium gehören fünf traditionell-konservative muslimische Verbände: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), die Islamische Föderation Berlin (IFB), der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), der Zentralrat der Muslime und die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS).

Sie repräsentieren einen Großteil der in Deutschland lebenden Muslime. Die vier großen, im wesentlichen sunnitischen Verbände – Ditib, VIKZ, Islamrat und Zentralrat – haben sich 2007 zum „Koordinationsrat der Muslime“ zusammengeschlossen. Er versteht sich als Deutschlands oberste islamische Organisation.

Das weiß auch Seyran Ates, die Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin und Gründerin der liberalen Ibn-Rush-Goethe-Moschee in Berlin. Aber sie protestiert scharf, immer wieder. Weder ihre Organisation noch Vertreter des Liberal-Islamischen Bundes sitzen im Beirat. Das kritisiert auch die Berliner CDU. Der Beirat hat zwar keinen Einfluss auf die Ausschreibungen der Professuren, aber ein Vetorecht bei der Besetzung. Allerdings werden in das Gremium noch vier verbandsunabhängige muslimische Wissenschaftler berufen. Das schafft Raum für die Berücksichtigung liberaler Interessen.

Was nach der Unterzeichnung des Vertrags geschieht, steht vorerst im Konjunktiv. Dann nämlich könnte im Wintersemester 2019/2020 das Studium der muslimischen Theologie in Berlin beginnen. Angedockt würde es an der philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität. Vier Professuren sollen eingerichtet werden – je eine für islamische Textwissenschaft, Philosophie, Recht und Religionspädagogik. Koranexegese und Religionspädagogik waren von Anfang an gesetzt, Anträge auf zwei weitere Forschungsprofessuren wurden gestellt. Berlin wäre die sechste deutsche Stadt, in der islamische Theologie an einer Universität gelehrt wird. Ein großes, wichtiges, überfälliges Projekt.

Skeptisch ist vor allem die von der Türkei kontrollierte Ditib

Könnte, würde, sollte. Es gibt Streit, mit den liberalen Verbänden wie innerhalb des Beirats. Lediglich der Zentralrat der Muslime hat bislang seine Zustimmung signalisiert. Skeptisch dagegen ist vor allem die von der Türkei kontrollierte Ditib. Sie befürchtet durch die Akademisierung der Lehre einen Verlust an Einfluss. Eine Prognose wagt derzeit keiner.

Das Institut für Islamische Theologie ist ein vom Staat finanzierter bekenntnisgebundener Studiengang, der in erster Linie Theologen und Lehrkräfte ausbilden soll – der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen hat in Deutschland als einziges Unterrichtsfach Verfassungsrang. In Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes steht: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach“, er wird „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt“. Der Staat zahlt, hält sich inhaltlich aber raus, bleibt weltanschaulich neutral. Allerdings dürfen nur staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften an öffentlichen Schulen unterrichten.

Lange hatten muslimische Verbände genau dafür gestritten. Sie wollten gleichbehandelt werden mit Katholiken und Protestanten. Doch wer spricht für die Muslime, wer vertritt sie, wer ist befugt, in ihrem Namen über die Inhalte eines Islam-Studiengangs zu befinden? Einen festen Ansprechpartner wie bei den christlichen Kirchen haben die Kultusminister nicht. Die Strömungen sind äußerst heterogen, reichen von konservativ bis liberal, von sunnitisch über schiitisch bis mystisch. Allerdings half ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2005. Die muslimischen Verbände müssten nicht im gleichen Maße verfasst sein wie die Kirchen, heißt es darin, ausreichend sei „ein Minimum an Organisation“, außerdem müsse ein Verband nicht alle Gläubigen repräsentieren.

Wie viele Gläubige gibt es überhaupt in Deutschland? Das Christentum ist eine Entscheidungsreligion, man kann eintreten oder austreten. Der Islam dagegen ist eine Geburtsreligion, jeder, der als Kind von Muslimen geboren wird, gilt als Muslim, ob er glaubt oder nicht, betet oder nicht, fastet oder nicht. Ein geordnetes Austrittsverfahren gibt es nicht. Manchmal ist die Selbstkennzeichnung als Muslim auch nur ein demonstratives Bekenntnis zur eigenen kulturellen Herkunft.

Das Wort von der „Selbstentmächtigung“ ging um

Bislang wird muslimischer Religionsunterricht überwiegend von Imamen aus dem Ausland erteilt, insbesondere aus der Türkei, oft ohne akademische oder religionspädagogische Qualifikation. Das verleiht den Imamen weitgehende interpretatorische Vollmachten. Man kann es auch Macht nennen. Entsprechend skeptisch waren anfangs einige muslimische Verbände bei dem Plan, die Auslegung ihrer Religion an eine staatliche Institution wie die Universität abzugeben. Das Wort von der „Selbstentmächtigung“ ging um. Konservative Kreise fragten: Führt eine institutionelle Verwissenschaftlichung des Islams womöglich zu dessen Deformierung?

Was wie ein Widerspruch aussah – für gleiche Rechte streiten, das erkämpfte Recht dann aber nicht in Anspruch nehmen wollen –, zeugt von der Ambivalenz vieler Muslime beim Verhältnis von Glaube und Staat: Akzeptanz und Unterstützung ja, Fremdbestimmung und Mitsprache nein. Eine Brust, zwei Seelen.

Nun war das Gespräch über den Islam in Deutschland noch nie einfach. Vieles, was über die Religion behauptet wird, stimmt – aber oft auch das Gegenteil. Das meiste ist richtig und falsch zugleich, das wenigste typisch. Islam und Demokratie vertragen sich nicht, heißt es. In der Tat gibt es kein islamisch geprägtes Land, dessen politische Organisationspraxis sich mit der von Großbritannien, Norwegen, Schweden oder der Schweiz vergleichen lässt. Allerdings werden Tunesien, Indonesien, die Türkei, Bangladesch oder Malaysia demokratischer regiert als etwa das buddhistische Myanmar. Und welches afrikanische Land mit überwiegend christlicher Bevölkerung hat sich zu einer lupenreinen Demokratie entwickelt? Das christlich orthodoxe Russland wiederum fällt mit großer Geschwindigkeit in autoritäre Strukturen zurück. Die katholischen Philippinen gelten als „fehlerhafte Demokratie“.

Muslime stellen die Scharia über das weltliche Recht, heißt es

Der Islam ist nicht bloß eine private Religion, sondern auch eine politische Weltanschauung, heißt es. Das Christentum nicht? Der katholische Katechismus umfasst regulativ so ziemlich alle Bereiche des menschlichen Lebens. Dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. wird nachgesagt, erheblich zum Sturz des Kommunismus beigetragen zu haben. Sein Nachnachfolger Franziskus hat die lateinamerikanische Befreiungstheologie wieder ins Zentrum gerückt. Kaum bescheidener politisch ambitioniert sind die evangelischen Christen. Ob Flüchtlinge, Rüstung, Klimawandel, Kernkraft oder Armut: Protestanten mischen sich ein, grundsätzlich, aus ihrem Selbstverständnis heraus. Nicht zufällig werden Kirchentage als Polit-Happenings verspottet.

Aber Muslime stellen die Scharia über das weltliche Recht, heißt es. Überraschung: Auch für gläubige Christen steht Gottes Wort über den Gesetzen. Im Konfliktfall, so liest man in der „Augsburger Konfession“ von 1530, einer bis heute verbindlichen Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche, „soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Ähnlich die „Barmer Theologische Erklärung“ von 1934. Natürlich darf der Rechtsstaat keine Gesetzesverstöße dulden. Außerdem gibt es ein hohes Maß an Kongruenz zwischen der christlichen Lehre und den demokratisch verfassten Werten. Aber den Grundsatz der obersten Bindung an Gottes Wort teilen Muslime wie Christen.

Zuletzt: Muslime sind bildungs-, innovations- und wissenschaftsfeindlich, sie haben wenige Nobelpreisträger hervorgebracht. Vor 500 bis tausend Jahren hätte der Befund anders ausgesehen. Ob Mathematiker, Naturwissenschaftler, Erfinder, Botaniker oder Mediziner: Muslime waren weltweit führend. Dann aber fällte Sultan Bayazid II. um 1485 „eine der verhängnisvollsten Fehlentscheidungen der Weltgeschichte“, wie es der Religionswissenschaftler Michael Blume in seinem vor kurzem erschienenen Buch „Islam in der Krise – Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug“ nennt: das Verbot des Drucks arabischer Buchstaben. Es galt als ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft werden konnte. Die Niederschrift des Korans sollte als geheiligte Tätigkeit einigen wenigen Gelehrten vorbehalten bleiben. Dadurch immunisierte sich der Islam gegen jene Dynamik, die in Europa durch Buchdruck, Bibelübersetzung, Reformation und die Demokratisierung von Wissenschaft und Forschung ausgelöst wurde.

Vor diesem Hintergrund gleicht die Gründung von Islam-Instituten an deutschen Universitäten einer innerislamischen Revolution. Historisch-kritische Koranexegese, wissenschaftliche Hermeneutik, vergleichende Religionsforschung – all das trägt zum Prozess einer Versöhnung von Lehre und Moderne bei und damit zur Stärkung einer eigenen muslimischen Identität in Deutschland.

Die Revisionsklausel ist nicht verhandelbar

Der Ball liegt im Feld der Beirats-Mitglieder. Strittig ist eine Vertragsklausel, die spätere Veränderungen der Zusammensetzung des Beirats ermöglicht. Sollten die liberalen Gemeinden weiter wachsen oder sich die Organisationsstruktur der Muslime in Berlin durch Flüchtlinge aus arabisch-islamischen Ländern verändern, hätte dies Auswirkungen auf den Beirat. Diese Revisionsklausel wird von der Humboldt-Universität als „conditio sine qua non" bezeichnet, als nicht verhandelbar. Strittig sind außerdem die Regularien der Abstimmung, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit vorsehen. Vor allem die Ditib befürchtet, dass sie überstimmt werden könnte.
Es wäre besser gewesen, wenn liberale muslimische Stimmen von Anfang an in das Projekt mit einbezogen worden wären. Im jetzigen Stadium indes würde eine nachträgliche Öffnung des Beirats das Vorhaben entscheidend gefährden. „Wer die Akzeptanz künftiger Absolventen des Instituts bei den Moscheegemeinden im Auge hat, wird die gefundene Lösung nicht leichtfertig verwerfen“, meint denn auch Michael Borgolte, Mittelalter-Historiker und Gründungsbeauftragter des Instituts für Islamische Theologie.

Der deutsche Staat kann sich den Islam, den er haben will, weder ausdenken noch zurechtschneidern. Er muss weltanschaulich neutral bleiben und auf Repräsentanz und Akzeptanz bedacht sein. Ein Quantum Hoffnung sei erlaubt: Das Islam-Institut, so es denn zustande kommt, wird eine intellektuelle und exegetische Dynamik entfalten, die viele seiner Gegner bald verstummen lässt.

Zur Startseite