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Hartmut Bitomsky 2013 auf dem Venedig Filmfestival.

© Getty Images/Vittorio Zunino Celotto

Nachruf auf den Filmemacher Hartmut Bitomsky: Ein Archäologe der Bilder

Der Filmemacher Hartmut Bitomsky hat zwischen Theorie und Praxis keinen Unterschied gemacht. Sein Werk sucht im deutschen Kino seinesgleichen. Nun ist er mit 83 Jahren gestorben.

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Im Jahr 1966 wurde an der gerade erst gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (Dffb) bereits Geschichte geschrieben – was damals allerdings noch nicht mal im Ansatz zu erahnen war. Zum ersten Studiengang gehörten unter anderem Harun Farocki, Wolfgang Petersen, Helke Sander, Gerd Conradt und Holger Meins, die ihre Spuren auf ganz unterschiedliche Weise sowohl im bundesdeutschen Film als auch in den gesellschaftspolitischen Debatten der 1960er und 1970er Jahren hinterlassen sollten.

Die politische Brisanz dieser Gemengelage – Meins schloss sich später der RAF an, Sander ist eine prägende Persönlichkeit der westdeutschen Frauenbewegung –, lässt sich auch anhand einer Reihe von Filmen veranschaulichen, die in diesen Jahren im Umfeld der Dffb entstanden.

Politische Ökonomie als Genrekino

1971 drehte Hartmut Bitomsky zusammen mit seinem Freund und Kommilitonen Harun Farocki den Lehrfilm „Eine Sache, die sich versteht“, der in 15 Kapiteln zentrale Begriffe der Marx’schen Lehre der politischen Ökonomie wie Gebrauchswert, Tauschwert, Ware und Arbeitskraft untersucht. Es war ein frühes Beispiel dafür, wie untrennbar in den Arbeiten von Bitomsky die ästhetische Form und die politische Haltung waren.

Bitomsky sagte über „Eine Sache, die sich versteht“, dass der Film am Ende unweigerlich in die narrative Form des Genrekinos übergeht. Die Theorie war bei ihm immer auch einer Erzählung entlang ihres Materials. Für die „Sesamstraße“ drehte er damals kurze Filme über die Produktionsabläufe in Fabriken und den Hamburger Hafen.

Hartmut Bitomsky verband in seinen Texten und Filmen Sinnlichkeit und Analyse.

© Carlos Bustamante

Größe spielte dabei keine Rolle, sein Interesse gilt naturgemäß dem, was hinter den Dingen liegt. Und so widmen sich seine beiden letzten Filme zwei Gegenständen von diametralen Dimensionen: In „B-52“ (2001) erzählt er die Geschichte des amerikanischen Langstreckenbombers, in seinem Essayfilm „Staub“, der 2007 auf dem Festival in Venedig lief, versucht sich Bitomsky an einem dezidiert unfilmischen Sujet. Dabei kommt er schnell vom Hausstaub über Farbpigmente bis zu den Resten vergangener Sonnensysteme.

Vor allem prägte Bitomsky mit seinen „Deutschlandbildern“ ab 1983 aber eine spezielle Form der Medienarchäologie, die aus dem brachliegenden Bilderfundus der frühen Bundesrepublik bis zurück in die NS-Zeit schöpfte. Die Trilogie aus „Deutschlandbilder“, „Reichsautobahn“ (1986) und „Der VW-Komplex“ (1989), bestehend aus historischen Filmaufnahmen, verfasst eine kritische Kulturgeschichte der Bundesrepublik.

Und auch hier demonstrierte er, wie unerlässlich ein ästhetisches Verständnis des Kinos ist. Mit „Deutschlandbilder“, einer Analyse von NS–Propagandafilmen, entlarvte er die Nazi-Ideologie über die Bilderproduktion. In „Reichsautobahn“ (1986) und „Der VW-Komplex“ (1989) wiederum untersuchte er die problematischen Implikationen deutscher Mobilität bis in die Gegenwart.

Allein mit der Rolle des Analytikers täte man dem 1942 in Bremen geborenen Bitomsky allerdings Unrecht: Er war auch ein Cinephiler. Als langjähriger Autor der „Filmkritik“ schrieb er zahlreiche Texte über seine Lieblingsregisseure wie John Ford und John Cassavetes, sein Buch „Die Röte des Rots von Technicolor: Kinorealität und Produktionswirklichkeit“ (1972) zeichnet die Verbindungen von der Materialität des Kinos und dessen Entstehungsbedingungen nach. Sein leider einziger Kinofilm, die Slackerkomödie „Auf Biegen oder Brechen“ (1975), spielte den westdeutschen Klassenkampf mit Western-Motiven nach.

In der WDR-Produktion „Das Kino und der Tod“ versucht sich Bitomsky an einer Typologie des Sterbens anhand von Filmstills aus „The Killers“ (mit Ronald Reagan) und „Der zerrissene Vorhang“ von Alfred Hitchcock. „Es ist das Töten, das das Kino beschäftigt, und weniger der Tod“, heißt es da. „Das Kino beschäftigt sich mit Tätigkeiten, nicht mit Zuständen.“ Das Besondere an den Texten und Filmen von Bitomsky ist, wie sie Sinnlichkeit und Analyse verbinden.

2006 kehrte Bitomsky – nach seiner Zeit als Dekan am California Institute of the Arts – noch einmal als Leiter an die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin leitet. Nach drei Jahren musste er aus gesundheitlichen Gründen wieder zurücktreten.

Seine letzte große Arbeit, die Installation „Shakkei – Geborgte Landschaft“, stellte er 2010 im Neuen Berliner Kunstverein vor. Man kann nur hoffen, dass dieses bedeutende Gesamtwerk nun endlich wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Am vergangenen Mittwoch ist Hartmut Bitomsky, einer der einflussreichsten Denker und Regisseure des deutschen Films, mit 83 Jahren in München gestorben.

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