
© Galerie Barbara Thumm
Neue Köpfe: Gemälde von Roméo Mivekannin
Der Maler aus Westafrika deutet in seinen Bildern die europäische Kunstgeschichte und ihre Marginalisierung Schwarzer Protagonisten um.
Stand:
Dunkel und packend, kraftvoll und elementar wirken die Bewegungsabläufe eines nackten Mannes, die durch ineinander übergehende Einzelbilder dargestellt werden. Seine helle Hautfarbe kontrastiert mit den dunklen Köpfen, die ihm anatomisch ganz unvermittelt auf dem Hals sitzen und vom schwarzen Stoffhintergrund verschluckt zu werden drohen. „Human in Motion” heißt die erste Ausstellung von Roméo Mivekannin, die die Berliner Galeristin Barbara Thumm dem westafrikanischen Künstler in ihrem Projektraum ausrichtet.
Ob laufend, springend oder die Treppe herabsteigend, der nackte Mensch in Bewegung lässt sofort an die fotografischen Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge denken. Als Begründer der Chronofotografie Ende des 19. Jahrhunderts war er nicht nur wegweisend für die Entwicklung der Cinematografie, sondern auch für den Künstler Marcel Duchamp, der mit seinem „Akt, die Treppe hinabsteigend“ von 1912 ein Schlüsselwerk der klassischen Moderne geschaffen hat.
Tischler, Künstler, Autor
An diese Tradition knüpft der 1986 an der Elfenbeinküste geborene Künstler, der als gelernter Kunsttischler auch Kunstgeschichte und Architektur in Toulouse studiert und einen Roman geschrieben hat, ganz bewusst an, ohne seine afrikanische Herkunft zu verleugnen. Im Gegenteil: als Abkömmling des letzten unabhängigen Königs von Dahomey, dem heutigen Benin, der den Widerstand gegen die französische Kolonisierung anführte, verbindet er seine eigenen Wurzeln mit der abendländischen Kunstgeschichte – gewissermaßen „erhobenen Hauptes“ auf geradezu magische Weise.
Denn er verwendet alte Bettlaken, Geschirr- und Tischtücher als Bildgrund, die vorab in Elixierbädern nach Voodoo-Praktiken getränkt worden sind, des im Königreich Benin verwurzelten spirituellen Glaubens. Vor allem aber behaupten sich seine Figuren mit ihren Häuptern buchstäblich auf den Schultern einer europäisch dominierten Kunstgeschichte. Während die Körper nur mit schwarzer Acrylfarbe aus der beigen Grundierung herausmodelliert werden, erscheinen die multiplen Köpfe durch Beimischung von Weiß als gräuliche Fremdkörper im einheitlichen Farbklang der Naturtöne.
Panafrikanische Perspektiven
Diese Identitätsverschiebung nutzt der in Frankreich und Benin lebende Mivekannin, um einen Perspektivwechsel auf den klassischen Kanon der Kunstgeschichte zu ermöglichen, in dem Schwarze – wenn überhaupt – als Bedienstete, Sklaven oder exotische Schönheiten auftreten. Es sind herausragende Bilder alter Meister sowie der klassischen Moderne, die er nach allen Regeln der Kunst adaptiert, um eines der Gesichter durch sein eigenes Antlitz zu ersetzen.
So auch in seinem Bild „Le modèl noir, après Felix Valloton“, das aktuell in der großen Überblicksausstellung über hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei im Baseler Kunstmuseum sofort ins Auge springt. Wie der Titel verrät, paraphrasiert er Vallotons „La Blanche et la Noir“ von 1913, das seinerseits auf Manets berühmte „Olympia“ rekurriert, indem er der Schwarzen Frau am Bettrand seine Gesichtszüge verleiht.
Es ist diese Art des Blickwechsels und der Horizonterweiterung, den auch Barbara Thumm fördert, indem sie seit einigen Jahren mit María Magdalena Campos-Pons, Carrie Mae Weems, El Hadji Sy und Kaloki Nyamai eine ganze Reihe von panafrikanischen Künstlern und Künstlerinnen ins Galerieprogramm aufgenommen hat, die international große Anerkennung finden. Sie alle verbindet eine postkoloniale Perspektive, die das Eigene und das Fremde in einen kritischen Dialog über Diskriminierung, Rassismus und Anderssein zu setzen versucht.
Auch Mivekannis neue Werkgruppe „Human in Motion“ bewegt sich nicht nur zwischen europäischer und afrikanischer Kultur, sondern kann auch als übergreifender Ausdruck einer weltweiten Migrationsbewegung verstanden werden. Ging es zu Zeiten von Muybridge noch um einen Prozess der Mobilisierung und Beschleunigung, in dem selbst die Bilder das Laufen lernten, so scheint sich heute die halbe Menschheit in Aufruhr oder auf der Flucht zu befinden.
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