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Pedro Goncalves Crescenti, Peter Rubel und Joel Roters (von links) sind die Band International Music.

© Lukas Vogt

Neues Album von International Music: Zwischen den Worten lesen

Bei ihnen trifft Fein- auf Unsinn, prallen die verschiedensten Genres ungebremst aufeinander – und lösen sich dabei auf. Jetzt haben die Essener Indierocker International Music ihr drittes Album „Endless Rüttenscheid“ veröffentlicht.

Stand:

Die beglückendste Stelle auf „Endless Rüttenscheid“ ist eine Selbstbeschreibung: In „Liebesformular“ singt die Essener Band International Music: „Wir machen timeless melancholic music“. Dazu drehen sich quellfrisch perlende Gitarrenakkorde langsam gen Himmel.

Dieser völlig ungebrochene Moment der Schönheit besitzt etwas, das nur den wenigsten Musikerinnen und Musikern gelingt. Hört man genau zu, so erkennt man deutlich, wie die Band sich selbst über diese Zeile freut.

Das Lustige daran: Lied und Liedtitel stehen im Kontrast zueinander. Hier diese Musik, die nicht nur melancholisch, sondern eben auch euphorisch, beinahe enthemmt anmutet. Und da dieser Titel, der in seiner Starrheit das genaue Gegenteil ausdrückt. Ein Formular, und dann auch noch eines, das auszufüllen ist, wenn es um die Liebe geht. Das hat schon eine sehr deutsche Leitzordnerhaftigkeit.

Zwei Alben haben International Music bisher veröffentlicht: Sowohl das Debüt „Die besten Jahre“ (2018) als auch der Nachfolger „Ententraum“ (2021) wurden von der Popkritik einhellig gelobt, „Ententraum“ bescherte der Band zudem einen 13. Platz in den Albumcharts.

Das Wirkprinzip in der Musik von Sänger und Gitarrist Peter Rubel, Sänger und Bassist Pedro Goncalves Crescenti sowie Schlagzeuger Joel Roters bestand dabei darin, dass ein solches nicht festzumachen war.

International Music schienen immer einen Schritt weiter als man selbst zu sein. Hatte man sich gerade mit sich selbst darauf geeinigt, dass die doch bestimmt die harschen Gitarrengewitter der Schotten The Jesus and Mary Chain gehört haben, blitzten unvermutet Fairport Convention durch. Und wenn man endlich sicher war, dass man die doch irgendwo im Kraut verorten könnte, quasi in einer Ahnenlinie zu Can oder Neu, veröffentlichten sie einen astreinen Sommerpopsong.

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Crescenti und Rubel machten zudem mit einer zweiten, völlig gleichberechtigten Band Karriere: Mit den Düsseldorf Düsterboys spielen sie Songs in einem weiten Feld zwischen Folk, Tropicalia und The Velvet Underground.

Ein ganz eigener Zugang zur Wortwelt

Ihr drittes Album haben International Music nun „Endless Rüttenscheid“ genannt. Rüttenscheid, das ist ein Stadtteil von Essen; folgt man diesem Album, ist Rüttenscheid aber vor allem eine Utopie.

Die Songs klingen nämlich überhaupt nicht nach der Stadt. Sie klingen aber auch nicht nach dem Land. Sie entziehen sich jeder Verortung, was vor allem an der Art und Weise liegt, mit der die Band textet. Irgendwo zwischen Sinn und Unsinn, zwischen Dada, Thomas Bernhard und Christian Morgenstern, zwischen Claim und loser Assoziation haben International Music einen sehr eigenen Zugang zur Wortwelt gefunden.

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Zwar kann man einige Zeilen durchaus als Reader zum Album lesen: „Nimm den Turm und mach ihn schief“, singt die Gruppe in „Lass es ziehn“. In „Unterschied“ heißt es: „Wir heben doch nur auf, was uns gefällt.“ Doch auch das Aufgehobene möchte erst einmal gesichtet, gruppiert, geordnet, abgeheftet (Sie wissen schon, der Leitzordner) werden.

Hörerinnen und Hörer müssen hier nicht zwischen den Zeilen lesen, sondern zwischen den einzelnen Worten, und selbst dann folgt eher Verwunderung als Erkenntnis. Geht man in die Draufsicht, bleibt festzuhalten: Diese Platte klingt in ihren besten Momenten nicht nach Endless Rüttenscheid, sondern nach einem Endless Summer.

Wobei: Klang ist auf diesem Album fluide. Im Unterschied zu den beiden Vorgängeralben blickt „Endless Rüttenscheid“ noch einmal in deutlich mehr Richtungen. Das einleitende „Kraut“ mag an einigen Stellen lustig fiepen, zitiert aber auch Blues und mutet zumindest anfangs wie ein spaßiger Retro-Rock’n’Roll-Song aus den 1970er Jahren an. Bei „Kieselwege“ muss man sogar kurz an „Chirpy Chirpy Cheep Cheep“ von Middle Of The Road denken!

Im Twang vom schon erwähntem „Liebesformular“, dem vielleicht besten Song der Band, treffen Ahnungen des ersten Summer of Love (Kalifornien, 1967, denken Sie an die Byrds) und des zweiten (Manchester, 1988, denken Sie an die frühen Primal Scream) aufeinander.

„Guter Ort“ kombiniert kühlschrankkalte No-Wave-Synthies mit jenem Gitarrenslackertum, das Anfang der Nullerjahre von Glasgow bis New York die Indiedancefloors dominierte. Und mehr als einmal bezieht sich die Band auch auf eigene Songs von den vorherigen Alben.

Vermutlich ist es nicht richtig, bei International Music von Einflüssen in einem herkömmlichen Sinne zu sprechen. Eher scheint es so, als wären diverse andere Musiken an der Band mit so knapper Entfernung vorbeigesegelt, dass sie diese dabei markierten. Ganz so, wie das Blumenwasser, das Großstadtflaneuren manchmal auf den Ärmel tropft, von irgendwelchen Balkonen, die selbst bei einem scharfgestellten Blick nach oben nicht auszumachen sind.

Gleichzeitig haben International Music mit Olaf Opal genau den richtigen Produzenten gewählt. Der gibt den detailverliebten Raumausstatter, der mit seinem Vintage-Aufnahmeequipment auch die hintersten Winkel der Songs passend auskleidet.

Das Ergebnis ist eine sehr eigene Stimmung, die vom Selbstverständnis der Band vorgegeben wird: Bisweilen fast sakral wirkende Harmoniefreude und musikalische Neugierde tropft aus jedem der Songs. Eigenartig herrlich.

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