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Kae Tempest kam 1985 in London zur Welt und wohnt dort noch heute.

© Jesse Glazzard

Neues Album von Kae Tempest: Manifest einer Selbstbefreiung

Mit „Self Titled“ feiert der Londoner Rap-Star Kae Tempest seine Trans-Identität und findet mit einem neuen Produzenten zu einem poppigeren Sound.

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Nackte Oberkörper in der Öffentlichkeit sind politisch. Bei Frauen werden sie sexualisiert und skandalisiert, bei Männern sind sie abseits von Schwimmbädern, Stränden und Saunen ein Symbol von Privilegiertheit. Das gilt sowohl für cis Menschen, also all jene, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, als auch für non-binäre und trans Personen – allerdings werden letztere noch einmal ganz anders beäugt und bewertet.

So geht etwa bei trans Männern die Oben-Ohne-Freiheit mit einer ganz anderen Verwundbarkeit einher als ein Blankziehen von cis Jungs. Egal ob Operationsnarben oder Brüste sichtbar werden: Das Hemd abzulegen bedeutet ein Coming-out als trans – eine derzeit auf vielfache Weise angegriffene Identität.

Deshalb war der Moment, in dem Rapper*in Kae Tempest kürzlich auf einer der Bühnen des Glastonbury Festivals das schwarze Unterhemd auszog, ein mehrfach aufgeladener. Als trans Person zeigte Tempest damit nicht nur ihre nach einer Mastektomie flache Brust, sondern unterstrich auch die gleichzeitig ins Mikro gerappten Zeilen „With all these fucking problems that we have to contend with/ Tell me why are trans bodies always on the agenda?“

Warum die Körper von trans Menschen – nicht mal ein Prozent der Bevölkerung – bei all den Problemen in der Welt stets weit oben auf der Tagesordnung stehen, ist in der Tat eine berechtigte Frage. Tempest – seit 2020 mit den Pronomen they/them und neuem Vornamen unterwegs – bietet im selben Song als Erklärung an, dass eben „praktische Sündenböcke“ gebraucht werden.

Doch vor allem geht es in „I Stand On The Line“ darum, die eigene Trans-Erfahrung zu beschreiben. Die Selbstverleugnung, die Kreativität als Fluchtpunkt, die Angst, alle geliebten Menschen zu verlieren, wenn man sich offenbart. „It was a belt round my neck/ It was too big to look at square one. It kept growing/ I’d known it forever, but I tried to stop knowing“.

Mit der Verdrängung und Bekämpfung der eigenen Wahrheit hat Kae Tempest – geboren 1985 und seit über einer Dekade erfolgreich mit Rap, Lyrik und Büchern – nun endgültig aufgehört. Weshalb das von feierlichen Streichern begleitete „I Stand On The Line“ wie ein Manifest am Anfang des fünften Studioalbums steht. Die Linie, in die sich Tempest mit dem Stück stellt, ist die Ahn*innen-Reihe der LGBTIQ-Community, deren Wärme und Widerstandskraft der Songtext preist.

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Lange hatte Kae Tempest abgesehen von Liebesbeziehungen keinerlei Kontakt zu dieser Gemeinschaft. Durch Leslie Feinbergs Klassiker „Stone Butch Blues“, den eine queere Partybekanntschaft Tempest gegeben hatte, begann sich ein Portal zur eigenen Wahrheit und zur Community zu öffnen.

Das feiert der/die Rapper*in unter anderem in den Videos zu den ersten beiden Singleauskopplungen: Jedes Mal umgeben von einem Haufen Queers performt Tempest die Lieder – und wirkt dabei trotz der harten Themen gelöst, gehalten, angekommen.

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„Statue In The Square“ war bereits im März ein Ausrufezeichen, das auf das neue Album und dessen thematischen Fokus hinwies. Zu hart angeschlagenen Klavierakkorden und einem unaufgeregten Klackerbeat rappt Tempest über abfällige Blicke und Bemerkungen, um im Refrain angefeuert von Sirenen und verzerrte Gitarren zu dem Schluss zu kommen: „They never wanted people like me round here/ But when I’m dead, they’ll put my statue in the square“.

Lebendig sind trans Menschen nicht gewollt, aber tot (geschlagen) errichtet man ihnen Statuen. Tempest trägt den Text ruhig und kraftvoll vor, zwischendurch in Doubletime – und erstmals mit deutlich tieferer Stimme. Auch ein Bart ist im Schwarzweiß-Clip erkennbar, Resultat des Testosterons, das Tempest an anderer Stelle auf der Platte erwähnt.

Neil Tennant von den Pet Shop Boys als Gast

Dass sie „Self Titled“ heißt, betont ihren Selbstfindungs- und Selbstbefreiungscharakter. Auf dem Weg zu diesem Selbst befand sich Tempest bereits mit dem starken Vorgänger „The Line Is A Curve“ (2022), der zwei Jahre nach dem Coming-out als non-binär und trans erschienen war.

Die langen rot-blonden Locken waren verschwunden, genau wie die virtuosen Storytelling-Texte. Hinter beidem hatte sich Tempest versteckt. „Hiding in plain sight, rhyming to take flight and leave my numbness behind“ heißt es in dem beeindruckenden Sechsminüter „Breathe“.

Zu diesem in einem Take aufgenommenen Track hat Fraser T Smith, der das Album produzierte, Tempest motiviert. Es ist ihre erste Zusammenarbeit und ein gutes Match. Der Sound ist konzentriert und enthält feine Pop-Ausflüge, wie etwa im Liebeslied „Sunshine on Catford“, in dem Pet Shop Boy Neil Tennant den Refrain singt, beim elektropoppigen „Bless The Bold Future“ oder dem Trip-Hop-infizierten „Prayer To A Whisper“, wo Tempest ausnahmsweise singt und es um eine verstorbene Freundin geht.

Denn Tempest kreist auf „Self Titled“ keineswegs nur um sich selbst, immer wieder drehen sich die Songs um Gemeinschaft und geliebte Menschen. Sie sind das Zuhause, das Tempest gefunden hat. Es ist warm dort und sicher.

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