
© Dennis Leupold
Neues Album von Mariah Carey : Nach sieben Jahren ist die Diva zurück
Mit ihrem 16. Studioalbum „Here For It All“ beweist die US-amerikanische Sängerin, dass sie immer schon mehr war, als das von ihr selbst kreierte Weihnachtsklischee. Doch liefert Mariah Carey auch Hits?
Stand:
Nach rund sieben Jahren Schaffenspause könnte man guten Gewissens von einem Comeback schreiben, würde es nicht um Mariah Carey gehen. Einerseits pausiert eine Diva nicht in ihrer Berufung, eine Diva zu sein, andererseits feiert sie jährlich so etwas wie ein Comeback.
Es soll Menschen geben, die sich den Tag nach Halloween im Kalender eintragen, als den Tag, an dem die Vorweihnachtszeit, besser bekannt als die Carey-Season, beginnt.
Es ist die Zeit, in der Jahr für Jahr die Carey aufgetaut wird, um wieder die Charts mit diesem einen Hit zu dominieren: „All I Want For Christmas Is You“. Der 1994 veröffentlichte Song wurde inzwischen weltweit über drei Milliarden Mal gestreamt und soll über 100 Millionen Dollar eingespielt haben. Und in jeder Festtagssaison klingelt wieder die Kasse.
Deshalb ist es strategisch sinnvoll, dass Mariah Carey bereits Ende September mit einem neuen Studioalbum um die Ecke trippelt. So muss sie nicht mit sich selbst konkurrieren. „Here For It All“ hat sie das 16. Werk ihrer fulminanten Karriere genannt. Was wahlweise „für alles bereit“, „bei allem dabei“ oder „für alles zu haben“ bedeuten kann. Vor allem impliziert der Titel, dass sie es noch mal wissen oder eben alles geben will.
Ein erster Eindruck zeugt derweil eher von einem Sich-nicht-festlegen-Wollen. Gospel, R’n’B, Hip-Hop, Pop und dramatische Balladen werden munter gemischt. Die Carey beherrscht alle Genres, das hat sie schon in den Neunzigern bewiesen, und doch wünscht man sich streckenweise, dass sie vielleicht ein bisschen konzentrierter vorgegangen wäre und manches nicht ausprobiert hätte.
Ihre Vielseitigkeit demonstrierten schon die beiden vorab veröffentlichten Singles. „Type Dangerous“ erschien bereits im Juni und ließ darauf hoffen, dass Carey sich mit dem für sie typischen Midtempo-Groove auf ihre R’n’B-Zeiten besinnt. Das erst kürzlich erschienene „Sugar Sweet“ ging auch wegen der Gäste Shenseea und Kehlani dann in eine wesentlich poppigere, mit Reggae-Einflüssen versehene Richtung.
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Die elf Lieder umfassende Platte beginnt dann aber mit dem generischen Popsong „Mi“, in dem die Carey, die neben ihrem Diven-Dasein unbedingt auch für ihre Selbstironie bekannt ist, über, na klar, sich selbst singt.
Selbstheilung ohne Selbstzweifel
„I don’t care about much, if it isn’t about me“, mich kümmert wenig, wenn es nicht um mich geht, säuselt sie im Refrain samtweich, und man überhört fast, wie viel Selbstermächtigung darin steckt, wenn sie unter anderem weiter summt, dass sie nicht abnehmen müsse, um gesehen zu werden.
Dass das Bildmaterial, das für Werbezwecke mit dem Album mitversandt wurde, eine stark von diversen Filtern ver(jüngt)fremdete Carey zeigt, ist in diesem Sinne wohl als Satire zu verstehen. Vielleicht glaubt sie auch wirklich, was sie da singt, und es ist schwer zu sagen, was schöner wäre.

© Ethan James Green
Zusammen mit den Singles wurde „Mi“ an den Beginn des Albums gestellt. Es sind die kommerziellsten, hittauglichsten und gleichzeitig qualitativ schwächsten Stücke. Erst in der Schlussmachballade „In Your Feelings“ zeigt sie, was sie wirklich drauf hat und wofür sie als „Songbird Supreme“ bekannt ist: Melismen und der mühelose Übergang vom Bruststimmen-Knatsch in die flötenhohe Kopfstimme. Dass sie dem angesungenen Menschen wirklich hinterhertrauert, glaubt man ihr hingegen nicht.
Dass nichts unmöglich ist, in der gleichnamigen, daran anschließenden Ballade dann aber schon. Textlich schafft sie hier das Kunststück, sich selbst zu versichern, dass sie nicht aufzugeben braucht, um dabei komplett außen vorzulassen, warum sie überhaupt ans Aufgeben dachte. „I dream a greater dream/ I fight a greater fight/ I overcome it all. Because nothing is impossible“. Ich träume einen größeren Traum, ich kämpfe einen größeren Kampf, ich überstehe alles, weil nichts unmöglich ist: Selbstheilung ohne Selbstzweifel also. Dass sie letztere nicht hätte, möchte man ihr dabei gar nicht unterstellen, sie überlässt das Zurschaustellen von Verletzlichkeit aber lieber der Musik.
Ungefähr zur Hälfte nimmt das Album an Fahrt auf und wird gleichzeitig technischer, handwerklich versierter. Weitere halbherzige Versuche, Chart-Hits zu produzieren, scheint sie ab hier dankenswerterweise aufgegeben zu haben.
Klick-Gift und klassische Handwerkskunst
Wirklich stark sind zum einen der ruhige Popsong „My Love“, in dem sie eigentlich nichts weiter tut, als die Bedingungslosigkeit ihrer Liebe zu besingen und zum Einstimmen aufzufordern – man sieht das sich in den Armen liegende Publikum mit hochgereckten Handy-Lichtern schon vor sich. Und zum anderen der groovige Gospel „Jesus I Do“ (feat. The Clark Sisters), in dem es um Ähnliches geht, jetzt aber an einen gewissen Jesus adressiert.
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Es ist angenehm, wie klassisch das Album aufgebaut ist. Mariah Carey verweigert sich Social-Media- und Streaming-Plattform-Trends. Ihre Lieder starten, alte Schule, mit reduzierten, instrumentalen Intros und bauen sich langsam auf. Klick-Gift, würden die einen sagen, gute Handwerkskunst, die anderen. Auf catchy, tanzbare Hooks verzichtet sie mehr oder weniger konsequent. Der Fokus liegt bei Carey auf den inhaltlichen Botschaften der Stücke. So banal die dann auch manchmal sind.
Tatsächlich setzt sie den Titelsong „Here For It All“ ganz ans Ende des Albums und gibt dann alles. Fast sieben Minuten lang schmettert, pfeift und trillert sie hier über mindestens vier Oktaven in Gospel-Manier inklusive False Ending und Beat Switch. Und schon wieder geht es um Liebe. Hier aber, ohne Frage, um die Liebe für das Leben. Man darf dankbar sein, dass eine Mariah Carey einen daran erinnert, wie schön das sein kann. Hallelujah!
Es ist unwahrscheinlich, dass „Here For It All“ einen Nummer-eins-Hit hervorbringen wird, und auch an Careys letzte Platte „Caution“ (2018) kann das Album nicht anknüpfen. Rundum solide es trotzdem. Es schadet nicht, es ohne Unterbrechung von vorne bis hinten anzuhören, und es langweilt auch nicht, wenn es dann noch mal von vorne losgeht.
Mindestens als Warm-up für das, was Anfang November kommt, taugt das Album allemal. Es empfiehlt sich aber, die Platte als ein für sich stehendes Werk zu nehmen. Denn eins ist Mariah Carey damit wieder gelungen: Sie beweist, dass sie wesentlich mehr ist und immer schon war, als das Weihnachtsklischee, für das sie selbst verantwortlich ist.
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