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Die US-Musikerin Sharon Van Etten (vorn) und ihre Band The Attachment Theory.

© Devin Oktar Yalkin

Neues Album von Sharon Van Etten: Wenn es Nacht wird überm Yucca Valley

Indie-Rock-Seelenforscherin Sharon Van Etten spielt jetzt in einer Band. Auf ihrem ersten gemeinsamen Album beamen sich The Attachment Theory lustvoll zurück in die Achtziger.

Stand:

Die Worte sind Sharon Van Etten zuvor nie über die Lippen gekommen: „Let’s jam!“ Lasst uns jammen!

Klingt nach einer Selbstverständlichkeit für eine Musikerin, die seit mittlerweile 16 Jahren Platten herausbringt. Doch Van Etten musste erst 40 werden, um das zu erleben, womit andere als Teenie in die Karriere starten: in einer Band zu spielen.

Ihre heißt The Attachment Theory – was so viel bedeutet wie „Theorie der Bindung“ – und besteht aus drei Musikerinnen und Musikern, die Van Etten in der Vergangenheit auf Tour begleitet haben.

Als die Tournee zum bislang jüngsten Album „We’ve Been Going About This All Wrong“ (2022) bevorsteht, fahren alle zusammen zum Proben hinaus in die Wüste. Van Etten lebt in Los Angeles, da kann man das schon mal machen. In der Ödnis des Yucca Valley, fallen die folgenschweren Worte, die Einladung zum Jam.

Sie markieren den Moment, in dem Van Etten, die stets die Einsamkeit suchte, um ihre Songs zu schreiben, erstmals andere Menschen in diesen kreativen Prozess hineinlässt. Innerhalb einer Stunde in der Wüste entstehen die ersten Versionen zweier Stücke, die es nun auch auf das gemeinsame Album geschafft haben: „Sharon Van Etten & The Attachment Theory“ (Jagjaguwar/Cargo), das am Freitag erscheint. Eine fabelhafte Platte mit einem atmenden, druckvollen Sound, den es bei Van Etten so noch nicht zu hören gab.

Nebenbei studiert sie Psychologie

Die Musikerin selbst betont in Interviews, wie wichtig dieser Moment für sie gewesen sei. Über Jahrzehnte hinweg habe sie sich in das Musikmachen verkrochen wie in einen Safe Space. Eine Angewohnheit, die aus einer toxischen Beziehung herrührt, in der sie sich mit Anfang 20 gefangen sah. Ihr damaliger Freund hat ihre Ambitionen kleingemacht, sie verspottet für ihre musikalischen Gehversuche. So musste sie heimlich schreiben und bei Open-Mic-Abenden auftreten.

Von diesen Anfängen hat sie einen weiten Weg zurückgelegt: vom Schau-in-den-hintersten-Winkel-meiner-Seele-Gestus ihrer frühen Singer-Songwriter-Stücke über den warmen, voller instrumentierten Indie-Sound von Alben wie „Tramp“ (2012) und „Are We There“ (2014) bis hin zum elektronisch durchsetzten Befreiungsschlag von „Remind Me Tomorrow“ (2019).

Van Etten will sich nicht wiederholen. Deswegen produziert sie zwischendurch einen Filmsoundtrack („Strange Weather“), spielt in einer Serie mit („The OA“) und treibt schubweise ihr Psychologiestudium voran. Gleichzeitig scheint sie mit jeder Häutung mehr Selbstbewusstsein angesammelt zu haben, um sich aus der Deckung heraus und in die künstlerische Bindung hineinzuwagen.

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The Attachment Theory erzeugen ein regelrechtes Kraftfeld. Das geht schon beim Opener „Live Forever“ los. Teeny Lieberson am Synthesizer lässt es ordentlich wabern, dann setzt Van Etten ein: „Who wants to live forever?“, irrlichtert ihre Stimme durch den Äther, bevor der muskulöse Bass von Devra Hoff und ein elektronisch zischender Drumbeat sich darunterschieben.

Das klingt derart nach Achtzigern, als hätte Vangelis aus dem Jenseits einen Bonustrack für seinen „Blade Runner“-Soundtrack herübergebeamt. Erst nach zwei Minuten setzt Schlagzeuger Jorge Balbi vollends ein und lässt das Stück in Richtung Klimax anschwellen. Dort oben, auf luftigen Kate-Bush-Höhen, umwinden sich Stimme und Synthie aufs Erhabenste, sodass man sie für Momente nicht zu unterscheiden weiß.

Der Bass ist das Herz der Songs

Mit dem elektronisch geprägten Auftakt schließt Van Etten an den Klangwandel an, den sie mit „Remind Me Tomorrow“ vollzogen hat. Doch während dort noch jede Echokammer millimetergenau eingepasst wirkte, weist sie den Perfektionismus diesmal in die Schranken. Da dürfen die Elemente schon mal schön ineinanderfusseln – wie das eben so klingt, wenn eine Band live in einem Raum zusammenspielt.

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Zum pumpenden Herz der Songs avanciert Devra Hoffs Bassgitarre. Etwa bei der mittig platzierten Energiespritze „I Can’t Imagine (Why You Feel This Way)“, die so klingt, als hätte sich eine Goth-Jüngerin in einen Funk-Club verirrt. Wie Hoff nach zwei Minuten ein paar Gänge hochschaltet, reißt einen förmlich aus dem Ohrensessel.

Das lauernde „Trouble“ wiederum legt sich Schicht um Schicht um Hoffs so voluminöses wie geschmeidiges Spiel. Liebersons Synthie öffnet geisterhafte Flächen, als würde ein ewig dämmriges Yucca Valley am Autofenster vorbeikriechen. Dazu singt Van Etten von Entfremdung: „All the stories that I can’t tell / Watered down versions of my own hell.“ Puh! Sie ist sich selbst gegenüber noch immer erbarmungslos.

Zwischendurch scheinen unverstellt ihre Sorgen als Mutter durch die Textzeilen. In der The-Cure-Reminiszenz „Southern Life (What It Must Be Like)“ singt sie: „My hands are shaking as a mother / Trying to raise her son right.“ Sieben Jahre alt ist ihr Sohn mittlerweile. Ende Februar, kurz nach ihrem 44. Geburtstag, wird sie ihn zu Hause in L.A. zurücklassen und wieder auf Tour gehen.

Eine höchst zwiespältige Vorstellung, wie sie sagt. Doch wenn man sich „Sharon Van Etten & The Attachment Theory“ so anhört, muss man feststellen: Sie wird das schon packen – with a little help from her friends.

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