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Berliner Musiker Tristan-Brusch. Foto: Tim Cavadin (Promo)

© Tim Cavadini

Neues Album von Tristan Brusch: „Am Anfang“ erzählt von Liebe, Schmerz und Tod

Bevor die Träume zu Blei werden: Der Berliner Musiker Tristan Brusch schließt seine „Am“-Trilogie ab und verfeinert seinen Chanson-Pop. Ein feines Herbstalbum.

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Unwahrscheinlicher Indie-Hit – in diese Kategorie könnte man Tristan Bruschs Song „Baggersee“ vielleicht einsortieren. Gesungen aus der Sicht eines Krebspatienten, der aus dem Fenster schaut, feierte es zu Rappel-Schlagzeug, schnell geschlagener Akustikgitarre und hingetupfter Synthie-Harmonie die Erinnerung an einen romantischen Moment.

Die wehmütige, fast schlagereske Refrainmelodie betörte das Publikum: „Du und ich nackt am Baggersee“ war eine Zeile, die im Sommer 2023 viele Menschen im Berlin und Brandenburg im Ohr hatten. Woran der Sender Radio eins großen Anteil hatte, denn er spielte das Lied immer wieder. Prompt wählten es die Hörer*innen zum besten des Jahres und die Jury des Soundcheck Awards kürte das dazugehörige Album „Am Wahn“ ebenfalls zur Nummer eins des Jahres. In die deutschen Top Ten kam es deshalb noch lange nicht, aber immerhin ist „Baggersee“ bei Spotify bislang fast 900.000 Mal angeklickt worden.

Nun gibt es eine Art versteckte Fortsetzung, bei Taylor Swift würde man es vielleicht Easter Egg nennen: Der Song „Wasser und Licht“ von Tristan Bruschs neuem Album „Am Anfang“ spielt immer wieder auf den kleinen Hit an. Wieder steht die Zeit am Ufer und der Erzähler möchte nie mehr dorthin zurück. Auch wenn er jetzt nur ein Mal satt, vier Mal „nie“ singt und das Augenblicksglück etwas verhaltener beschwört, fließt doch eindeutig Baggerseewasser durch das Stück.

Wer die wunderbare „Am Wahn“-Platte mochte, wird mit der Nachfolgerin schnell warm werden. Tristan Brusch schließt an seine etablierte Mischung aus Chanson und Songwriter-Pop an und hat sie vor allem durch die Streicherarrangements von Friedrich Paravicini noch einmal verfeinert. Zusammen mit ihm, Produzenten Olaf Opal sowie Felix Weicht (Bass), Timon Schempp (Schlagzeug) hat der Berliner Musiker die zwölf neuen Lieder in nur vier Tagen aufgenommen, Overdubs und Gesänge waren nach zehn weiteren Tagen vollendet.

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Diese Schnelligkeit tut der Sorgfalt keinen Abbruch. Der 1988 in Gelsenkirchen geborene, in Tübingen aufgewachsene und seit langem im Berlin lebende Musiker weiß auf seinem vierten Album – zwischendurch hat er noch die Musik zur „Woyzeck“-Inszenierung von Ersan Mondtag am Berliner Ensemble geschrieben –, was er will und wie er es auf effiziente Weise erreicht. Häufig beginnt er die Songs allein, mit Klavierbegleitung oder Gitarren-Arpeggios, stellt schon mal die Refrainzeilen vor, holt dann nach weitere Instrumente dazu und begibt sich auf eine sanfte Reiseflughöhe.

Beim Eröffnungsstück „Grundsolider Schläger“ zieht er das Wort „Obendrein“ in den Himmel, den er gegen Ende fast so leidenschaftlich aufreißt wie Chris Isaak in „Wicked Game“. Dass Brusch ein Adverb als Attraktion einsetzt, zeigt seinen oft ungewöhnlichen Umgang mit Sprache. Hier zeichnet er das mit wenigen Strichen auskommende Porträt eines Freunds, den er zu Beginn selbst zu Wort kommen lässt: „Mach Dir um mich bloß keine Sorgen, Tristan/ Ich bin an vielen Wochentagen nüchtern/ Bin auch Steuerzahler und ein grundsolider Schläger/ Obendrein“.

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Das Album nähere sich der Frage, warum er so geworden sei, wie er ist, hat Brusch kürzlich im Tagesspiegel-Gespräch gesagt. „Warum bin ich so bekloppt? Wo hat das seinen Ursprung?“ Erst habe er gedacht, dass es ein Coming-of-Age-Album werde, aber dann sei mir bewusst geworden, dass es vor allem um Verlust gehe, „Verlust der Jugend, Verlust von Liebe, Verlust der Unschuld.“

Die Stücke „Vierzehn“ und „Heiliges Land“ haben den deutlichsten Jugend-Bezug, wobei „Vierzehn“ mit seinem krautrockigen Puls und den warmen Synthieflächen der unmittelbar eingängigste Song der Platte ist. Wie Brusch hier im Refrain von hundert Jahren Leichtigkeit zu tausend eingerissenen Zäunen kommt, die sich auf Träume reimen, die später zu Blei werden, ist ebenso atemberaubend wie die Schlaglichter, die „Heiliges Land“ auf eine Teenie-Zeit der Ahnungslosigkeit wirft, für die galt: „Doch im Unterschied zu heute / Hat uns alles was bedeutet“.

Dass Brusch mit den Zeilen „Ja, Musik hat mir so viel bedeutet / Im Unterschied“ schließt, bevor er sich pfeifend aus dem Song verabschiedet, ist ein kleiner Schocker, klingt „Am Anfang“ nun wahrlich nicht wie das Werk eines Menschen, dem Musik nichts bedeutet. Im Gegenteil: Sehr häufig meint man, jemandem zuzuhören, der einen unverstellten, tiefen Ausdruck sucht. Wobei er das Risiko, gefährlich nah an ein Udo-Jürgens-artiges Jubilieren heranzugeraten („Am Ende“) ebenso wenig scheut wie latent kitschverdächtige Schlichtheiten in „Geboren um zu sterben.“

Als Geliebten kann sich Tristan Brusch in seinen Songs nicht empfehlen. Blumen bringt er trotzdem mal mit.

© Tim Cavadini

Dafür gelingt ihm dann mit „Die lange Nacht“ aber eine Klavierballade, die in ihrer ergreifenden Schönheit Erinnerungen an „Halt dich an deiner Liebe fest“ von Ton Steine Scherben wachruft. „Hat die lange Nacht erst angefangen/ Zünde die Liebe wieder an/ Sie leuchtet den Weg“ – das unpeinlich zu singen, ist schon eine Leistung und im Schlussdrittel obendrein (!) per Backgroundchor zum Einstimmen aufzufordern, verblüfft erst recht.

Ansonsten ist die Liebe auf „Am Anfang“ wie beim Vorgängeralbum oft ein schwieriges Thema. Exemplarisch spiegelt das „Danke, dass du nicht aufhörst mich zu lieben“, in dem das lyrische Ich zu einer lieblich perlenden Melodie ein schonungsloses Bild von sich als Wortverdreher und Rasiermesserklingensprecher zeichnet. „Ich kann nicht aufhören, dir wehzutun“ lautet das Fazit, das Brusch zusammen mit einem festhängenden Klaviermotiv in die unaufgelöste Wiederholungsschleife schickt. Niederschmetternd. Und ein weiterer Bogen zu „Am Wahn“, dessen Auftaktstück „Wahnsinn mich zu lieben“ ebenfalls davon handelte, wie es jemand seinem Gegenüber unfassbar schwer macht, ihn zu lieben.

Tristan Brusch beim Hadern darüber zuzuhören, zählt jedenfalls zu den feinsten Herbstmusiken, die es derzeit auf Deutsch gibt. Ein würdiger Abschluss für seine „Am“-Trilogie ist es sowieso. Bleibt zu hoffen, dass sich bald ähnlich inspirierende Präpositionen finden – oder gar Adverbien.

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