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Die Berliner Band Rammstein mit Till Lindemann in der Mitte.

© Jes Larsen

Neues Rammstein-Album: Du willst es doch auch

Sex, Gewalt, Deutschland: Rammstein veröffentlichen ihr erstes Studioalbum seit zehn Jahren. Es verbindet Provokation und Selbstparodie mit Altbekanntem.

Ein schwarzer und ein weißer Hund rasen bellend über den Hof – geradewegs auf die eintretende Besucherin zu. Erschrocken weicht sie einige Schritte zurück, bis die Tiere endlich gerufen werden und sich trollen. Ein unschöner Empfang, aber als Popmusikkritikerin geht man auch manchmal dahin, wo es wehtut. In diesem Fall zu einer so genannten Listening-Session, bei der die Presse ein noch unveröffentlichtes Album unter Aufsicht anhören kann.

Üblicherweise finden diese Termine in einem Plattenfirmenbüro statt. Das ist diesmal anders: Die Berliner Band Rammstein, die nach zehn Jahren ein neues Studioalbum herausbringt, veranstaltet in vier großen deutschen Städten ganztägige Listening-Sessions in kleinen Clubs.

Also macht man sich an einem sonnigen Donnerstag auf den Weg in ein Büro- und Industriegebiet in Prenzlauer Berg, um im Anomalie Art Club einen Teil der ausgefeilten Veröffentlichungsdramaturgie von Rammsteins siebtem Album zu erleben. Ob die Hunde auf dem Hof schon zur Inszenierung gehören, vielleicht sogar gecastet wurden? Es ist der Band zuzutrauen, der schon für ihre Videos ein Millionenbudget zur Verfügung steht.

Anspielungen an die NS- und DDR-Zeit

Nachdem man sein Mobiltelefon abgegeben und unterschrieben hat, nicht vor einem bestimmten Termin über das Album zu schreiben (Strafe: 50.000 Euro), darf man sich an einen der Bistrotische auf der Tanzfläche setzen und – so oft man mag – dem unbetitelten Album lauschen. Gerade läuft „Radio“, der zweite der elf neuen Songs, der mit unisono geschrubbten E-Gitarren und Kraftwerk-inspirierten Keyboards das subversive Potenzial des Mediums preist.

„Jenes Liedgut war verboten/ So gefährlich fremde Noten/ Doch jede Nacht ein wenig froh/ Mein Ohr ganz nah am Weltempfänger“, singt Till Lindemann, was man sowohl als Anspielung auf die NS- als auch auf die DDR-Zeit deuten kann – in beiden Regimen war bestimmte Musik verboten oder ihre Verbreitung stark eingeschränkt.

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Das schwarz-weiße Video zu dem Song scheint zunächst in den zwanziger oder dreißiger Jahren angesiedelt zu sein: Rammstein spielen in schicken Anzügen in einem Saal, der ein Radiostudio darstellen soll. Radio Berlin steht auf dem Dach, wobei es sich tatsächlich um die Messe Berlin handelt – ein Bau aus den Dreißigern, der sofort an die Nazizeit denken lässt.

Draußen hängen allerdings Banner in EU-Optik und überhaupt geht es munter durch die Zeiten und die Szenen: Eine Frau masturbiert auf einem kleinen Holzradio, eine Nonne betet vor dem Empfänger, eine barbusige Fahnenträgerin geht fürs Radio auf die Barrikaden.

Zudem marschiert ein maskierter Soldatentrupp im Sender ein, entscheidet sich dann aber zu tanzen, statt zu prügeln. Ein ziemlich wilder satirischer Mix, allerdings längst nicht so kontrovers wie das im März veröffentlichte Video zur Single „Deutschland“, in dem ein viel wilderer vor allem blutigerer Trip durch die deutsche Geschichte in Szene gesetzt wird, mit den Bandmitgliedern in diverse Rollen – unter anderem als KZ-Insassen und SS-Schergen.

Zehntausende werden "Deutschland!" brüllen

Mit „Deutschland“ führen Rammstein geradezu exemplarisch ihre Provokationslust sowie ihre Meisterschaft im Spiel mit Andeutungen und Relativierungen vor. Das Stück beginnt mit einem an Anne Clarks „Our Darkness“ erinnernden Synthie-Intro und einer relativ ruhigen ersten Strophe, ein Snaredrum-Wirbel führt direkt zum Refrain, dessen erstes und letztes Wort das im Chor gebrüllte Wort Deutschland ist.

Diese quasi-kathartische Mini-Klimax ist die Essenz des Stücks, der Teil, der im Sommer bei Rammsteins europäischer Stadiontournee aus zehntausenden von Kehlen erschallen wird. Ein beängstigendes Szenario, bei dem man sich fragt, ob einige Fans bei der Zeile „Deutschland, Deutschland über allen“ vielleicht „über alles“ singen werden.

Ja, es heißt in dem Lied auch: „Deutschland – deine Liebe/ Ist Fluch und Segen/Deutschland – meine Liebe/ Kann ich dir nicht geben“. Doch es deshalb als deutschlandkritisch zu sehen oder gar als antinationalistischen Abgesang zu feiern, wäre reichlich übertrieben – und auch naiv. Denn diese Stelle dient vor allem als formeller Abstandhalter für die Vereinnahmung von ganz rechts außen. Dieselbe Funktion hat die afrodeutsche Schauspielerin Ruby Commey, die im Video als Germania zu sehen ist.

Neonazis wird das nicht gefallen – aber alle anderen können deshalb befreit „Deutschland“ grölen. Wird man doch noch mal singen dürfen. Vielleicht wär es sogar eine Alternative zur Nationalhymne. Gerade erst hat sich Bodo Ramelow mehr Identifikationspotenzial für Ost-Deutsche in der Hymne gewünscht – die Rammstein-Mitglieder sind in der DDR aufgewachsen.

Die Fans können sich ein bisschen gefährlich fühlen

Das Spiel mit dem Bösen, das Teutonische, Hypermaskuline und bewusst Stumpfe ist seit den Neunzigern das Markenzeichen von Rammstein. Es erklärt auch ihren immensen Erfolg im Ausland. Denn auch ohne Deutschkenntnisse kann man sich mit dem Sextett wunderbar gruseln und ein bisschen gefährlich fühlen, wenn das R gerollt und die Gitarren gedroschen werden.

Zentral sind bei Rammstein seit jeher die Themen Gewalt und Sex – am besten beide in einem Song. Auf dem Vorgängeralbum wurde „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“ geführt, in dem Song „Ich tu dir weh“ gab es Fantasien von „Stacheldraht im Harnkanal“ und Nagetieren, die in eine Vagina geschoben werden. Die Bundesprüfstelle fand das nicht jugendfrei und indizierte das Album, wogegen die Band erfolgreich klagte.

Fremdsprachenkenntnisse helfen beim Anbandeln

Auf „Rammstein“ geht es harmloser zu. So wünscht sich Till Lindemann in dem Stück „Ausländer“ Fremdsprachenkenntnisse, damit er auf Reisen besser mit den Frauen kommunizieren kann, die er als Sexpartnerinnen auserkoren hat. In den Refrain baut der 56-Jährige zweisprachige Floskeln wie „Ciao ragazza/ Take a chance on me“ ein. Das ist albern und wirkt auch durch den EDM-haften Sound, als mache sich die Band über sich selbst lustig, als sei sie ihrer ewigen Rolle als Haudrauf-Rocker überdrüssig.

Das direkt folgende Stück „Sex“ ist härter und klingt, als sei es von Depeche Modes „Personal Jesus“ inspiriert. „Komm her, du willst es doch auch: Sex“, singt Lindemann und gerät im Refrain mit den für seine Verhältnisse hoch gesungenen Zeilen „Wir leben nur einmal/ Wir lieben das Leben/ Wir lieben die Liebe“ recht nah an die Gefilde von Schlagerpop-Königin Helene Fischer, die allerdings nicht „Wir leben Sex“ hinterherschieben würde.

Ein Song gegen Missbrauch in der Kirche

Im Anomalie Club ist es kühl, und frösteln machen auch die Rammstein-Songs, in denen Kinder eine Rolle spielen. „Zeig dich“, eine wütende Anklage gegen Missbrauch in der katholischen Kirche, lässt sich noch leicht schlucken. „Puppe“ hingegen ist ein wüstes Schauermärchen aus der Perspektive eines Jungen, dessen Schwester sich zu Hause prostituiert. Es wechselt zwischen leisen Strophen und geschrienen Refrains mit geprügelten Drums und kreischenden E-Gitarren.

Ein Song, der die Mär von Lindemann als gequälter Seele und finsterem Romantiker befeuern wird. Doch wie das Album-Finale mit „Hallomann“ zeigt, ist er vor allem ein fieser Romantiker. Der Erzähler spricht darin ein kleines Mädchen an, das er zu Pommes einlädt. Es soll für ihn singen und tanzen. Dass es offenbar nicht dabei bleibt, lässt das heulende Gitarrensolo vermuten, das auf seine zweite Frage nach ihrem Befinden folgt. Ein verhallender Frauengesang beschließt das Album.
Draußen scheint die Sonne. Die Hunde sind nicht zu sehen.
„Rammstein“ erscheint am 17. Mai bei Universal Music. Konzert: 22. Juni, Olympiastadion Berlin

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