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Drei sind einer zuviel. Highschool-Freundin Marissa (Gayle Rankin), Kyle (Kyle Marvin) und sein bester Kumpel Mike (Michael Angelo Covino).

© Prokino

Neurotisch, sarkastisch, liebevoll: „The Climb“ erinnert an die frühen Woody-Allen-Filme

Michael Angelo Covinos Filmkomödie über eine ungleiche Männerfreundschaft hebt das Genre des Buddie-Movies auf eine neue Ebene.

„Mit einem Freund an der Seite ist kein Weg zu lang“, lautet ein japanisches Sprichwort. Richtig kurz erscheint Kyle (Kyle Marvin) der Weg momentan dennoch nicht: Er begleitet seinen Freund Mike (Michael Angelo Covino) auf eine Radtour durch die Berge Frankreichs, und kommt während des Aufstiegs tüchtig ins Schwitzen. Als der drahtige Mike dem keuchenden Kyle dann auch noch ein gar nicht mal so lange zurückliegendes Verhältnis mit Kyles Verlobter Ava gesteht, drückt das gewaltig die Stimmung.

Dass Mike kurz darauf von einem Autofahrer verprügelt wird, dem er die Vorfahrt genommen hat, ist insofern ausgleichende Gerechtigkeit: In der langjährigen Freundschaft zwischen Mike und Kyle scheinen die Rollen festgelegt. Mike ist ein emotional unausgeglichener Egomane, Kyle ein feiner Kerl. Die kapriziöse Launenhaftigkeit des einen braucht die stoische Gutmütigkeit des anderen.

Freunde schreiben ein Drehbuch über Freunde

Mike und Kyle sind auch im wahren Leben Freunde. Gemeinsam schrieben sie das Drehbuch, das Regisseur Michael Angelo Covino mit „The Climb“ verfilmt, und das ursprünglich nur auf einem Kurzfilm um besagte Radtour-Episode aufbaut. In acht Kapiteln, jedes fast ausschließlich in einer Plansequenz gefilmt, seziert Covino die Stadien einer so ungesunden wie rührenden Freundschaft.

Nachdem Mike Kyle die Freundin ausgespannt und Ava geheiratet hat, wird er früh Witwer. Auf Avas Beerdigung kommt es zum Wiedersehen zwischen Kyle und Mike – und die Geschichte wiederholt sich. Es ist der nachsichtige Kyle, der Mikes affektiv-aggressives Verhalten abbiegt, und die Beerdigung vor der Katastrophe retten kann – fast jedenfalls.

Weitere Passagen beleuchten Kyles Pläne, seine herrische Highschool-Freundin Marissa (Gayle Rankin) zu heiraten, die Ablehnung gegenüber Marissa, aus der Kyles Familie, allen voran die übergriffige Mutter Suzi (Talia Balsam), keinen Hehl macht, den Versuch Mikes, seinem ältesten Freund auch dieses Glück streitig zu machen; einen gemeinsamen Urlaub, eine Hochzeit – und eine Rollenwandlung.

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Mit den mal mehr, mal minder trainierten Körperformen und unterschiedlichen Zufriedenheitsgraden ändert sich das Verhältnis der Männer. Zwischendurch scheint es, als sei der energetische Mike der Loser und der passive Kyle erreiche, was er immer angestrebt hat: Haus, Job, Familie. Doch kann man sich, und kann man eingebrannte Beziehungsstrukturen wirklich ändern?

Dass Tragik und Komik zwei Seiten der gleichen Medaille sind, ist ein alter Hut. Die gleichzeitig liebevollen und sarkastischen Tableaus, die Covino und Marvin ihren Helden ausbreiten, hieven das Buddy-Movie jedoch auf eine neue Ebene: Genretypisch ist nur, dass die Story durch das Thema Freundschaft (und nicht durch eine cherchez la femme) vorangetrieben wird. Alles andere unterstreicht Covinos außergewöhnliche, mit vielen musikalischen Referenzen an französische Filme und an die Werke des New Hollywood erinnernde Herangehensweise.

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Die langen Kamerafahrten machen auch vor Zeitsprüngen keinen Halt, in einer Sequenz schwenkt die Kamera über erst laub- und dann schneebedeckte Autos, und überbrückt damit innerhalb weniger Sekunden eine ganze Jahreszeit zwischen Thanksgiving und Weihnachten. Die Plansequenzen von Kameramann Zach Kuperstein, in denen die Protagonistinnen und Protagonisten Sex haben oder sich prügeln, singen, radfahren oder sich übergeben, passen in ihrer zeitlichen Autonomie gut zur menschlichen Wahrnehmung.

Der fehlende Schnitt, der normalerweise die Zeitebene strukturiert, macht die Situationen unmittelbarer. Man bleibt tatsächlich bei den Figuren – und sieht nicht nur das, was die Montage anbietet. Dass die Erzählung somit auf Großaufnahmen verzichtet, und die beiden Männer immer ein wenig distanziert wirken, reichert die Handlung um eine gute Portion Realismus an: Richtig nah kommt man schließlich nur wenigen Menschen.

[Ab Donnerstag in den Kinos]

Covino hat nicht nur die Nouvelle Vague beeindruckt, sondern auch Filme wie „Die Reifeprüfung“, dessen komplizierte Boy-meets-girl-Liebesgeschichte aber auf charmante Art modernisiert wird. So souverän inszeniert der Regisseur seine individuelle Buddy-Struktur, dass er sogar einmal die vierte Wand durchbricht, und einen als Friedhofswärter verkleideten Gospelchor seine Worte an das Publikum schmettern lässt.

Die Dialoge versprühen dagegen klassischen Comedy-Appeal, die Schlagfertigkeit erinnert in ihrer Neurotik an frühe Woody-Allen-Filme. Sie spiegeln auch Mikes anstrengende Mischung aus Selbstmitleid und Größenwahn wieder. „Mir geht’s super“, sagt der aufgedunsene Mike beim Weihnachtsessen einmal zu Kyles Mutter . „Was ist denn super?“ will sie wissen. „,Peaky Blinders‘ ist super“, antwortet Mike. Später am Abend fällt er in den Tannenbaum und wird dort einfach liegengelassen: Wer (besoffen) schläft, sündigt nicht.

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