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Kultur: Nur Striche eben

Ein Bündel Striche, mit dem Tuschpinsel in großer Geschwindigkeit aufs Papier geworfen - mehr ist da nicht.Die Formen erinnern entfernt an Bambusblätter oder fernöstliche Kalligraphien, und doch sind sie weder nach der Natur gemalt noch stehen sie für Schriftzeichen.

Ein Bündel Striche, mit dem Tuschpinsel in großer Geschwindigkeit aufs Papier geworfen - mehr ist da nicht.Die Formen erinnern entfernt an Bambusblätter oder fernöstliche Kalligraphien, und doch sind sie weder nach der Natur gemalt noch stehen sie für Schriftzeichen.Es sind Manifeste des Zusammentreffens von Farbe, Bildträger und der Bewegung der Hand - ganz einfach Striche eben.

Als Hans Hartung 1956 diese Blätter im DIN-A-4-Format füllte, war der damals 52jährige gerade im Begriff, einer der bekanntesten Künstler des europäischen Informel zu werden.Ein Jahr zuvor hatte er an der ersten Documenta in Kassel teilgenommen, er war auf der Biennale in Venedig vertreten, wurde mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft.Obwohl er 1946 die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, sorgte Hartung dafür, daß das zutiefst diskreditierte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bald an das internationale Kunstgeschehen anknüpfen konnte.Den Maler selbst dürfte dies am meisten überrascht haben: Bis dahin hatte der gebürtige Leipziger die meiste Zeit seines Lebens in bitterer Armut verbracht.

Mit rund 150 Zeichnungen aus sechs Jahrzehnten widmet nun das Kunstforum der Grundkreditbank in der Budapester Straße dem Künstler die bisher umfangreichste Werkschau von Arbeiten auf Papier.Darüber hinaus sind in einem eigenen Kabinett sechs großformatige Gemälde zu sehen, die der 85jährige Künstler 1989 - in seinem letzten Lebensjahr - malte.Es ist eine kleine Wiederentdeckung, denn Hartungs letzte Berliner Ausstellung, eine Retrospektive zum siebzigsten Geburtstag des Künstlers in der Neuen Nationalgalerie, liegt inzwischen fast 25 Jahre zurück.

Betrachtet man Hartungs Karriere in der Rückschau, sind seinem Lebensweg beinah klischeehafte Züge zu attestieren.Seine Geschichte ist die eines Künstlers, der von Beginn an gegen alle Widerstände an seiner Idee von Kunst festgehalten hat.Die war revolutionär genug: Schon als Schüler kleckste er seine Schreibhefte voll und beobachtete gebannt die Resultate - zum Leidwesen seiner Lehrer.

Das Ungegenständliche ließ ihn fortan nicht mehr los.So abgedroschen das heute klingt: Hartung war jemand, von dem man mit Fug und Recht behaupten kann, daß er Sehgewohnheiten veränderte.Rückblickend schrieb der Maler einmal über seine Anfänge: "Der Fleck wurde freier und selbst Ausdruck durch seine Form, seine Intensität, durch seinen Rhythmus, seine Kraft, seinen Inhalt." In der Ausstellung im Kunstforum der Grundkreditbank sind einige seiner frühesten Werke zu sehen.Und es ist faszinierend zu verfolgen, wie er von da aus langsam seine Formensprache vorantreibt, sein "Alphabet" entwickelt, wie er nach und nach aus den ungelenken Übungen Geschmeidigkeit und Eleganz entwickelt.

Nach einem kurzen Studium an den Kunstakademien von Leipzig und Dresden reist Hartung im Sommer 1926 zum ersten Mal nach Italien und Frankreich, mit dem Fahrrad wohlgemerkt.Im Oktober desselben Jahres landet er schließlich in Paris, wo er sich an der Sorbonne einschreibt.Außerdem nimmt er Malunterricht an den Privatschulen von André Lothe und Fernand Léger, streift durch die Pariser Museen.Kontakte zu anderen Künstlern der Avantgarde hat Hartung nicht, was um so erstaunlicher ist, als er sich zu der Zeit weitgehend unbemerkt einen Stil aneignet, der zwanzig Jahre später als universeller Kanon anerkannt werden sollte.

Anfang der dreißiger Jahre pendelt er zwischen Deutschland und Frankreich hin und her.Eine Weile experimentiert Hartung mit kubistischen Formen, kehrt dann aber wieder zu seinen ganz eigenständigen Skripturen und Notaten zurück.Als sich der Wahlsieg der Nationalsozialisten abzeichnet, flieht er mit seiner Frau, der norwegischen Malerin Anna-Eva Bergman, auf die Insel Menorca.Dort bleiben die beiden, bis das Geld ausgeht.

Die folgenden Jahre zieht Hartung rastlos durch Europa.1935 läßt er sich endgültig in Paris nieder, ohne daß sich seine finanzielle Situation wesentlich zum Besseren geändert hätte.Immerhin: Nun ergeben sich Kontakte, 1936 nimmt er gemeinsam mit Jean Hélion, Hans Arp und Wassily Kandinsky an einer Ausstellung in der Galerie Pierre teil.Auch aus dieser Phase sind im Kulturforum Beispiele ausgestellt: fein geschwungene, wie in Trance zu Papier gebrachte Linien verbinden sich mit dreieckigen und ovalen Flächen zu abstrakten Kompositionen von großer Delikatesse.

Jahrzehnte später, als das Informel längst etabliert war, hat man an Bildern wie diesen kritisiert, sie seien beliebig, gefällig und entbehrten jedweden Sinns und Verstands.Dabei wurde vergessen, daß sie einst aus einem fundamentalen Zweifel entstanden, dem Zweifel an der Dominanz der sichtbaren Welt.Hartung gehörte einer Generation an, die entdeckte, daß da Dinge unter der Oberfläche existieren, daß mit Hilfe eines Mikroskops dem menschlichen Auge normalerweise verborgene Wirklichkeiten, durch das Teleskop der Weltraum betrachtet werden kann.Das mag einem banal vorkommen, doch als Hartung damit anfing, war es die reine Metaphysik.

Kunstforum der Grundkreditbank, Budapester Straße 35, bis 25.April, täglich 10-18 Uhr.Katalog 10 Mark.

ULRICH CLEWING

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