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Barbara Probst: „Exposure #106: N.Y.C., Broome & Crosby Streets, 04.17.13, 2:29 p.m., 2013“. Die Arbeit besteht aus zwölf Motiven und wird von der Galerie Kuckei + Kuckei angeboten.

© Foto: Barbara Probst / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Paris und die Fotografie: Stille Spannung

Mit der „Paris Photo“ findet in der französischen Metropole die wichtigste Messe für künstlerische Fotografie statt.

Zum 25. Mal öffnen sich die Tore zur Paris Photo, der weltgrößten Messe für Fotografie – nur dass die Tore wie auch schon im vergangen Jahr die der temporären Behausung unweit des Eiffelturms sind und nicht die des angestammten Grand Palais, der erst ab 2024 nach der Generalsanierung wieder zur Verfügung stehen wird. Der Messe hat der Ortswechsel nicht geschadet, die Fotobegeisterten strömen, und der Abend des Vorbesichtigungstages löst sich wie stets in der anschwellenden Geräuschkulisse plaudernder Gäste auf.

War da nicht etwas? Etwas, zu dem gerade die Fotografie etwas zu sagen hätte? Nun, der russische Krieg gegen die Ukraine kommt nur am Rande vor. Um so höher ist zu bewerten, dass Alexandra de Viveiros (Paris) ihre Koje zur Gänze den Fotografen aus Charkiw widmet, einer regelrechten „Schule“, wie Sergiy Lebedinskyy, der mit Familie mittlerweile in Wolfsburg lebt, dem Rezensenten erläutert. Er selbst hat mit Vladyslav Krasnoshchok im Osten des Landes fotografiert und stellt die Aufnahmen unter dem lakonischen Titel „Kriegsserie“ vor (je Abzug 1200 bis 1400 €). Dass in Charkiw schon lange und mit hohem Anspruch fotografiert wird, belegen Arbeiten von Kollegen, die bis ins Jahr 1972 zurückreichen. Von Sowjetprüderie keine Spur, von formalen Einschränkungen erst recht nicht.

Zumindest Boris Mikhailov darf auf der Messe nicht fehlen: Er hat die Koje von Suzanne Tarasieve (Paris) in eine eindrucksvolle Installation verwandelt und zeigt mit gewohnt realistischen Schnappschüssen – einer davon wandfüllend vergrößert –, wie sich schon 2014 auf dem Kiewer Maidan prorussische und proeuropäische Demonstranten in unheilvoller Spannung gegenüberstanden.

Ansonsten aber geht die Messe ihren gewohnten Gang. 134 Galerien sind in der Hauptabteilung zugegen, aus 29 Ländern, worunter Deutschland und die USA wie stets auf die Pariser Lokalmatadore folgen. Auch an den Platzierungen hat sich wenig bis nichts geändert. Die Kölner Galerien Karsten Greve und Thomas Zander flankieren den Hauptweg nahe dem Eingang, Zander mit dem Pariser Motiv der Bibliothèque Mazarine von Candida Höfer (75.000 €) und Greve mit einer hinreißenden Reihe der Paris-Fotos des Jahres 1936 von Herbert List (Neuabzüge, 2500-16.000 €).

Futter für den Pariser Lokalstolz sind zudem die Vintages von Eugène Atget, die denn auch bis in die Region von 175.000 € reichen. Noch mehr Pariserisches gibt es bei Howard Greenberg (New York), der Fotos von Charles Marville, diesem unbestechlichen Chronisten der Haussmann-Ära, im Angebot hat (bis 30.000 €). Und wenn man schon bei dieser Blütezeit französischer Fotografie verweilen will, ist der Gang hinüber zu Hans P. Kraus jr. (New York) zwingend, denn da gibt es erneut Bilder des unvergleichlichen Gustave Le Gray zu sehen, darunter Segelschiffe vor Cherbourg von 1858 für 125.000 Dollar. Günstiger kommt der Sammler mit einer der raren Cyanotypien von Anna Atkins davon, 1854 gefertigt und bei 45.000 Dollar eine sichere Anlage.

Die Fotografie der Gegenwart kann da an künstlerischer Kraft nicht immer mithalten. Landschaften sind perfekt abfotografiert, in makellosen Farben, wie sie die heutige Hard- und Software eben ermöglicht. So beim Kanadier Edward Burtynsky, den Nicholas Metivier (Toronto) mit neuen Aufnahmen aus Afrika im Programm hat, und noch stärker ästhetisiert beim Chilenen Alfredo Jaar. Von ihm zeigt die Goodman Gallery (Johannesburg) Dia-Leuchtkästen mit Ansichten der fürchterlichen Ausbeutung in den Tagebauen Brasiliens (90.000 €).

Exotismus ganz anderer Art findet sich bei Loft Art (Casablanca) in den Modefotografien, die der in Belgien lebende Marokkaner Mous Lamrabat mit verhüllten Frauen seiner nordafrikanischen Heimat inszeniert. Auch die britischen Inseln bieten gewollt Pittoreskes aus den Industriegebieten des Nordens – da ist man froh, zur Abwechslung bei England & Co (London) auf die unprätentiösen Aufnahmen früher Punks des Jahres 1977 zu stoßen, von der damals 19-jährigen Rose Boyt, einer Tochter des 2011 verstorbenen Malers Lucian Freud.

Und die Frage nach dem weiblichen Anteil? Die Messeleitung von Paris Photo nennt „31 Prozent Frauen“ unter den insgesamt 1613 Fotografen, 77 von ihnen besonders kenntlich gemacht in dem zum 5. Mal aufgelegten Programm „Elles x Paris Phtoto“ mit Hinweis an den jeweiligen Kojen und einem eigenen Katalog. Darin findet sich Gabriele Stötzer, die der Berliner Galerist Friedrich Loock zeigt, wie auch Evelyn Richter und Sybille Bergemann. Und Größen wie Germaine Krull oder Tina Modotti gehören ohnehin zum Inventar von Paris Photo. Die Messe-Stimmung ist jedenfalls erst einmal gut. (Paris Photo, Grand Palais Éphémère, bis 13. November. www.parisphoto.com)

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