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Ein ungewöhnliches Liebespaar: Fuchs und Huhn dürfen in Petrit Halilajs Oper heiraten.

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jacopo La Forgia

Petrit Halilaj im Hamburger Bahnhof: Sterne erstrahlen am Opernhimmel eines Träumers

Blüten aus den Ruinen des Kosovo-Kriegs: Der in Berlin lebende albanische Bildhauer verwandelt bis heute Erinnerungen an die Schrecken in Bilder der Hoffnung.

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Es ist immer ein zauberhafter Moment, wenn in einem Raum plötzlich gesungen wird, Musik erklingt. Auf einmal verschiebt sich die Wahrnehmung, die Dinge wirken anders zusammen, beleben sich. Im Hamburger Bahnhof steht die Übersetzung des gesungenen Textes an der Wand: „Man sagt, ein Birnbaum voller Heiligkeit. Man sagt, ein Garten längst verloren.“

Eigentlich bleibt das alles völlig rätselhaft, denn auch die beiden sitzenden Figuren in weißen Anzügen mit dem Kopf von einem Fuchs und einem Huhn hoch oben in einer Wandöffnung wirken wie aus einer anderen Welt. Die Rieck-Hallen haben sich in das Setting einer Oper verwandelt, deren Hauptdarsteller wie eingefroren aus der Höhe alles überwachen.

Fuchs und Huhn sind eigentlich Adam und Eva, wahlweise auch Romeo und Julia. In Petrit Halilajs Inszenierung, die in diesem Sommer auf einem Hügel hinter dem Dorf Syrigana im Norden des Kosovo ihre Uraufführung erlebte, findet das Paar glücklich zueinander und darf heiraten.

Über dem Setting von Petrit Halilajs Oper im Hamburger Bahnhof schweben die Sterne des Grand Hotels von Prishtina.

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jacopo La Forgia

Die Aufführung in der mythisch aufgeladenen Landschaft muss bewegend gewesen sein. Denn hier gibt es nicht nur Spuren des Neolithikums, wurde eine Jahrtausende alte Okarina entdeckt, sondern sind auch die Spannungen des Kosovo-Krieges immer noch zu spüren. Ein Riss geht weiterhin durch das Dorf, wo einst Serben und Albaner friedlich zusammenlebten.

Halilaj vermählt die gegnerischen Parteien in seinem Spiel, gibt ihm eine queere Perspektive, indem er aus dem Apfel der Erkenntnis eine Birne macht, und öffnet damit die Pforte zu einem Garten, der verloren schien. Die Werke des 1986 in Kostërrc geborenen Kosovo-Albaners kreisen immer wieder um das Trauma des Krieges, Verlust des Elternhauses, Gewalttaten, die er als Kind erlebte.

Im Geflüchtetenlager gab ein italienischer Psychologe dem 13-Jährigen Buntstifte an die Hand, der die traumatischen Erinnerungen in eine mit fantastischen Vögeln bevölkerte Welt verlegte. Diese Methode hat Halilaj letztlich bis heute beibehalten. Der Psychologe holte ihn nach Italien und verhalf ihm in Mailand zu einem Kunststudium. Wie durch ein Wunder bewahrte sich der junge Mann die kindlich-magische Kraft, mit seiner Kunst Vergangenheit und Gegenwart zu versöhnen und eine bessere Zukunft heraufzubeschwören.

Das Opernsetting in den Rieck-Hallen des Hamburger Bahnhofs ist eingebettet in diverse Installationen des Künstlers, der seit vielen Jahren in Berlin lebt und nun endlich mit einer institutionellen Einzelausstellung gewürdigt wird. Wer seinen ersten Auftritt in der Stadt 2010 bei der Berlin Biennale erlebte, der wusste sofort, dass hier jemand sprudelt, ein ganz besonderes Talent für die Schaffung fantastischer Räume, Bilder, Inszenierungen auf die große Bühne tritt.

Hoffnungsträger Petrit Halilaj vor der Kulisse seines 2018 im Kosovo inszenierten Theaterstücks „Shkrepëtima“, was so viel wie Blitz oder Funke auf Albanisch heißt.

© dpa/Fabian Sommer

Halilaj hatte damals mit Hilfe seines Vaters in der großen Halle der Kunst Werke die Umrisse seines zerstörten Elternhauses aus Verschalungsholz rekonstruiert und zur Freude der Besucher Hühner frei drumherum laufen lassen. Vögel tauchen immer wieder in seinen Installationen auf: ob präpariert, aus Ton oder als Kostüm, als wären es Existenzen aus einem Zwischenreich.

Der Künstler ruft Eindrücke auf, die unvergesslich sind. Bei der europäischen Wanderbiennale Manifesta vor drei Jahren in Prishtina ließ er die nach und nach herabgefallenen Sterne des einstigen Grand Hotels der Stadt in einer neuen stellaren Konstellation wieder anbringen und fügte als Zeichen des Neubeginns weitere an den Dächern der Umgebung hinzu. Auch unter der Decke der Rieck-Halle schweben einige über dem Opernsetting.

Doch der Bildhauer ist nicht nur ein Träumer, er verfolgt auch konkrete Pläne, um seine Verbundenheit mit der Heimat zu wahren. Zur Ausstellungseröffnung spricht er in der Kulisse eines anderen Theaterstücks, das er vor sieben Jahren in der Ruine des zerstörten Kulturhauses seines Heimatorts Runik inszenierte.

Das Stück handelte damals von der Vision eines Jungen, halb Vogel, halb Mensch, der von einer Wiederbelebung des Ortes träumte. Im Hamburger Bahnhof stehen vor dem damaligen Bühnengerüst nun Paletten mit Dachschindeln, die aus Runik stammen. Nach Ausstellungsende kehren sie wieder dorthin zurück und werden beim Wiederaufbau des Kulturhauses eingesetzt, den Halilaj damals angestoßen hatte.

Unbekannte fackelten die Requisiten ab

In seiner Rede bedankt sich der Künstler bei der Kuratorin Catherine Nichols für die Ausstellung und dem Hamburger Bahnhof für die Realisierung seiner Oper im Kosovo, die im letzten Moment fast scheiterte. Eine Woche vor der Premiere zündeten Unbekannte die beiden Container mit den Requisiten an und fackelten den Birnbaum und die übergroßen Blüten ab.

Als Signatur sprayten die Täter an die Container die Buchstaben SRB für Serbien und ein Kreuz, das während des Kosovo-Krieges an niedergebrannte Häuser gemalt wurde. Die Liedzeile „Ein Garten längst verloren“ schien sich zu bewahrheiten. Doch der Träumer und Macher Halilaj entschied sich erneut gegenzuhalten und rekonstruierte ein zweites Mal seinen Garten Eden.

Bei der Eröffnung seiner Ausstellung „An Opera Out of Time“ im Hamburger Bahnhof verwies Halilaj auch auf die 500.000 Kosovo-Albaner in Deutschland, die viel zu wenig wahrgenommen würden. Am Traum vom Paradies sollen gerade sie teilhaben. Die Übersetzung des Vogelgezwitschers steht in den Rieck-Hallen auch auf Albanisch an der Wand.

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