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Pianistin Beegie Adair: Eine Frau für gewisse Stunden
In ihrer Gesellschaft fühlt man sich sofort wohl: Jahrzehntelang hat die amerikanische Pianistin Beegie Adair Bar-Jazz gespielt, auf formvollendete Weise. Eine Verbeugung.
Stand:
Kennengelernt haben wir uns vor gut einem Jahr, in einem Slowfood-Restaurant vor den Toren Neapels. Wir fühlten uns sofort wohl in ihrer Gegenwart. Sie sorgte für eine so angenehme Atmosphäre, dass ich nach dem Espresso zum Tresen ging und den Barmann nach ihrem Namen fragte. Er zeigte mir die Spotify-Playlist von Beegie Adair.
Meine Frau und ich waren den ganzen Tag durch die endlosen barocken Raumfluchten der Reggia di Caserta gewandelt, jenes Sommerschlosses, das sich die Bourbonen Mitte des 18. Jahrhunderts nach dem Vorbild (und in den Dimensionen) von Versailles erbauen ließen. Wir hatten anschließend auch noch die weitläufigen Parkanlagen erkundet, waren nun fußmüde – und froh, diese nette Trattoria entdeckt zu haben.
Sie zaubert Atmosphäre
Und ausgerechnet hier, wo die regionalen Traditionen Kampaniens hochgehalten wurden und – ganz unitalienisch – indirektes Licht den Gastraum sanft erhellte, sorgte nun eine amerikanische Pianistin für das passende akustische Ambiente. Stilistisch superkompetent, mit einem wunderbar dezenten, altmodischen Bar-Jazz, nach Art jener Ozeanpianisten, wie es sie auf den modernen Kreuzfahrtschiffen gar nicht mehr gibt.
Beegie Adair spielt bevorzugt Evergreens aus dem Great American Songbook, wie „Moonlight in Vermont“ und „I‘ve Got You Under My Skin“, „Cheek to Cheek“, „‘S Wonderful“ und „You Make Me Feel So Young“, aber auch Soundtrack-Highlights aus Hollywood-Klassikern. Im Januar 2022 ist die Pianistin verstorben, mit 84 Jahren. Sie kam aus Kentucky, lebte und unterrichtete die meiste Zeit ihres Lebens in Tennessee. Sie war vielleicht kein Star, aber sie hat viel aufgenommen, allein mit ihrem Trio entstanden 34 Alben. Ein streambares Vermächtnis.
Bei uns zu Hause wirkt Mrs Adair seit dem Kennenlernen in Italien als Lady im Hintergrund. Eine Frau für gewisse Stunden. Für jene nämlich, in denen wir entspannt beim Essen zusammensitzen, zu zweit oder auch mit Freunden.
„Musik als Klangtapete, das geht ja gar nicht!“, höre ich es jetzt schon empört aus der einen Puristen-Ecke raunen. Und aus der anderen: „Das ist doch kein richtiger Jazz, sondern nur Unterhaltungsmusik!“ Ja, mag sein. Aber in meiner privaten Kitschecke hat die wunderbare Beegie Adair für immer einen Ehrenplatz.
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